Horb · Pflege

Aufmerksamkeiten für die Laune

Die Bewohner und Angestellten der Horber Altenpflegeheime erleben die aktuelle Situtation noch einmal etwas intensiver.

28.03.2020

Von Benjamin Breitmaier

Das Horber Altenpflegeheim „Ita von Toggenburg“ feierte vor zwei Jahren 50-jähriges Bestehen. Archivbilder: Karl-Heinz Kuball

Das Horber Altenpflegeheim „Ita von Toggenburg“ feierte vor zwei Jahren 50-jähriges Bestehen. Archivbilder: Karl-Heinz Kuball

Es war der Freitag vor zwei Wochen, 13. März. Die Horber Stadtverwaltung klärte an dem Tag über eine Anordnung der Landesregierung auf – der Beginn massiver Einschränkungen des öffentlichen Lebens, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Ein Teil der Landesverordnung war ein Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen. Seither befinden sich mehr als 150 ältere Horber in den beiden Einrichtungen der katholischen Spitalstiftung Ita von Toggenburg und Bischof Sproll in Isolation.

Kein Besuch der Enkelchen, keine guten Bekannten, die zum Kaffee vorbeischauen, keine persönlichen Geburtstagsgrüße – seit 14 Tagen, ohne absehbares Ende. Wie groß ist also die Belastung der Älteren durch die Corona-Isolation? Wie gehen die Pflegekräfte mit einem drohenden Lagerkoller um? Spitalstiftungsdirektor Thomas Müller arbeitet bereits seit 1986 in der Pflege. Eine ähnliche Situation hat er noch nicht erlebt: „Dass es so knüppelhart kommt, das hätte ich mir nicht träumen lassen. Das ist eine richtige Nagelprobe“, erklärt er im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE.

Bewohner relativ entspannt

Doch die Stimmung unter den zu Pflegenden sei bisher trotz Corona-Isolation gut: „Im Moment ist es so, dass die Bewohner das noch relativ entspannt sehen“, kann Müller beruhigen. Dafür gibt es Gründe: „Die Leute haben schon mehrere Krisen erlebt, haben Krieg gesehen, die Ölkrise, Tschernobyl.“ Dadurch könne sie nicht mehr viel aus der Ruhe bringen. Ganz spurlos geht das Besuchsverbot an den Bewohnern jedoch nicht vorbei. Müller: „Die Angehörigen-Besuche werden schon vermisst, aber jeder akzeptiert es, da jeder weiß, man ist Teil einer besonderen Risikogruppe.“

Die Pflegekräfte bemühen sich aktuell, einen möglichst strukturierten Tagesablauf für die isolierten Bewohner zu gestalten: „Der Tagesablauf sieht ähnlich wie davor aus“, so Müller. Die Kommunikation laufe hauptsächlich über die klassische Telefonleitung. In den Einrichtungen gibt es bisher keine W-Lan-Netze, um auch Video-Telefonie zu ermöglichen. Dafür gebe es zwar Pläne, aber die Umsetzung dauert.

Die Laune der Bewohner wird auch durch kleine Aufmerksamkeiten hochgehalten: Es gibt Eis, mehr Obst, Merci-Tafeln – „als Dank, dass jeder mitzieht. Wir lassen uns jede Woche etwas Neues einfallen“, so Müller. Er würde sich freuen, wenn man auch Kooperationen mit Schulen oder Kindergärten anleierte. „Für eine Malaktion oder Ähnliches“, überlegt der Stiftungsdirektor. Denn die Theater- und Singspiele der Schüler, die ansonsten regelmäßig in den Einrichtungen aufgeführt werden, würden schon fehlen.

Die große Anzahl an Unterhaltungsangeboten und Aufmerksamkeiten gelingt jedoch nur, weil die Stiftung in ihren Pflegeheimen aktuell personell unerwartet gut ausgestattet ist: „Teil der Landesverordnung war es auch, dass wir die Tagespflege und die Nachtpflege einstellen mussten.“ Dieses Personal stehe jetzt in den Heimen zur Verfügung. „So sind viele Einzelgespräche und Einzeltherapie möglich“, erklärt Müller.

Um die Kunden in der Tagespflege kümmern sich jetzt hauptsächlich die Angehörigen. „Solange wir keine Fremdeinwirkung haben, können wir den Alltag normal halten“, so Müller. Das liegt auch an „einem tollen Team“, so der Stiftungsdirektor, „die geben alles, die Motivation ist absolut hoch“.

