Alles was kommt

Alles was kommt

Isabelle Huppert spielt eine Philosophielehrerin, die die Trennung von ihrem Ehemann als Chance sieht, sich noch einmal neu zu erfinden.

01.01.2017

Von Klaus-Peter Eichele

Paris leuchtet verführerisch im sommerlichen Glanz, als Nathalie (großartig: Isabelle Huppert) von einer Katastrophe heimgesucht wird. Ihr Mann erklärt nach 25 Jahren Ehe, dass er sie verlassen und fortan mit seiner Geliebten zusammenleben werde. Nachdem der erste Schock überwunden ist, beschließt die Mittfünfzigerin, den Bruch als Chance zu sehen und ihre neu gewonnene Freiheit zu genießen – auch wenn sie nach Jahrzehnten familiärer Routine keine Ahnung hat, wie das geht.

Äußerlich fällt der neue Film von Mia Hansen-Løve („Eine Jugendliebe“, „Eden“) ins Genre des weiblichen Emanzipationsdramas in der Tradition von „Brot und Tulpen“. Doch die junge Regisseurin gibt der Geschichte einen ganz eigenen Drall. So ist schon vor dem Abgang ihres Gatten klar, dass Ehe und Familie nicht das einzige sind, woraus Nathalie ihren Selbstwert bezieht. Als mindestens ebenso lebenswichtig empfindet sie die Philosophie, der sie sich als Lehrerin und Herausgeberin einer ambitionierten Buchreihe widmet. „Ich habe ein erfülltes intellektuelles Leben, das reicht mir, um glücklich zu sein“, trotzt Nathalie schon nach wenigen Tagen der Trennung. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Als Barriere entpuppt sich etwa ihre hypochondrische Mutter, die sie Tag und Nacht mit Alarmanrufen schikaniert. Auch die unvermeidlichen Begegnungen mit ihrem Gatten lassen noch manches Mal Wut und Trauer keimen. Als Startrampe in ein neues Leben bietet sich derweil ihr ehemaliger Lieblingsschüler (Roman Kolinka) an, der mit Freunden auf dem Land an einer Öko-Revolte feilt. Der halbherzige Versuch, an die Kommune anzudocken, endet aber schnell mit der Einsicht, dass sie für derlei Anarcho-Romantik nun doch zu alt und abgeklärt ist.

Wer außerdem meint, irgendein neuer Kerl würde der Dame schon die Richtung weisen, kennt Mia Hansen-Løve schlecht. Der Kino-Glaube, dass die Liebe alles richtet, ist der Regisseurin fremd. Es sind vielmehr kleine, unscheinbare Begegnungen und Begebenheiten, die Nathalie wieder in die Spur bringen. Auch vermitteln sie dem Zuschauer ihre Einstellung zum Leben und den Umgang mit dem Verlust besser als jede dramatische Zuspitzung. Das wechselhafte Verhältnis zu einer Katze gehört ebenso dazu wie eine Debatte über die Philosophie der Revolution oder ein Song von Woody Guthrie während einer Autofahrt.

Was tun, wenn sich der Gatte davonmacht? Die Antwort ist der Weg, nicht das Ziel.