Mit Kirchenaustritt Zähne zeigen

Álvaro Ogalla spielt im Cinelatino-Abschlussfilm „El apóstata“ einen Abtrünnigen

Jahrhundertelang war Spanien ein Bollwerk des Katholizismus. Heute gehe noch ein Viertel der Bevölkerung öfter mal zum Gottesdienst, berichtet Álvaro Ogalla, Hauptdarsteller und Drehbuchautor des Cinelatino-Abschlussfilms im Gespräch mit dem TAGBLATT.  Doch der Kirche ganz offiziell den Rücken zu kehren – das ist schier ein Ding der Unmöglichkeit, wie der Protagonist von „El apóstata“ erfahren muss.

19.04.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Álvaro Ogalla spielt im Cinelatino-Abschlussfilm „El apóstata“ einen Abtrünnigen

Dieser Gonzalo, ein etwa 30-jähriger Madrilene, ist überzeugter Atheist, zudem missfällt ihm das patriarchale Weltbild der katholischen Kirche und ihre Kumpanei mit Diktaturen. Daher beantragt er förmlich, dass sein Name aus dem Taufregister seiner Gemeinde gelöscht wird. Ein Federstrich? Von wegen. Ohne Vortanzen beim Pfarrer, beim Bischof und beim Erzbischof geht gar nichts. Und am Ende des langen Marschs durch die klerikalen Institutionen steht Gonzalo wieder ganz am Anfang.

Álvaro Ogalla hat all das selbst erlebt. 2011 wollte er aus der katholischen Kirche austreten und ist fulminant gescheitert. Damals arbeitete Ogalla im Archiv der spanischen Kinemathek, wo er sich mit dem uruguayanischen Regisseur Federico Veiroj anfreundete. Der fand, dass man die Geschichte unbedingt auf die Leinwand bringen müsse. Zudem engagierte er Ogalla auch gleich noch als Ko-Autor des Drehbuchs und als Hauptdarsteller – obwohl der davor noch nie vor einer Kamera oder auf einer Theaterbühne gestanden hatte.

Eine vorrevolutionäre Qualität

Ogalla sieht die von ihm teilweise nach seinem eigenen Bilde geschaffene Hauptfigur nicht als einen modernen Don Quijote im einsamen Kampf gegen klerikale Windmühlen. Vielmehr will er sie eingebettet wissen in die jüngste spanische Geschichte, die von wachsendem Unbehagen vor allem junger Leute an den traditionellen Institutionen geprägt sei. Ein Kirchenaustritt sei zwar noch kein politischer Akt, aber doch ein Mosaiksteinchen, „das vom Erwachen der Bürger aus dem Zustand der Bevormundung“ kündet, sagt er. Im Zuge der Wirtschaftskrise sei dann aus vielen kleinen Brüchen eine breite politische Protestbewegung entstanden, der Ogalla eine „vorrevolutionäre Qualität“ attestiert – zumal sie neuerdings auch Frankreich erfasst hat.

Trotz alldem ist „El apóstata“ kein bierernstes Politdrama; vielmehr lässt sich der Film mit viel Selbstironie und psychologischem Feingespür durch den Alltag seines Protagonisten treiben. Der ist auch alles andere als ein Revoluzzer, eher ein großes Kind, das im Leben – zumindest aus Sicht seiner konservativen Familie – noch nichts auf die Reihe gekriegt hat. Tatsächlich rasselt der Bummelstudent regelmäßig durchs Examen. Mit dem Austritt aus der Kirche will er nun endlich einmal Zähne zeigen.

Allerdings zeigt der Film auch, wie schwierig es ist, die traditionellen Werte der Kirche oder auch des Elternhauses abzuschütteln, selbst wenn man mit ihnen gar nichts zu tun haben will. „Die Kirche in Spanien hat immer viel mit Angst operiert und die hält sich hartnäckig in den Köpfen“, sagt Ogalla. So wird Gonzalo im Film von sexuellen Schuldgefühlen geplagt, die Regisseur Veiroj mit einer schön surrealen, an Luis Buñuel erinnernden Traumsequenz illustriert.

Die Kirche selbst hat zu „El apóstata“ bisher eisern geschwiegen. Allerdings gab es zum Filmstart in Spanien mehrere Zeitungsartikel zum Thema, wodurch, so Ogalla, vielen Spaniern überhaupt erst bewusst geworden sei, dass die Mitgliedschaft in der Kirche kein Naturgesetz ist.

Info: Der Film läuft am Mittwoch, 20. April, um 20 Uhr im Kino Museum.

Der Abschlusstag beim Cinelatino

Acht Nachwuchsfilme aus Lateinamerika und Spanien haben beim Filmfest Cinelatino um den mit 1000 Euro dotierten Publikumspreis konkurriert. Der Sieger wird am Mittwoch um 20 Uhr im Kino Museum gekürt. Anschließend wird der Abschlussfilm El apóstata  gezeigt. Parallel läuft die spanisch-brasilianische Koproduktion O futbol über einen Vater und seinen Sohn, die sich seit 20 Jahren nicht gesehen haben, aber durch ihre gemeinsame Liebe zum Fußball möglicherweise wieder zueinander finden (20.30 Uhr). Bereits um 18 Uhr führt die Doku Bboy for Life nach Guatemala-Stadt, wo Jugendliche mit Breakdance der Gewalt in ihrem Viertel trotzen. Alle Filme laufen im Kino Museum.

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Erstellt:
19.04.2016, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 49sec
zuletzt aktualisiert: 19.04.2016, 19:00 Uhr

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