Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit und Emotionen

Als SPD-Landesvorsitzende will Leni Breymaier ihrer Partei wieder eine Seele geben

Leni Breymaier ist keine Traumtänzerin. Die 56-Jährige spricht schnell und schätzt ein offenes Wort. Keine Frage, dass ihre SPD bei der Landtagswahl mit 12,7 Prozent „ein desaströses Ergebnis“ einfuhr. Es tröstet sie nicht, dass auch die CDU auf einen Tiefstand kam und die Linke weit entfernt von der Fünf-Prozent-Hürde blieb. Da findet es die neue SPD-Chefin „doch glatt“, dass der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger im Land Spitzenkandidat für den Bundestag werden will.

26.11.2016

Von Renate Angstmann-Koch

Breymaier ist zugegebenermaßen schon im Wahlkampf-Modus. Die frühere Verdi-Landesleiterin möchte auf der Ostalb im Wahlkreis Aalen-Heidenheim für den Bundestag kandidieren und dazu die SPD-Landesliste anführen. Riexinger, früher Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Stuttgart, wird mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit auf Platz 1 bei der Linken stehen.

Mit ihm hat Breymaier jahrelang geschirrt und „eine gute Gesprächsebene“. Die hat die gelernte Einzelhandels-Kauffrau mit vielen – schon allein, weil sie im DGB und bei Verdi mit unterschiedlichsten Menschen zusammengearbeitet hat. Die Große Koalition sollte aus ihrer Sicht beendet werden, ohnehin nur eine Ausnahme sein. Die Nominierung Frank-Walter Steinmeiers als Bundespräsident gebe keine künftige Konstellation vor.

Breymaier hätte nichts gegen Rot-Rot-Grün. Sie sah es schon immer als Fehler der SPD, eine Koalition mit der Linken auszuschließen. Ihre Partei müsse für alle Bündnisse offen sein – außer mit der AfD. Wenn SPD-Chef Sigmar Gabriel erneut als Kanzlerkandidat antreten will, werde er es. Bei mehreren Bewerbern plädiert Breymaier für einen Mitgliederentscheid.

Leni Breymaier will, dass die SPD im Bundestagswahlkampf nicht nur über die Leute redet, sondern mit ihnen – auch mit jenen, die nicht rechtsradikal, aber empfänglich für einfache Antworten und für rechte Parolen sind, sagte sie in der TAGBLATT-Redaktion. Bild: Faden

Leni Breymaier will, dass die SPD im Bundestagswahlkampf nicht nur über die Leute redet, sondern mit ihnen – auch mit jenen, die nicht rechtsradikal, aber empfänglich für einfache Antworten und für rechte Parolen sind, sagte sie in der TAGBLATT-Redaktion. Bild: Faden

„Es gibt bei der sogenannten Basis eine Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit und Emotionen“, sagt die 56-Jährige – das habe sich beim Aufarbeiten der Wahlniederlage gezeigt. Sie glaube, dass sie diese Sehnsucht erfüllen kann. An emotionalen Faktoren habe es auch gelegen, dass die Wähler eine aus Sicht der SPD-Chefin erfolgreiche Regierungsarbeit im Land nicht honorierten. Das Bild der SPD sei vom Verkauf der LBBW-Wohnungen oder davon geprägt worden, dass Nils Schmid als Wirtschafts- und Finanzminister für die steuerliche Schonung von Firmenerben eintrat, weniger von der Arbeit Katrin Altpeters als Sozialministerin.

Als Ziel der Landes-SPD bei der Bundestagswahl gibt Breymaier mindestens das Ergebnis von 2013 aus. Das waren 20,6 Prozent. Ein Thema der Partei wird der Wohnungsbau sein. Er gehöre zu den Politikfeldern, auf denen die demografische Entwicklung von interessierter Seite missbraucht wurde, um Leistungen abzubauen. Die EZB machte dem Land in der Finanzkrise überdies zur Auflage, über 21 000 LBBW-Wohnungen zu verkaufen. Es sei „ein Fehler grün-roter Regierungsarbeit“ gewesen, dass Patrizia den Zuschlag bekam.

Völlig im Reinen ist Breymaier mit ihrer Partei in der Bildungspolitik, „da sind wir Hüter des Fortschritts“. Hoffnungsfroh stimmt sie auch, was die Partei in Berlin bei der Rente zuwege brachte. Andrea Nahles sei die erste Sozialministerin seit vielen Jahren, bei der es wieder Verbesserungen gab. Auch im Gesundheitswesen trete die SPD für eine paritätisch finanzierte Bürgerversicherung ein.

Breymaier findet nicht, dass das Thema Rente aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten werden müsste – im Gegenteil. Die demografischen Herausforderungen seien zu bewältigen. Doch „wenn die Überschrift gesetzt ist, die Alten beuten die Jungen aus, ist die Debatte schon verloren“.

Wie will Breymaier im Wahlkampf mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten umgehen? „Wir haben Welten und Informationsblasen, zu denen wir keinen Zugang haben“, räumt sie ein. „Es ist gesellschaftlich so viel passiert in den letzten Jahrzehnten, und es sind nicht alle mitgekommen.“ So erklärt sie sich den Wahlerfolg einer Partei wie der AfD trotz derer arbeitnehmerfeindlichen Positionen. „Es gibt einen Bodensatz, die wollen nicht, dass Schwule heiraten dürfen“, sagt Breymaier. „Und es gibt Leute, die haben ein Ventil gefunden, weil sie halt immer noch reaktionär sind.“ Was sie hoffen lässt: Seit dem Wahlsieg Donald Trumps gab es schon allein 100 Eintritte in die Landes-SPD. Und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt setzt Breymaier auch auf Gewerkschaften, Kirchengemeinden oder Sportvereine. Protestwähler seien nicht verloren, sie ließen sich erreichen – am besten auf der Straße im direkten Gespräch: „Das Hinhören ist das A und O.“

Verkäuferin und Gewerkschafterin

Leni Breymaier, 56, kommt aus Ulm. Sie war Betriebsrätin bei Horten und Gewerkschaftssekretärin bei der DAG und ÖTV. Fast zehn Jahre leitete sie den Verdi-Landesbezirk. Seit 2007 ist sie ehrenamtliche Richterin am Staatsgerichtshof. 1982 trat sie in die SPD ein. Am 22. Oktober wurde sie zur Landes-Chefin gewählt.