Bundestagswahl

Arbeit, Wohnen, Integration

Die Reutlinger Kandidatin der Linken Jessica Tatti sieht ihre Chance nach Berlin zu fahren 50:50. Einbringen will sie sich dort zu 100 Prozent.

24.08.2017

Von Uschi Kurz

Als Vorstandsmitglied der Reutlinger Arbeiterbildung freut sich Jessica Tati über das Wachstum im Arbi-Garten hinter dem Hallenbad.Bild: Haas

Als Vorstandsmitglied der Reutlinger Arbeiterbildung freut sich Jessica Tati über das Wachstum im Arbi-Garten hinter dem Hallenbad.Bild: Haas

Sie ist so etwas wie der Shootingstar ihrer Partei. 2010 ist Jessica Tatti bei den Linken eingetreten, danach ging es für die Sozialarbeiterin politisch stramm voran: 2013 wurde sie bereits in den Landesvorstand gewählt, 2014 kandidierte sie für die Linke Liste Reutlingen und kam auf Anhieb in den Gemeinderat.

Nach den vergangenen vier Jahren befragt, nennt sie denn auch ihren Einzug in das Kommunalparlament als größtes Highlight. „Das war schon eine sehr positive Überraschung, dass es aufs erste Mal geklappt hat.“ Die Erfahrungen, die sie seither im Gemeinderat sammelt, empfindet sie als sehr lehrreich. Trotz aller unterschiedlicher Auffassungen, sagt sie, sei die Zusammenarbeit unter den verschiedenen Fraktionen im Gemeinderat vergleichsweise eng: „Jeder Stadtrat hat das Interesse, für die Stadt etwas Gutes zu bewirken.“

In der Landes- oder Bundespolitik, meint die 36-Jährige, die im vergangenen Jahr auch für den Landtag kandidiert hat, wehe sicher ein rauerer Wind. Bei der Landtagswahl scheiterte ihre Partei an der Fünf-Prozent-Hürde. Jetzt stehen die Chancen gut, dass sie im Herbst den Sprung in den Bundestag schafft. Ihre Ausgangsposition ist mit Listenplatz 5 durchaus aussichtsreich. Sie selbst spricht vorsichtig von fiftiy-fifty: „Es kommt halt auf die Zweitstimmen an.“ Und: „Ich wünsche mir sehr, dass es klappt.“

Um möglichst viele Wählerinnen und Wähler zu bewegen, ihr Kreuz bei den Linken zu setzen, macht sie einen engagierten Wahlkampf, nimmt weite Anfahrten in Kauf. In Rottweil, Stuttgart, Böblingen und Hohenheim war sie bereits. Beim Wahlkampf lerne man das Ländle kennen. Bei jeder großen Veranstaltung, jedem Podium lernt sie dazu. Anfangs, räumt sie ein, sei sie immer noch etwas aufgeregt gewesen. „Doch mit der Übung legt sich das.“

Arbeitsmarkt, Wohnen und Integrationspolitik – kurz soziale Gerechtigkeit –nennt sie als ihre Schwerpunkte. Über das Thema Arbeit hat sie während ihres Studiums geforscht und so schließlich auch ihre politische Heimat bei den Linken gefunden. Die geringen offiziellen Arbeitslosenzahlen bringen sie in Rage. Diese seien geschönt. Arbeitslose, die in einer Maßnahme, krank oder über 58 sind, fielen aus der Statistik. Gleichzeitig steige die Zahl der prekär Beschäftigten und die unfreiwillige Teilzeit. Diese Menschen könnten ihren Lebensunterhalt mit der schlecht bezahlten Arbeit gar nicht bestreiten und seien auf zusätzliche staatliche Unterstützung angewiesen.

