Auf Wunsch auch warme Pfannkuchen

Bernd Schilling sitzt bei Wind und Wetter auf dem Rad. Vor sieben Jahren hat er den derzeit einzigen Reutlinger Fahrradkurierdienst gegründet. Mittlerweile sitzt er in der Oberen Wässere und hat acht bis zehn Mitarbeiter, darunter auch sein Sohn Heinrich Raffael.

22.10.2012

Von Matthias Reichert

Der Reutlinger Fahrradkurierdienst von Bernd Schilling sitzt in der Oberen Wässere 6-8, Tel. 0 71 21 / 34 67 04. Siehe auch www.fahrradkurier-reutlingen.de im Internet.

Der Reutlinger Fahrradkurierdienst von Bernd Schilling sitzt in der Oberen Wässere 6-8, Tel. 0 71 21 / 34 67 04. Siehe auch www.fahrradkurier-reutlingen.de im Internet.

Reutlingen. Um die 50 Kilometer am Tag legt jeder der Reutlinger Fahrradkuriere zurück. Bei Wind und Wetter, Frost und Kälte, wenn die Leute den Schnee auf die Radwege schippen. Durch Baustellen und an Autoschlangen vorbei, auf Reutlinger Radwegen, die manchmal im Nirgendwo enden. „Man braucht 150-prozentige Konzentration, weil einen die Autofahrer teils komplett übersehen“, sagt Firmenchef Bernd Schilling. Am Tübinger Tor mussten die Radfahrer mit Anhänger monatelang durch den Außenbereich einer Eisdiele, erzählt er – und das im Sommer, als die Gäste draußen saßen.

„Manchmal sind wir schon Kampfradler“, meint Schilling. Mit hohem Risiko: Sein Sohn Heinrich Raffael prallte einmal frontal auf ein Auto, das ihm die Vorfahrt nahm – eine Narbe am Ellbogen kündet noch heute davon. Der Vater blieb an einer Eisenschranke hängen und war eine Woche krank. Bernd Schilling hat mit Aushilfen acht bis zehn Mitarbeiter. Sie liefern Pakete, Päckchen und Briefe aus, kaufen auf Wunsch auch Blumen und melden – mit Vollmacht – Autos bei der Zulassungsstelle an. Die Kuriere sind auf Sendungen spezialisiert, die schnell ankommen müssen. Beispielsweise Blutkonserven. Ein Anruf genügt: Die Sendungen sind mit Fahrradkurier „in zwei Stunden oder schneller am Ziel“, verspricht Bernd Schilling. „Wir springen aufs Fahrrad, wenn der Kunde anruft.“ Das sei ein anderes Firmenkonzept als bei der Post und privaten Zustellern wie S-Mail. Die Fahrradkuriere transportieren auch Dokumente für Behörden, leeren morgens regelmäßig deren Postfächer.

Firmenchef Bernd Schilling: “Manchmal sind wir schon Kampfradler"

Firmenchef Bernd Schilling: “Manchmal sind wir schon Kampfradler"

Ihre Kunden sind Firmen und Ämter von Reutlingen bis Wannweil und Kirchentellinsfurt. Die meisten sitzen indes in der Reutlinger Innenstadt. Bei Bedarf ist Sohn Heinrich Raffael auch in 20 Minuten in Gönningen, wie er sagt. Karin Hudjetz, die im Büro in der Oberen Wässere den kaufmännischen Part verwaltet, hat schon mal für einen Privatkunden einen frisch gebackenen Pfannkuchen ausgeliefert. „Der wurde nicht kalt“, sagt sie stolz. Für Osiander stellen die Kuriere Bücher aus Internet-Bestellungen zu – von Anfang an, schon bevor der Buchhändler in Tübingen mit der Schülerfirma Greenbooks zusammenarbeitete.

„Es gibt Tage, da hat man kaum Pausen und ist ständig unterwegs“, sagt der 20-jährige Heinrich Raffael Schilling. Er hat nach der Realschule zunächst als Kellner gearbeitet, vorigen Februar stieg er beim Vater ein. „Fahrradkurier macht viel mehr Spaß, und man hat mehr Freizeit“ – obwohl die Arbeitstage mit Pausen in der Regel von 6 bis 18 Uhr dauern und die stickige Großstadtluft nicht jedermanns Fall ist.
Vater Bernd ist gelernter Elektroinstallateur. Nach der Ausbildung gab es zu wenig Arbeit im Handwerk. Er jobbte im Restaurant, betrieb eine Kneipe und zwei Jahre lang in Griechenland ein Fast-Food-Restaurant. Zuletzt arbeitete er für drei Jahre in einem Reutlinger Callcenter, verkaufte dort Bücher und CDs. Als er gemeinsam mit Karin Hudjetz mit dem Fahrrad nach Marokko fuhr, entstand die Idee für den Kurierdienst. 2005 machte sich Schilling selbstständig – und will es bleiben, solange sich das Geschäft trägt: „Der Job hält gesund, und man bleibt fit“, schwärmt der 51-Jährige.

Anfangs kamen ihnen die Kontakte aus dem Callcenter zugute. „Von allein kommt selten etwas.“ Sie betrieben, „aktive Akquise“, stellten sich bei Firmen und Behörden vor, erkundigten sich bei Kurieren in anderen Städten. Es brauchte zwei, drei Jahre, bis der Kurierdienst lief – heute können die Schillings davon leben.
Die Sendungen kosten fünf Euro aufwärts – je nach Gewicht und Kilometerzahl. Die Schillings sind Reutlingens einziger Fahrradkurier. Für einen zweiten wäre der Markt zu klein, glauben sie. In großen Städten wie Frankfurt und Berlin gibt es mehrere. Bernd Schilling sagt: „Eine Stadt muss zirka 100 000 Einwohner haben, damit sich ein Fahrradkurier rentiert.“

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Erstellt:
22.10.2012, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 53sec
zuletzt aktualisiert: 22.10.2012, 12:00 Uhr

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