Trotz Lungenkrebs: Das Leben kam zurück

Änderungen in der Therapie: Lungenkrebs-Patientin Helga Kröner-Schock spricht von einem Wunder

Nach der ersten Chemo-Therapie ging es noch einmal aufwärts. Doch dann verschlechterte sich ihr zustand so rasant, dass Helga Kröner-Schock nur noch wenig blieb, was das Leben lebenswert machte. Ihre Familie noch – ihr Mann und die drei Söhne. Alles andere hatte ihr die Krankheit genommen.

02.12.2016

Von Angelika Bachmann

In diesem Stuhl der onkologischen Tagesklinik an der Medizinischen Uni-Klinik hat Helga Kröner-Schock viele Stunden verbracht. Dass es ihr jemals wieder so gut gehen würde, dass sie Sportkurse unterrichtet, hat sie damals nicht zu hoffen gewagt. Neben ihr steht ihr behandelnder Arzt, der Onkologe Hans-Georg Kopp. Bild: Bachmann

In diesem Stuhl der onkologischen Tagesklinik an der Medizinischen Uni-Klinik hat Helga Kröner-Schock viele Stunden verbracht. Dass es ihr jemals wieder so gut gehen würde, dass sie Sportkurse unterrichtet, hat sie damals nicht zu hoffen gewagt. Neben ihr steht ihr behandelnder Arzt, der Onkologe Hans-Georg Kopp. Bild: Bachmann

Es war nicht so sehr der Tumor in der Lunge, der Beschwerden machte, sondern die Metastasen: im Gehirn, im Schulterblatt, im Becken, in den Lymphknoten. Sie konnte sich kaum noch bewegen. Das Leben war Schmerz und Müdigkeit.

Das war im August 2014. Im Jahr davor war bei Helga Kröner-Schock Lungenkrebs diagnostiziert worden. Die 55-Jährige erinnert sich noch, wie sie damals ihrer Ärztin gegenüber saß: „Die hatte Tränen in den Augen, als sie mir sagte, sie hätte einen ganz schlechten Befund.“ Tatsächlich galt Lungenkrebs in diesem Stadium damals als „nicht behandelbar“. Allenfalls die Symptome ließen sich durch Chemotherapie und Bestrahlung der Metastasen für einige Monate lindern.

Zwischenzeitlich hat es einen Paradigmenwechsel bei der Behandlung von nicht-kleinzelligem Lungenkrebs gegeben. Seit Kurzem sind neue Antikörper-Therapien auf dem Markt, die auch bei Patienten, bei denen der Krebs schon metastasiert hat, das Tumorwachstum zum Stillstand bringen können, informiert Prof. Hans-Georg Kopp, Oberarzt an der Medizinischen Uni-Klinik und Leiter des Bereichs für Solide Tumore.

Für Helga Kröner-Schock war es ein Glücksfall, dass sie im August 2014 über Kopp als behandelnden Arzt in eine klinische Studie mit diesem neuen Wirkstoff aufgenommen werden konnte. Zwar hatte eine Chemotherapie bei ihr zuerst gute Wirkung gezeigt. Doch nach der Therapiepause im Sommer 2014 war der Krebs mit Macht zurück gekommen, neue Metastasen wuchsen schnell. Die Therapieaussichten mit einer zweiten Chemo waren begrenzt. Den Tumor und die Metastasen chirurgisch zu entfernen, war nicht möglich. Hätte es diese Studie mit dem neuen Medikament nicht gegeben, sagt Kröner-Schock, wäre sie jetzt nicht mehr hier.

Der neue Wirkstoff Pembrolizumab, der mittlerweile auch als Medikament zugelassen ist, gehört zu den sogenannten Immuntherapien. Diese zielen darauf ab, die Wirkung des körpereigenen Immunsystems gegen Tumorzellen zu verbessern. Denn eigentlich ist das Immunsystem sehr gut dafür ausgerüstet, kranke Zellen wie Tumorzellen, ständig zu beseitigen. Aber Krebszellen schaffen es mit den verschiedensten Tricks, das Immunsystem zu täuschen und auszubremsen. Hier setzt der Wirkstoff Pembrolizumab an, erklärt Kopp. Der Wirkstoff löst diese Immun-Bremse. Die Immunzellen können die Tumorzellen wieder besser erkennen und beseitigen.

Die therapeutische Antikörper-Substanz wird den Patienten in einer Infusion in der ambulanten Tagesklinik verabreicht. Die Behandlung ist nahezu frei von Nebenwirkungen. Allerdings sprechen nicht alle Patienten darauf an, sagt Kopp. Ob die Antikörper wirken, hängt von der Beschaffenheit des Tumors ab, die vor einer Behandlung analysiert werde.

Für Helga Kröner-Schock war die Wirkung allerdings bereits nach der dritten Infusion spürbar. „Mir ging es deutlich besser. Die Schmerzen ließen nach.“ Es sei wie ein Wunder gewesen. Im Laufe weniger Wochen bildeten sich die Metastasen zurück. Etwa das auf Faustgröße angeschwollene Geschwulst am Lymphknoten am Hals – heute ist es für jemanden, der von der Erkrankung nichts weiß, nicht mehr zu erkennen.

International nahmen 1000 Patienten an der klinischen Studie mit dem neuen Wirkstoff teil. Das Tübinger Uni-Klinikum war eines von acht Zentren in Deutschland; Hans-Georg Kopp ist Leiter der klinischen Prüfungen in Deutschland.

In diese Studie aufgenommen zu werden, das war „unser Sechser im Lotto“, sagt Ehemann Gerhard Schock. Er hat den Verlauf der Krankheit über die Behandlung hinweg zu Hause in Asperg dokumentiert. Fotos schickte er per E-Mail an den behandelnden Arzt. Mal waren es Bilder, auf denen zu sehen war, dass die Metastasen von Mal zu Mal kleiner wurden. „Und mit der Zeit kamen dann immer häufiger Urlaubsfotos“, freut sich Kopp. „Solche Verläufe gab es bei dieser Krankheit bisher nicht.“

Mittlerweile hat Helga Kröner-Schock auch wieder angefangen, Sport zu machen, der immer ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags war. „Das Leben“, sagt sie „kam zurück“. Im Schwäbischen Turnerbund gibt sie wieder Kurse: „Wohlfühlgymnastik!“, erzählt sie lachend.

Der Tumor ist immer noch in ihrem Körper. Auch die Metastasen sind, wenngleich deutlich geschrumpft, auf den Kontrollaufnahmen im MRT noch zu sehen. Sie chirurgisch zu entfernen, ist immer noch technisch unmöglich, erklärt Kopp. Aber das Immunsystem ist offensichtlich in der Lage, den Krebs zu kontrollieren. Und der stimulatorische Effekt auf das Immunsystem halte auch nach Ende der Therapie im vergangenen Jahr an. Wie lange? Das wisse man nicht, sagt Kopp. „Diese Frage können wir vielleicht in ein paar Jahren beantworten.“

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Erstellt:
02.12.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 02.12.2016, 01:00 Uhr

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