Dass Arbeitslose mit Hilfe von Sanktionen gezwungen werden, auch unterbezahlte Arbeit anzunehmen, hält sie für einen großen Skandal – und Martin Schulzes Slogan „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ für „mehr Schein als Sein“: Schließlich wolle die SPD diese Sanktionen nicht streichen. „Wir haben den Höchststand an Leiharbeitern und Minijobs“, schimpft Tatti, da sei Altersarmut doch programmiert. „Wir wollen, dass alle Beschäftigungsverhältnisse vom ersten Euro an voll sozialversicherungspflichtig sind.“ Mit gleicher Vehemenz kritisiert sie, dass Frauen weiter deutlich weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Im gleichen Atemzug fordert sie eine Aufwertung der Pflege- und Erzieherinnenberufe. Das seien gesellschaftlich wertvolle Arbeiten.

Auch wenn eine solche Koalition mathematisch momentan in weiter Ferne liegt, wäre „Rot-rot-grün“ doch die einzige Konstellation, in der ihre Partei bereit wäre, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Und dann zählt sie drei No-Goes auf, die für sie ein Ende der Zusammenarbeit bedeuten würde, bevor sie begonnen hätte:

Keine Kampfeinsätze der Bundeswehr, keine Privatisierung von öffentlichem Eigentum, keine Förderung prekärer Beschäftigung. Zudem fordert Die Linke eine Millionärssteuer ab der zweiten Million in Höhe von fünf Prozent jährlich. Das würde 80 Milliarden in die Staatskasse spülen, die man in Pflege, Kitas, den ÖPNV und den sozialen Wohnungsbau stecken könnte. Schließlich, sagt Tatti, könne man nicht nur Forderungen stellen: „Wir sagen auch, wie man es bezahlen kann.“ Doch diese Forderungen sind es, die eine Koalition – ganz unabhängig von der rechnerischen Wahrscheinlichkeit – in weite Ferne rücken.

Kurzinterview: Vier Fragen an die Linken-Bundestagswahl-Kandidatin Jessica Tatti

Warum gehört Die Linke in den Bundestag?

Weil Die Linke auch nach jeder Bundestagswahl konsequent für bessere Löhne und soziale Sicherheit für alle eintritt und als einzige Partei Kriegseinsätze generell ablehnt.

Was wollen Sie dort persönlich in den nächsten vier Jahren erreichen?

Ich will ehrliche Schritte erreichen, dass die Menschen von ihrer Arbeit und Rente sicher leben können, dass sie endlich wieder leichter eine bezahlbare Wohnung finden und Waffenexporte in Kriegs- und Krisenregionen gestoppt werden.

Was war Ihr bisher größter
politischer Erfolg?

Als Patin des Jugendforums die Umsetzung des Platzes für die Jugend in der Pomologie – gemeinsam mit den Jugendlichen, anderen Paten und der Jugendarbeit.

Wie stellen Sie sich das perfekte
Wochenende vor?

Warmes Wetter, Zeit für Familie und Freunde, viel lesen, ein
modernes Jazz-Konzert und gutes Essen.uk

Die Reutlinger Linken-Kandidatin im Kurzporträt

Jessica Tatti hat italienische Wurzeln, ihre Eltern stammen aus Sardinien. Sie selbst ist 1981 in Marbach am Neckar geboren und im Landkreis Heilbronn aufgewachsen.

Tatti hat an der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg Soziale Arbeit studiert. 2010 zog die Sozialarbeiterin nach Reutlingen, wo sie zunächst in der städtischen Jugendarbeit tätig war.

Seit 2012 arbeitet sie im Landkreis Esslingen in der Sozialbetreuung von Flüchtlingen. 2010 ist Tatti in die Partei der Linken eingetreten – 2011 wurde sie in den Kreisvorstand, zwei Jahre später in den Landesvorstand gewählt. Seit 2014 sitzt sie für die Linke Liste im Reutlinger Gemeinderat. 2016 hat Tatti für den Landtag kandidiert.

Zum Dossier: Bundestagswahl 2017

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Erstellt:
24.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 24.08.2017, 01:00 Uhr

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