Freudenstadt/Rottweil · Justiz

Alkoholisiert hatte er einen Polizisten angespuckt

Ein wegen Beleidigung und Körperverletzung verurteilter 59-Jähriger war in der Berufung zumindest halbwegs erfolgreich.

09.10.2020

Von icks

Alkoholisiert hatte er einen Polizisten angespuckt

Ist Ins-Gesicht-Spucken eine Körperverletzung? Mit dieser Frage beschäftigte sich die 11. Kleine Strafkammer am Landgericht Rottweil. Nicht den gewünschten Freispruch, aber eine Halbierung der Geldstrafe erzielte ein 59-jähriger Arbeiter mit seiner Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt von Mitte Januar.

Damals war der vorbestrafte Mann zu 70 Tagessätzen à 50 Euro wegen Körperverletzung und Beleidigung eines Polizeibeamten verurteilt worden. In Rottweil erschien er ohne Anwalt. Dieser hatte sein Mandat niedergelegt. Zur Seite des schmächtigen 59-Jährigen saß die Türkisch-Dolmetscherin, die schon in erster Instanz übersetzt hatte.

„Ich wurde zu Unrecht verurteilt“, ließ der Angeklagte wissen. Er habe „Halt!“ geschrien, als der Polizist ihn daran hindern wollte, den Kleinbus zu verlassen, bevor dieser das Krankenhaus erreichte. Dem 59-Jährigen sollte dort eine Blutprobe entnommen werden. Vielleicht habe da etwas Spucke den Beamten getroffen, sagte er Verurteilte.

Der Mann war nicht angeschnallt

Das könne er sich kaum vorstellen, zweifelte der Vorsitzende Richter Dr. Thomas Geiger. Auch dass der bei einer Verkehrskontrolle unweit des Bahnhofs in Freudenstadt mit dem Alkomat erzielte Promillewert von rund 0,9 durch nur ein einziges Bier entstanden sein könnte. Der Angeklagte beharrte: „Nur ein Bier. Nach der Arbeit. Bei einem Kollegen.“

Zunächst sei der Autofahrer ihm und seiner Kollegin aufgefallen, weil er den Gurt nicht angelegt hatte, sagte der Beamte als Zeuge aus. Bei der Kontrolle habe der Mann zunächst Probleme gehabt, das benötigte Atemvolumen auszustoßen. Nein, zur Blutentnahme sei er nicht bereit, er wolle jetzt in den Urlaub fahren, habe er gesagt. Zwei Mal habe der Mann ihn angespuckt, berichtete der Polizist. Der Speichel sei ihm in Nase, Mund und Augen gelangt. „Nur widerlich“, erinnert sich der Nebenkläger an den Vorfall im August 2019.

Erst nachdem die Blutentnahme erfolgt und der Mann seinem Betreuer übergeben worden war, konnte der Beamte sich waschen und desinfizieren. Schweißausbrüche und Schlafstörungen habe er in der folgenden Nacht gehabt, sagte der Geschädigte. „Dazu kam die Angst vor einer ansteckenden Erkrankung. Ich kannte den Mann ja nicht.“ In den folgenden Prozessminuten sprachen zeitweise drei Personen gleichzeitig: Der Angeklagte, der ohne Pause redete, die Übersetzerin, die versuchte, simultan zu übersetzen, und der Richter. Dieser meinte, der Vorwurf der Körperverletzung sei „ein bissle grenzwertig“ und zitierte ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2015. „Starke Ekelgefühle reichen nicht aus. Brechreiz, langanhaltendes Herzrasen und erheblich Schlafstörungen dagegen schon…“

Der Richter bedauerte, dass die Kollegin des Polizeibeamten, die mit ihm Streife gefahren war, einen dringenden Termin in Tübingen hatte. Schließlich wurde das Protokoll ihrer Aussage vor dem Amtsgericht verlese: „Ich habe zwei Mal Spuckgeräusche gehört. Habe dann vom DRK einen Mundschutz für den Autofahrer geholt.“

Der Angeklagte beschwerte sich mehrmals bitterlich über die Polizei: „Sie haben so viel Hass gegen mich. Seit sechs Jahren versuchen die, mir was anzuhängen. Ich leide ich unter der Polizei.“ Seit 14Jahren wohnt er im selben Haus, ohne jegliche Probleme mit den Nachbarn, beteuerte der geschiedene 59-Jährige.

Sieben Vorstrafen

Sein Vorstrafenregister beginnt im Herbst 2006 und weist sieben Einträge auf: Diebstahl, Beleidigung Sachbeschädigung, Körperverletzung, die meistens mit Geldstrafen geahndet wurden. 2017 folgte eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten. Die Beleidigung war zweimaliges Anspucken einer Polizistin im März 2018. „Der jetzige Vorwurf ist Ihnen also nicht wesensfremd“, sagte der vorsitzende Richter.

Die Alkoholfahrt hatte dem Angeklagten eine Geldbuße von 1000Euro eingebracht, dazu ein Fahrverbot. „Ich wollte stattdessen eine Geldstrafe, weil ich ja Auto fahren musste“, warf der Angeklagte ein. Nun möchte er, dass der Schuldspruch des Amtsgerichts aufgehoben werde, lautete sein Plädoyer. Die Staatsanwältin und der Nebenklageanwalt hingegen fanden das Urteil korrekt und wollten, dass die Berufung verworfen wird.

Nach längerer Beratung verkündete Dr. Geiger, dass die Kammer nur den „Tatbestand Beleidigung“ sehe, keine Körperverletzung. Die Geldstrafe betrage jetzt 35 Tagessätze à 50 Euro. Die Kosten des Verfahrens teilen sich der Angeklagte und die Staatskasse zur Hälfte. Der Nebenkläger erhält ein Schmerzensgeld von 300Euro, muss aber die Hälfte seiner Auslagen tragen. Gegen das Urteil kann Revision eingelegt werden.

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Erstellt:
09.10.2020, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 09.10.2020, 01:00 Uhr

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