Nordstetten/Rottweil·Justiz

Anwälte bestimmen den Auftakt

Anträge der Verteidigung prägten den ersten Tag der Hauptverhandlung um den gewaltsamen Tod des Nordstetters Michael Riecher.

03.05.2019

Von Manuel Fuchs

Der gestrige Prozessauftakt am Landgericht Rottweil bot viele juristische Feinheiten aus der Strafprozessordnung. Bild: Manuel Fuchs

Der gestrige Prozessauftakt am Landgericht Rottweil bot viele juristische Feinheiten aus der Strafprozessordnung. Bild: Manuel Fuchs

Sicherheitskontrollen im Rottweiler Landgericht gaben einen Vorgeschmack auf das Vergehen, für das sich zwei Männer seit gestern vor der mit drei Richtern und zwei Schöffen besetzten 1. Schwurgerichtskammer verantworten müssen. Der erste Angeklagte, zur Tatzeit 27 Jahre alt, betrat den Raum, ohne sein Gesicht zu verbergen, und nahm in gebeugter Haltung auf seinem Stuhl Platz. Der zweite Angeklagte, zur Tatzeit 32 Jahre alt, wirkte gelassener, verbarg allerdings sein Gesicht hinter einem Briefumschlag vor den Kameras.

Gemeinschaftlich begangene räuberische Erpressung mit Todesfolge in Tateinheit mit Mord nennt die Anklageschrift als Tatvorwurf. Bevor Oberstaatsanwalt Dr. Christoph Kalkschmid dies allerdings vortragen konnte, musste der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer über einen Antrag der Verteidiger Alexander Hamburg und Dr. Alexander Kubik befinden: Die 35-seitige Übersetzung der Anklageschrift ins Arabische, die ihrem Mandanten etwa sechs Wochen vor der Hauptverhandlung zur Verfügung gestellt wurde, sei „insbesondere“ an 15 Stellen unverständlich, unpräzise oder fehlerhaft. Ihr Mandant wisse nicht einmal genau, was ihm vorgeworfen werde. Daher dürfe die Schrift nicht verlesen werden, und das Verfahren sei einzustellen, ersatzweise auszusetzen.

Mangelhafte Übersetzung

Richter Münzer zeigte sich erstaunt, dass die kritisierten Übersetzungsmängel nicht schon längst geltend gemacht wurden, und ordnete eine dreiviertelstündige Beratungspause an. Danach erörterte die Kammer gemeinsam mit den zwei anwesenden Sprachsachverständigen, ob beispielsweise die Übertragung des Wortes „heimtückisch“ in ein arabisches Wort, welches eher „bösartig“ bedeutet, einen gravierenden Mangel darstellt.

Oberstaatsanwalt Kalkschmid nannte den Antrag problematisch. Er zeige nur oberflächlich Absätze mit kritikwürdigen Punkten auf, verzichte aber auf Details. Unabhängig davon werde der Anklagesatz den Anforderungen der Strafprozessordnung gerecht. Der Mandant und seine Verteidiger hätten bei Unklarheiten jederzeit den Dolmetscher befragen können, der bei ihren Vorbereitungen zugegen war. „Ich würde jede andere Sichtweise für lebensfremd halten“, sagte Kalkschmid.

Münzer wies schließlich den Antrag auf Nichtverlesung der Anklageschrift zurück und sicherte zu, dem Angeklagten eine überarbeitete Version der Übersetzung zeitnah zur Verfügung zu stellen. Das Verfahren werde weder eingestellt noch ausgesetzt.

Tathergang laut Anklageschrift

Oberstaatsanwalt Kalkschmid trug dann die zusammengefassten Ermittlungsergebnisse vor: „Anfang Oktober 2018 fasste der Angeklagte den Beschluss, seinen Bekannten Oskar Michael Riecher zu überfallen und auszurauben, weil er finanzielle Probleme hatte. Oskar Michael Riecher war, was der Angeklagte wusste, sehr vermögend und bewahrte häufig große Mengen Bargeld in seiner Wohnung auf.“ Der Angeklagte habe daraufhin über einen Mittelsmann versucht, mit der Formulierung, man könne „viele Süßigkeiten essen“, einen Helfer zu finden.

Am 1. November trafen sich laut Anklageschrift die beiden Angeklagten und der Mittelsmann, um den Raub zu planen. Letzterer habe dabei beschlossen, nicht mitzuwirken. Denn der damals 57-jährige Riecher litt an der chronisch-
obstruktiven Lungenkrankheit (COPD). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass er bei dem Raub zu Tode komme.

Die beiden verbliebenen Männer beschlossen, so Kalkschmid, die Tat am folgenden Tag zu zweit zu begehen. Gegen 18.30 Uhr holte der in Nordstetten wohnhafte erste Angeklagte den anderen mit seinem Auto am Horber Bahnhof ab. Gemeinsam fuhren sie nach Nordstetten. Der zweite Angeklagte betrat nach 19 Uhr Michael Riechers Wohnung, bedrohte ihn und verlangte Geld. Nach einem kurzen, für Riecher aussichtslosen Kampf erklärte sich dieser bereit, die Forderung zu erfüllen. Der Angreifer brachte Riecher in dessen Schlafzimmer.

