Audiovisuelle Schatzkiste

SWR-Fernsehbeiträge aus den 50er und 60er Jahren online

Der SWR öffnet als erster öffentlich-rechtlicher Sender sein Archiv. Tausende regionale Fernsehbeiträge aus den 50er und 60er Jahren stehen nun online.

30.10.2019

Von Tanja Wolter

Auch diesen historischen „Abendschau“-Beitrag zur Landtagswahl 1960 hat der SWR online gestellt. Foto: SWR/Hugo Jehle

Auch diesen historischen „Abendschau“-Beitrag zur Landtagswahl 1960 hat der SWR online gestellt. Foto: SWR/Hugo Jehle

In der Vorweihnachtszeit 1965 gab es in Mannheim ein besonderes Angebot für konsumfreudige Wirtschaftswunder-Bürger. Ein Kaufhaus eröffnete dort die erste Warenhaus-Zoohandlung Süddeutschlands. Die „Abendschau“ berichtete am 11. Dezember ausführlich – nicht ohne Ironie. So feixte der Fernsehreporter mit Blick auf einen käuflichen Rotfeuerfisch: „Keine Angst, das Gegengift lagert im Theresien-Krankenhaus.“ Und ein Aushang, der auf die mögliche Lieferung von Elefanten, Eisbären oder Gorillas hinweist, wurde mit der Bemerkung bedacht, da hätten die Käufer dann vielleicht doch ein Problem mit der Unterkunft.

Was bisher verschlossen in den SWR-Archiven an den Standorten Stuttgart, Baden-Baden und Mainz auf insgesamt 21 Kilometern Regallänge schlummerte, ist seit wenigen Tagen frei zugänglich – zumindest zu einem Teil. Der Südwestrundfunk macht mit seinem Projekt „SWR Retro“ als erster öffentlich-rechtlicher Sender sein historisches Bildmaterial der Öffentlichkeit zugänglich. Die Berichte, Dokumentationen, Reportagen, Sportsendungen und Unterhaltungsshows aus den Anfängen des Fernsehens – allesamt Schwarz-Weiß – finden sich in der ARD Mediathek.

Ursprünglich sei daran gedacht gewesen, das gesamte Archiv zu öffnen, sagt Archivleiter Frank Adam. „Aber der Aufwand für die Rechteklärung wäre viel zu groß.“ Problem: 1966 wurde ein neues Urheberrecht eingeführt, sodass man jeden Beitrag, der seither gedreht wurde, vor der Wiederveröffentlichung einzeln überprüfen müsste. Für ältere Beiträge gilt dies nicht, so dass sich das audiovisuelle Online-Archiv nun auf die Zeit bis 1965 beschränkt.

Aber auch so bietet „SWR Retro“ eine Fülle an historischem Material mit regionalem Bezug der Vorgängeranstalten Südwestfunk (SWF) und Süddeutscher Rundfunk (SDR). Gibt man als Suchwort beispielsweise Göppingen ein, kommen Handball-Fans auf ihre Kosten: Am 13. Dezember 1965 berichtete „Sport im Südwesten“ über die Vorbereitungen des damaligen deutschen Hallenhandball-Meisters Frisch Auf Göppingen für ein Europapokal-Spiel gegen den Ostblock-Klub Dukla Prag. Der Beitrag wurde in einer einfachen Schulturnhalle gedreht, in der die Göppinger damals nur zweimal pro Woche trainierten.

Gerade die damaligen Landesnachrichten bieten reichlich Stoff für eine Reise in die Gründungszeit der Bundesrepublik. So wurde 1956 in der Sendung „Von Rhein, Main und Neckar“ über das Jugendgefängnis in Schwäbisch Hall berichtet oder 1965 in der „Abendschau“ über die neue Universität Konstanz. Aber auch alte Folgen des Unterhaltungsformats „Die sechs Siebeng'scheiten“ sind abrufbar – eine Quizsendung, in der die Schüler zweier Schulen gegeneinander antraten und die es bis 1996 gab. Geradezu skurril mutet heute die SDR-Reihe „Gefährlich leben“ an, in der der Filmstuntman Armin Dahl seinen Beruf vorstellt, mit Ausschnitten von gefährlichen Stunts auf Tankern oder fahrenden Zügen.

Aktuell stehen laut Adam rund 2000 Dateien, sogenannte Files, in der Mediathek, bald sollen es 8000 sein. Ein Digitalisierungsroboter arbeitet Tag und Nacht daran, das auf Kassetten gespeicherte Material in Dateien fürs Internet umzuwandeln. Der Archivleiter stöbert selbst jeden Tag im Angebot und findet immer wieder Überraschendes, darunter Beiträge über Migranten in der Nachkriegszeit. Angetan haben es ihm auch Berichte über die Sportart „Motoball“, bei der die Spieler auf Motorrädern versuchen, im Fahren mit dem Fuß einen Ball ins Tor zu bekommen.

Grundlage für die neue Offenheit ist der reformierte Rundfunkstaatsvertrag. Mit der jüngsten Fassung, die seit Mai in Kraft ist, haben die öffentlich-rechtlichen Sender den Auftrag bekommen, zeit- und kulturgeschichtlich relevantes Material aus Archiven im Internet zur Verfügung zu stellen. Dass der SWR Vorreiter ist, liegt unter anderem daran, dass dessen Archivbestände bereits seit 2002 systematisch digitalisiert werden. Bis 2025 soll nahezu alles digital auf Kassetten vorliegen. Adam zufolge geht es um rund eine Million Beiträge. Bis in die 1990er Jahre hinein wurde noch auf 16-mm-Film gedreht.

SWR-Intendant Kai Gniffke sagte zum Start von „SWR Retro“: „Das ist wie eine Schatzsuche, nur dass man nicht suchen muss, sondern an jeder Stelle auf echte Highlights aus der Geschichte stößt.“ Als nächstes will der Sender auch das Hörfunk-Archiv nach vergleichbaren Kriterien öffnen. Wann es Nachahmer in der ARD-Familie gibt, ist noch offen. Die ARD-Hauptversammlung berät im November darüber. An der Begrenzung auf den Zeitraum bis 1966 lässt sich vorerst nichts ändern. „Wir hoffen aber, dass wir einen Diskurs anstoßen“, sagt Archivleiter Adam mit Blick auf die gesetzlichen Hürden.

Suche in der Mediathek

Das Angebot von „SWR Retro“ steht in der ARD Mediathek unter www.ardmediathek.de/swr zur Verfügung. Entweder scrollt man auf der Seite nach unten zu den entsprechenden Beiträgen. Um gezielt nach historischem Material zu suchen, kann man auch die Schlagwortsuche verwenden, für Ortsnamen, den Namen der Sendung, Personennamen oder Vereinsnamen. Die Retro-Fernsehberichte befinden sich in den Ergebnissen dann immer ganz unten, rein chronologisch sortiert. Das Material ist unzensiert und bewusst „nicht kuratiert“, also nicht handverlesen wie es etwa bei der „tagesschau vor 20 Jahren“ der Fall ist. two

Zum Artikel

Erstellt:
30.10.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 30.10.2019, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!