Dönerspieß-Prozess: 9 Jahre Haft gefordert

Angeklagter voll schuldfähig / Die Einschätzung des Tathergangs liegt extrem weit auseinander

Die Staatsanwältin will neun Jahre Haft wegen Mordversuchs. Der Angeklagte ist trotz Belastungssymptomen voll schuldfähig.

26.10.2016

Von Dorothee Hermann

Symbolbild: liveostockimages - Fotolia

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Im Prozess gegen den 31-Jährigen, der in der Nacht auf den 1. April 2016 den Betriebsleiter der Shisha-Bar an der Blauen Brücke mit einem Dönerspieß schwer verletzt haben soll, liegen die Einschätzungen des Tatgeschehens ungewöhnlich weit auseinander. Staatsanwältin Tatjana Grgic bekräftigte am gestrigen Dienstag den Anklagevorwurf auf versuchten Mord und forderte neun Jahre Haft. Nebenklagevertreter Urs Heck schloss sich an. Verteidiger Christian Niederhöfer ging hingegen von gefährlicher Körperverletzung aus und hielt zweieinhalb Jahre Haft für angemessen.

Am Abend des 31. März feierte der Betriebsleiter der Shisha-Bar seinen Abschied, so die Staatsanwältin. Der Angeklagte arbeitete im angrenzenden Imbiss. Im Untergeschoss befindet sich der Club Blauer Turm. Gegen 22 Uhr sei es zum ersten Konflikt zwischen den beiden Männern gekommen, als der Angeklagte in Arbeitskleidung in den Club wollte, um Zigaretten zu holen. „Man packte sich wohl auch an der Kleidung“, sagte Grgic. Als der Betriebsleiter etwa zwei Stunden später die Außentische der Shisha-Bar abräumte, habe der Angeklagte ihn beobachtet. „Er wartete, bis der Betriebsleiter an ihm vorbei in die Bar gegangen war und ihm den Rücken zukehrte.“

Daraufhin habe der Angeklagte den Dönerspieß ergriffen und dem anderen mehrfach auf den Rücken geschlagen. „Der Betriebsleiter hatte die Hände voll und rechnete überhaupt nicht mit einem Angriff“, sagte Grgic. Als er sich umdrehte, habe der 31-Jährige ihm den Dönerspieß wuchtig von oben auf den Kopf geschlagen und in die Brust gestochen.

Das Opfer erlitt einen Schädelbruch, einen offene Platzwunde am Kopf und eine Stichverletzung auf der linken Brustseite. Er wurde drei Tage stationär behandelt.

Konkrete Lebensgefahr bestand nie. Das hatte der Gerichtsmediziner Prof. Frank Wehner bestätigt. Doch der Angeklagte habe dem Betriebsleiter potenziell lebensgefährliche Verletzungen zugefügt, sagte die Staatsanwältin. „Die Gewalt war so stark, dass der Schädelknochen brechen konnte. Es waren Faktoren, die der Angeklagte nicht mehr in der Hand hatte.“ Die vorausgegangene Kränkung habe der 31-Jährige selbst provoziert. „Er wusste, dass er nicht in den Club durfte.“

Vorgeschichte und Intensität der Auseinandersetzung seien von Zeugen unterschiedlich geschildert worden, betonte hingegen Verteidiger Christian Niederhöfer. Sein Mandant habe sich gedemütigt gefühlt durch das Verhalten des Betriebsleiters. „Er stand an jenem Abend unter Stress, hatte schon viel zu lange gearbeitet.“ Den Dönerspieß habe der Mann genommen, weil der zufällig zur Hand gewesen sei.

Der Betriebsleiter habe an jenem Abend seinerseits versucht, seinen Mandanten im Auge zu behalten, sagte der Verteidiger: „Weil er genau wusste, wie sein Verhalten auf den Angeklagten wirkte.“ Damit sei er eben nicht arglos gewesen. „Beide mussten vehement getrennt werden.“ Der Angeklagte habe den Betriebsleiter seinerseits demütigen und schlagen, aber zu keinem Zeitpunkt töten wollen. Der 31-Jährige bestätigte das in seinem letzten Wort: Es tue ihm sehr leid, was passiert sei. Noch einmal erwähnte er die anhaltende Missstimmung zwischen Bar- und Imbissmitarbeitern. „Die wollten uns nie akzeptieren. Die haben uns bei ihrer Kundschaft schlechtgemacht.“

Der 31-Jährige leide an Restsymptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung, sagte der psychiatrische Gutachter Dr. Stephan Bork. Der Angeklagte ist iranischer Kurde. Er musste sein Land 2004 verlassen und lebte einige Jahre in den Kurdengebieten im Irak, wo er durch Kriegserlebnisse traumatisiert wurde. Das sei bei der Schwere der Schuld zu berücksichtigen, beeinträchtige aber nicht die Schuldfähigkeit. „Er war auf einem guten Weg, fühlte sich wohl mit seiner Arbeitsstelle und seinen Kontakten.“

Was das Tatgeschehen und die Empathie mit dem Opfer angeht, erlebte Bork den Angeklagten so: „Es war ihm arg, dass er so aus der Rolle gefallen ist.“ Er habe bei der Erinnerung an die Tat geweint. Behandlungsbedürftig sei nicht die Belastungsstörung, sondern das impulsiv-aggressive Verhalten des Mannes. „Und zwar deshalb, weil es ihn selbst stört“, so der Gutachter. „Andere gehen darüber hinweg und sagen: So bin ich halt.“ Das Urteil soll am morgigen Donnerstag gesprochen werden.

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Erstellt:
26.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 00sec
zuletzt aktualisiert: 26.10.2016, 01:00 Uhr

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