Übrigens

Alles nur ein Missverständnis

Das wäre doch mal ein Forschungsprojekt gewesen, das einen Preis verdient hätte. Es hätte die Menschheit ohne Zweifel weitergebracht: „Missverständnisse künftig leichter zu erforschen“, meldete das Tübinger Uni-Klinikum dieser Tage.

26.04.2016

Von ANGELIKA BACHMANN

Ich freute mich. Ständig sagen Menschen Dinge und werden dabei missverstanden. Was nicht zuletzt daran liegt, dass man sich heute kaum noch von Angesicht zu Angesicht unterhält, sondern über Mails und Smartphone kommuniziert und dabei versucht, komplexe Sachverhalte in 140 Zeichen zu quetschen und zu tweeten. Das kann nur schiefgehen.

Man kennt das ja aus eigener Erfahrung. Man möchte helfen, künftig etwas besser zu machen, und wird als oller Krittler abgekanzelt. Man meint etwas ironisch und erntet Unverständnis: „Echt jetzt? Das ist nicht dein Ernst.“ Am Ende schweigt man frustriert – und es wird als stillschweigende Zustimmung gewertet.

Andererseits kann so ein Missverständnis ja auch ganz nützlich sein. Um des lieben Friedens willen. Könnte man heutzutage noch Koalitionsverträge abschließen, ohne dass man verkürzt, absichtlich weghört, stillschweigend anders interpretiert und so einen vermeintlichen Konsens findet? Manchmal ist Missverständnis auch gleichbedeutend mit nachträglichem Leugnen. Liebe Frauke Petry, wie kann die Passage über den Schusswaffengebrauch an den EU-Außengrenzen ein Missverständnis sein, wenn Sie den Zeitungsartikel autorisiert haben?

Interessant, dachte ich: Forschung, die hilft, Missverständnissen auf die Spur zu kommen! Und allem, was man damit machen kann! So lernte ich Agathe Bauer kennen. Ich muss gleich sagen: Agathe Bauer war zwar ganz amüsant, aber eigentlich eine ziemliche Enttäuschung. Agathe Bauer ist die ältere Schwester von Wumbaba. Wumbaba wiederum ist der „weiße Neger Wumbaba“, die missverstandene Liedzeile aus Matthias Claudius’ Abendlied, die den SZ-Kolumnisten Axel Hacke zum gleichnamigen Bestseller inspirierte. Ähnlich berühmt wie Wumbaba wurde Agathe Bauer – alias „I got the power“, dem Welterfolg der Gruppe Snap. Und wer kennt es nicht, das wohl berühmteste Nagetier der deutschen Charts, besungen von Ich und ich: „Es tobt der Hamster vor meinem Fenster!“ (Es tobt der Hass da, vor meinem Fenster).

Agathe Bauer will jetzt auch in der Wissenschaft Karriere machen. Nach ihr haben Forscher den „Agathe Bauer-Effekt“ benannt. So nennen sie es, wenn jemand statt „I got the power“ „Agathe Bauer“ hört. Neurowissenschaftler machten jetzt bei Kernspin-Untersuchungen sichtbar, was dabei im Gehirn passiert. Sie zeigten, „dass die Liedtexte im wesentlichen in der linken Hemisphäre im Broca- und Wernicke-Areal abgespeichert sind. Missverständnisse der Liedtexte aufgrund falscher Erwartungen jedoch zu spiegelbildlichen Aktivierungen der rechten Hemisphäre führen, die für emotionale Prozesse besonders wichtig ist.“ Auf Exzellenz-Deutsch zusammengefasst: „Wissenschaftlern ist es gelungen, ein neuronales Modell zur Erforschung von Missverständnissen zu erstellen.“

Ich dachte, die Wissenschaft interessiert sich für Missverständnisse, nicht für Hörfehler. Für den Weltfrieden, nicht für Hamster! Wer will schon Bilder aus Frauke Petrys Gehirn sehen, wenn sie Agathe Bauer hört? Hilft mir das, die Welt besser zu verstehen? Da habe ich wohl etwas missverstanden.