Sulz/Fischingen/Horb · Ärgernis

Auf dem Trockenen

Kanuverleiher Klaus Weiblen aus Fischingen erlebt eine Krise nach der anderen: Als ob Umleitungen, Regen, Müll und Corona nicht reichen, graben Arbeiten am Horber Wehr dem Unternehmer jetzt buchstäblich das Wasser ab.

03.07.2020

Von Cristina Priotto

Wenn Kanufahrer mit dem Boot an der Ausstiegsstelle in Horb ankommen, stehen sie vor einem Problem: Da der Neckar wegen der Baustelle am alten Stauwehr abgesenkt wurde, liegen die Stege nicht im, sondern fast zwei Meter über dem Wasser.Bilder: Karl-Heinz Kuball

Wenn Kanufahrer mit dem Boot an der Ausstiegsstelle in Horb ankommen, stehen sie vor einem Problem: Da der Neckar wegen der Baustelle am alten Stauwehr abgesenkt wurde, liegen die Stege nicht im, sondern fast zwei Meter über dem Wasser.Bilder: Karl-Heinz Kuball

Einen Dreizack wütend in den Fluss zu stemmen, das würde man Klaus Weiblen derzeit nachsehen. Doch ein solches Attribut des römischen Gottes „Neptun“ besitzt der Betreiber eines Kanuverleihs in Fischingen nicht. Dass der Bootsverleih nach dem Gott der fließenden Gewässer benannt ist, klingt 37 Jahre nach der Gründung des Unternehmens sarkastisch. Denn nachdem es für Weiblen in den vergangenen sieben Jahren immer mal wieder nicht gut lief, sitzt der 62-Jährige jetzt auf dem Trockenen – in vielerlei Hinsicht.

2014 begann für den Selbstständigen eine Pechsträhne. Schuld war seinerzeit die Sperrung der damaligen B14 (heute: L424) bei Ihlingen. Wenn der Kanuverleiher Gäste an der Ausstiegsstelle in Horb abholen wollte, mussten die Kleinbusse eine Umleitung fahren, brauchten dreimal soviel Zeit und doppelt soviel Sprit. Davon waren auch andere Autofahrer betroffen, doch selbst auf Weiblens Hauptroute, dem Neckar, gab es Hürden: Bei der Premiere von „Mission Mudder“ mussten nicht nur die Teilnehmer Hindernisse überwinden, auch Klaus Weiblens Kanu-Gäste blieben an einer Sperre aus Fässern im Fluss hängen. Die Veranstalter hatten schlichtweg vergessen, den Bootsverleih über die Barrieren zu informieren.

2015 überspülte Hochwasser den Platz in Fischingen, der Tourenanbieter konnte erst verspätet in die Saison starten. Auf die Baustelle bei Ihlingen folgten wegen der Abstufung der B14 zur Landesstraße 424 zwischen Sulz und Horb erneut Sperrungen in mehreren Abschnitten, ebenso anlässlich von „Mobil ohne Auto“. Wieder mussten die Transporter Umleitungen fahren, die Zeit und Geld kosteten.

2016 blieb der „Neptun“-Inhaber ausnahmsweise von größeren Katastrophen verschont, die Verluste der Vorjahre ließen sich aber dennoch nicht wieder auffangen.

2017 erlebte die Republik einen extrem verregneten August – und wieder traf dies Klaus Weiblen, denn deutlich weniger Boote als in sonnigen Monaten wurden während dieser Zeit gebucht.

2018 schien die Sonne in der Kanusaison zwischen Mai und September an sehr vielen Tagen heiß vom Himmel und bescherte ideale Paddel-Bedingungen – zumindest weitgehend, denn die Hitze sorgte für Niedrigwasser, wodurch die Fahrrinne auf dem Neckar schmäler wurde.

2019 folgte ein weiterer Rückschlag: Als die zwei Stauschwellen bei Dettingen aus dem Neckar entfernt wurden, erfuhr zwar der Kanuverband Tübingen von dem Eingriff in den Fluss, Weiblen hingegen sagte niemand Bescheid. Die Folge: Ahnungslose Kajakfahrer blieben mit den Booten an Eisenresten hängen, die Kanus wurden beschädigt. „Ich bin damals eigenhändig in den Neckar gestiegen und habe die Eisenrohre so umgebogen, dass keine Boote mehr daran hängen bleiben konnten“, erzählt Klaus Weiblen.

