Takashi Miikes verstörender Horrortrip mit Traumfrau.

Audition

Takashi Miikes verstörender Horrortrip mit Traumfrau.

24.11.2015

Von che

Audition

"Man erholt sich nicht leicht von solchen Schicksalsschlägen", wird man am Ende von „Audition? briefkastenonkelmäßig belehrt, "aber irgendwann kommt der Tag, an dem Sie wieder lachen können." Ist das nun blanker Zynismus? Oder eher eine Prise Ironie zur Linderung des Schocks? Zuvor hat uns Regisseur Takashi Miike nämlich einen Gewaltexzess verabreicht, wie man ihn in dubiosen Trash-Videos aufgehoben wähnte, nicht aber bis dato im seriösen Kino.

Es wäre dennoch ein schweres Vergehen, "Audition" in die Schmutz- und Schmuddelecke zu stellen. Dagegen spricht schon die erste Stunde des Films, in der überhaupt nichts Spektakuläres passiert, so dass gewaltgeile Splatter-Fans unruhig auf ihren Sitzen herumrutschen dürften. Der Geschäftsmann Aoyama beschließt, sieben Jahre nach dem Tod seiner Frau, sich nach einer neuen Gefährtin umzutun. Zu diesem Behuf lässt er von einem Kumpel eine fingierte Audition, ein Vorsprechen von Schauspielerinnen, arrangieren, bei dem er tatsächlich auf seine Traumfrau stößt. Doch nach und nach kommt Aoyama dahinter, dass sich hinter deren äußerlicher Sanftheit ein Abgrund des Grauens auftut.

Die große Stärke von "Audition" ist seine Schwebelage. Bis zum Schluss und darüber hinaus darf gerätselt werden, was uns der Regisseur da eigentlich zumutet. Einen schweißfeuchten Männer-Alptraum, eine perverse Frauenfantasie, einen Thesenfilm über aus dem Ruder gelaufenen Vulgärfeminismus oder bloß einen besonders garstigen Mystery-Thriller?

Sicher ist, dass Miike, der vor "Audition" tatsächlich vorwiegend mit trashigem Kinderkram befasst war, ein begnadeter Regiekünstler ist. Bis zum blutroten Finale situiert er den Grusel mit vieldeutigen Bildern im Atmosphärischen. Wie ein Hitchcock auf LSD zieht er langsam und genüsslich an der Spannungsschraube, jongliert mit Andeutungen, die sich unmerklich zu einem Höllentrip verdichten.

Das Verstörende daran ist, dass es bei Miike - anders als im Mainstream-Kino üblich - keine Erlösung durch Erwachen gibt. "Brot und Tulpen"-Fans möchte man den Besuch des Films deswegen lieber nicht empfehlen. Alle anderen sollten sich das erste Tübinger Gastspiel des derzeit umstrittensten Regisseurs der Welt aber nicht entgehen lassen.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 01sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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