Selbst für das geistliche Wohl der Bewohner ist gesorgt: In der Hauskapelle von Ita von Toggenburg gibt es eine Übertragungssystem mit Kamera, genau wie in der Auferstehung-Christi-Kirche auf dem Hohenberg. Dort gibt unter anderen Diakon Klaus Konrad geistliche Impulse zu Bibelstellen oder zelebriert „Wort-Gottes-Feiern“, die in die beiden Häuser übertragen werden. „Das wird sehr gut angenommen“, freut sich Müller. „Die Bewohner sitzen dann vor dem Fernseher. Sie singen und beten mit, sind live dabei. Das gehört für uns als christliches Haus dazu.“

Einfach sei laut Müller die Situation in den Heimen jedoch keinesfalls. Die Vorgaben der Landesregierung für die Bevölkerung können im Pflegebetrieb nicht immer umgesetzt werden. „Aktuell diskutieren wir, ob man die Bewohner ein wenig auseinandersetzt. Doch die sind etwas anderes gewohnt, wenn man sie auseinandersetzt, geht es mit der Unsicherheit los“, gibt Müller zu bedenken. Sein Team und er wollen daher sukzessive Maßnahmen wie größere Abstände beim Essen einbauen. Doch der Stiftungsdirektor stellt auch fest: „Es lässt sich in der Pflege nicht immer vermeiden, dass man die eineinhalb Meter manchmal unterschreitet.“ Manche Bewohner müssten beispielsweise zu zweit versorgt werden. Das Pflegepersonal sei laut Müller aber hervorragend ausgebildet und geschult in der Infektionsprophylaxe. Trotzdem gebe es auch unter dem Personal Unsicherheiten und „ein komisches Bauchgefühl“.

Müllers größte Befürchtung: Neue Risikopatienten. „Einige Anfragen in der Kurzzeitpflege haben wir schon abgesagt“, erklärt der Stiftungsdirektor. Bei Neuaufnahmen müssen die Patienten einen Fragebogen ausfüllen: Waren sie jüngst in einem Risikogebiet? Hatten sie Kontakt zu Risiko-Personen? Müller rechnet in absehbarer Zeit damit, dass es auch Einschränkungen zur Kurzzeitpflege von Seiten der Landesregierung gibt. Er stellt die Frage in den Raum, ob die Kurzzeitpflege aktuell überhaupt noch Sinn ergibt: „Die Leute sind ja nur kurz im Haus, eigentlich müsste man bei Neuaufnahmen Quarantäne anordnen, da würden die Leute erstmal 14 Tage in ihr Zimmer gesteckt. Das ist nicht unsere Philosophie.“ Der für ihn schlimmste Fall wäre eine Situation wie in Würzburg, wo bereits elf Bewohner eines Pflegeheims an Covid-19 gestorben sind.

Massive Markt-Eruptionen

Deswegen achten die Teams des Spitalstiftung darauf, dass die Hygienemaßnahmen so gut es geht eingehalten werden. Ausgestattet seien Müllers Leute noch ausreichend. Doch auch die Spitalstiftung spürt die massiven Markt-Eruptionen bei Hygieneartikeln: „Wir haben noch einen gewissen Bestand an Atemschutzmasken“, er habe aber schon versucht das Lager aufzustocken und sei dabei auf Angebote gestoßen, die das Drei- bis Vierfache des gängigen Kaufpreises verlangen. Müller sei das egal, denn es gelte Bewohner und Personal zu schützen. „Sobald wir einen Corona-Fall im Haus haben, dann wird es eng“, gibt er zu Bedenken. Der Stiftungsdirektor hofft daher auf eine zentrale Beschaffungsstelle des Gesundheitsministeriums, die wiederum Krankenhäuser und Pflegeheime versorgt.

Probleme ziehen für den Stiftungsdirektor aber auch von anderer Seite auf: Die Sozialstation macht ihm Sorgen. Aktuell verzichten zahlreiche Kunden auf das Angebot, weil die Angehörigen einspringen. Im vergangenen Jahr machten die Mitarbeiter 10000 Hausbesuche. Die Zahl wird für das Jahr 2020 deutlich niedriger ausfallen. Außerdem gibt es laut Müller im ambulanten Bereich noch keine Verordnungen, an denen sich die Mitarbeiter orientieren können. „Die Sozialstation ist aber nach wie vor unterwegs“, betont der Stiftungsdirektor. Er schaut aktuell danach, wie die Touren anders gestaltet werden können, damit die Kunden mit möglichst wenig verschiedenen Personen Kontakt hätten. Er ist sich aber sicher: „Da werden auch klare Regelungen folgen.“

Spitaldirektor Thomas Müller

Spitaldirektor Thomas Müller

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Erstellt:
28.03.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 18sec
zuletzt aktualisiert: 28.03.2020, 01:00 Uhr

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