Klaus Weiblen

Klaus Weiblen

Angesichts von so viel Pech am Stück hätte mancher resigniert, aber Weiblen ist ein zäher Typ, hoffte auf Besserung. Doch 2020 häufen sich die Probleme so dick, dass alle bisherigen Erschwernisse in den Schatten gestellt werden.

Die Corona-Pandemie grätschte dem Bootsverleiher ins Geschäft: Anstatt im Mai starten zu können, musste der 62-Jährige auf eine Lockerung der Verordnung warten. Ein Lichtblick am Horizont tat sich an Fronleichnam auf, als Klaus Weiblen die erste Gruppe der Saison in Kajaks über den Neckar schippern ließ. Was der „Neptun“-Betreiber zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte: Es war wohl die einzige Tour des Jahres.

Denn die Touristen machten beim Ausstieg in Horb große Augen: Wegen des Rückbaus der alten Wehranlage war der Wasserspiegel des Neckars um 2,50 Meter gesenkt worden. Der Holzsteg hängt seither in der Luft, ein sicheres Ausbooten ist angesichts des Höhenunterschieds und des steilen, steinigen und verschlickten Terrains unmöglich. Die Kanuten aber mussten aus dem Wasser, rutschten auf den Steinen aus und schürften sich die Knie auf. Die Stadt Horb hatte vergessen, dem Kanuverleiher Bescheid zu sagen.

Ein Notsteg, den Klaus Weiblen etwa 100 Meter weiter flussabwärts am Radweg für fremde Kajakfahrer angelegt hat, schien dem „Neptun“-Inhaber eine Alternative, um auch eigenen Kunden eine sichere Ausstiegshilfe zu bieten. 70 Stunden Arbeit investierte der Fischinger in eine weitere Plattform unterhalb des zweiten Stegs, überzeugt, diese sei für den künftig niedrigeren Wasserstand geeignet. „Ich habe am Dienstag erfahren, dass der zu hoch ist“, erzählt ein frustrierter Weiblen.

Als Konsequenz hat der „Neptun“-Inhaber die Strecke auf den Neckar-Abschnitt zwischen Sulz und Fischingen verkürzt, nach Horb lässt Klaus Weiblen niemanden mehr fahren, da der Ausstieg wegen des Niedrigwassers dort zu gefährlich ist. Der Flusszugang beim „Edeka“-Parkplatz in Sulz birgt allerdings ebenfalls tückische Gefahren: Regelmäßig muss der Kanuverleiher zwischen den Altglascontainern und dem Ufer Scherben und Müll beseitigen.

Bei der Firmengründung 1984 war Weiblen der erste lizenzierte Kanutouristiker auf dem oberen Neckar. Mittlerweile beschäftigt der Bootsverleiher zwei Festangestellte und hat einen Bestand von rund 80 Kanus. Doch im 37. „Neptun“-Jahr sind die Angestellten wegen Corona in Kurzarbeit, die Soforthilfe deckte nur die Versicherungskosten. „Ich hatte diese Saison 420 Euro Umsatz“, sagt Klaus Weiblen. Dabei muss der Selbstständige von Mai bis September die Einnahmen für das ganze Jahr erwirtschaften, doch aktuell geht es an die Rücklagen.

Die Perspektive für die nächsten Jahre bereitet dem Kanutouristiker Kopfzerbrechen: Die Horber Wehr-Baustelle wird im Frühjahr 2021 fortgesetzt, dann soll auch die Brücke zwischen Mühlheim und Fischingen abgerissen, zudem stehen wegen des Hochwasserschutzes in Fischingen in den nächsten Jahren große Eingriffe in den Neckar und die Ufer sowie weitere Einschränkungen und Sperrungen bevor.

Obwohl der Frust tief sitzt, schwingt der „Neptun“-Betreiber nicht zornig den Dreizack des Firmen-Namenspatrons, sondern schreibt auf der Homepage des Kanuverleihs optimistisch: „Wir schaffen das.“ Mehr Glück wäre Weiblen wirklich zu wünschen.

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Erstellt:
03.07.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 48sec
zuletzt aktualisiert: 03.07.2020, 01:00 Uhr

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