Dann betrat der erste Angeklagte, ein Bekannter Michael Riechers, die Wohnung. In der Küche wurde er von seinem Komplizen über die Lage unterrichtet. Er blieb dort, während der zweite Angeklagte mit Michael Riecher in dessen Büro ging und dort etwa 3000 Euro entgegennahm. Als er mehr Geld forderte, erklärte sich Riecher bereit, dieses im Wohnzimmer zu holen.

Der erste Angeklagte befürchtete, Riecher könne ihn erkennen. Deshalb fasste er nach Darstellung der Staatsanwaltschaft den Tötungsentschluss. Er trat von hinten an Michael Riecher heran, packte ihn und würgte ihn mehrere Minuten. Riecher starb „wie vom Angeklagten beabsichtigt“ infolge von Sauerstoffmangel.

Der zweite Angeklagte habe danebengestanden und mit der Tötung gerechnet. Ein Einschreiten sei ihm möglich und zumutbar gewesen. Weil er dies nicht tat, beurteilt die Staatsanwaltschaft die Handlung als gemeinschaftlichen Mord und – im Fall des zweiten Angeklagten – nicht als Totschlag durch Unterlassen. Die Anwälte beider Angeklagten gaben dem Gericht zu verstehen, ihre Mandanten wollten sich zunächst weder zur Sache noch zur Person einlassen.

Erkenntnisse ohne Wert

A. Kubik

A. Kubik

Bevor Richter Münzer zur Beweisaufnahme überleiten konnte, wartete Kubik mit einem erneuten Antrag auf: Obwohl gegen seinen Mandanten nachweislich bereits vor dem 7. November 2018 ein Anfangsverdacht bestanden habe, sei er noch mehrmals als Zeuge vernommen und nicht über seine Rolle als Beschuldigter und seine daraus resultierenden Rechte informiert worden. Diese Darstellung untermauerte Kubik mit vielen Beispielen. Unter anderem sei sein Mandant nach einem Alibi für die Tatzeit gefragt und zur Herausgabe seines Smartphones nebst Zugangscode animiert worden – vorgeblich, um entlastende Spuren zu finden. Für einen Zeugen bestehe jedoch, anders als für einen Beschuldigten, keine Notwendigkeit, sich zu entlasten.

Daher seien seine Aussagen sowie die einiger Zeugen für das Gericht nicht verwertbar. Gleiches gelte für Erkenntnisse, die sich aus der Durchsuchung des Schreibtischs am Arbeitsplatz des Angeklagten und seines Fahrzeugs ergeben haben. Im Glauben, er sei Zeuge, habe Kubiks Mandant der Analyse seines Fingernagelschmutzes zugestimmt. Kubik führte aus, solche Maßnahmen dürfen nur auf richterliche Anordnung oder bei freiwilliger Zustimmung des Betroffenen angewandt werden. Freiwilligkeit setze voraus, dass der Betroffene nicht getäuscht werde. Es sei aber eine Täuschung, eine Person nicht über ihren Status als Beschuldigter zu informieren.

Darüber hinaus dürfe das Gericht auch ein Telefongespräch seines Mandanten, das ohne dessen Wissen aufgezeichnet, verschriftlicht und Dolmetschern zur Übersetzung überlassen wurde, nicht verwenden. Das bloße Aufzeichnen sei bereits eine Straftat gewesen.

In einem weiteren Antrag benannte Alexander Hamburg als Vertreter des ersten Angeklagten eine große Zahl von Dokumenten aus der 28 Stehordner umfassenden Ermittlungsakte. Das Gericht solle deren „Wesentlichkeit und Maßgeblichkeit feststellen“ und sie in einen seinem Mandanten verständlichen syrischen Dialekt des Arabischen übersetzen lassen. Die CD-ROM der Ermittlungsakte in Deutsch, welche dem Angeklagten überlassen wurde, reiche zur Vorbereitung der Verteidigung nicht aus; er spreche nicht gut genug deutsch.

A. Hamburg

A. Hamburg

Für den Fall, dass das Smartphone des Angeklagten als gerichtsverwertbar eingestuft werde, beantragte Hamburg ferner, das Protokoll eines Nachrichtenaustauschs seines Mandanten zu verlesen. Der belege, dass er gemeinsam mit Michael Riecher ein Immobilienprojekt in Syrien geplant habe. Es sei dort bereits aktenkundig und könne jetzt nicht fortgesetzt werden. Dies zeige, dass der Angeklagte keinen Vorteil aus Riechers Tod ziehe.

Richter Münzer vertagte die Stellungnahmen und Ergänzungen zu diesen Anträgen sowie die Entscheidung darüber auf den nächsten Termin der Hauptverhandlung. Die 1. Schwurgerichtskammer wird in dieser Sache am Donnerstag, 9. Mai, um 9 Uhr erneut zusammentreten.

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Erstellt:
03.05.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 27sec
zuletzt aktualisiert: 03.05.2019, 01:00 Uhr

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