Mit Engelszungen

Am besten auf Augenhöhe

„Wollen wir mal gucken, ob die Kameraden auch pünktlich kommen“: Staatsanwalt Burkhard Werner machte schon vor Verhandlungsbeginn keinen Hehl daraus, was er von der Zuverlässigkeit der Klägerpartei aus dem Jugendzentrum Kulturschock Zelle hält.

23.06.2016

Von Uschi Kurz

Aber auch Richterin Julia Hutzel trug zunächst wenig dazu bei, das Vertrauen der jungen Leute in die Justiz zu stärken. Sie hatte sichtlich Probleme mit dem Outfit der „Zellis“, die zahlreich teilweise mit Hut und Clownsnasen erschienen waren und beharrte auf ihren Regularien. Dann ließ sie eine Zwischenfrage des Staatsanwalts zu, der im Übrigen eine erschreckende Unkenntnis bezüglich dessen, was ein „autonom verwaltetes Jugendzentrum“ ist, an den Tag legte. Im Gegenzug verweigerte sie aber dem Rechtsanwalt des Zelle-Vorstands, Axel Oswald, das Fragerecht, was dieser prompt mit einer offiziellen Rüge beantwortete. Die Verhandlung hatte also das Zeug dazu, kräftig aus dem Ruder zu laufen. Doch mit dem Verweis, dass solcherlei Streitigkeiten zwischen den Parteien alles andere als „zielführend“ seien, brachte die Amtsrichterin das Ganze endlich in etwas ruhigeres Fahrwasser.

Leider nur am Rande erwähnt wurde der Grund, wieso die Zelle – wie andere Jugendzentren auch – überhaupt solche Techno-Partys veranstaltet, bei denen es regelmäßig zu Zoff kommt: Es ist der schnöde Mammon. Die Stadt Reutlingen lässt sich von der Zelle nicht nur einen monatlichen Mietkostenzuschuss und die gesamten Nebenkosten, sondern auch Instandhaltungskosten zahlen. Monatlich kommen so fast 2000 Euro zusammen, die das Jugendzentrum, dessen politische Veranstaltungen und Livekonzerte nichts oder nur wenig einbringen, erst einmal einspielen müssen.

Elektro- und Techno-Veranstaltungen, sagt auch Udo Nonner, der Vorsitzende des Tübinger Jugendzentrums Epplehaus, der gestern als Unterstützer nach Reutlingen gekommen war, seien die einzigen Veranstaltungen, bei denen man etwas verdient: „Solche Veranstaltungen muss man machen, um finanziell überleben zu können.“

Das fällt den Tübingern freilich erheblich leichter als den Reutlinger Zelle-Aktivist(inn)en. Die Stadt Tübingen übernehme nicht nur die kompletten Miet- und Nebenkosten des Epplehauses, berichtete Nonner, sie verhandle auch mit den Vertretern des Jugendzentrums auf Augenhöhe: „Wir bekommen einen großen Vertrauensvorschuss.“ Als das Epplehaus beispielsweise sein – eng an das der Zelle angelehntes – Jugendschutzkonzept vorgelegt habe, sei das von der Stadt äußerst positiv aufgenommen worden.

Mit dem gestrigen Urteil können sich beide Parteien, wenn nicht zufrieden, so doch wenigstens bestätigt sehen. Was aber viel mehr zählt, ist, dass Stadt und Zelle mittlerweile wieder miteinander reden. Beide bezeichnen das erste Gespräch übrigens als konstruktiv. Keppler sprach von gewissen Missverständnissen, die man habe ausräumen können. Legenden haben sich aber fraglos auf beiden Seiten gebildet. Bereits am 4. Juli sollen die Gespräche im franz. K fortgesetzt werden. Am besten auf Augenhöhe.

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Erstellt:
23.06.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 23.06.2016, 01:00 Uhr

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