Der neue Tübinger Basketballer im Porträt

Augustine Rubits langer Weg zum Korb

Am Donnerstag startet Augustine Rubit in die neue Saison der Basketball-Bundesliga. Der US-Neuzugang der Walter Tigers Tübingen hat eine lange Reise hinter sich. Dieses Porträt erschien vor etwas mehr als einem Jahr auf www.espn.com

30.09.2014

Augustine Rubit: Der Weg zum Korb

Der Forward von South Alabama fand Basketball und eine Familie, als er sie dringend brauchte

Von Eamonn Brennan | ESPN.com

Aus dem Englischen übersetzt: Jack Lohrmann

Er war immer zu still – er brachte seine Schwester auf die Palme.

Sie hatte bereits genug Probleme. Eine junge Mutter mit 17, noch eins unterwegs, verließ Lorraine Rubit die Houston High School und wandte sich der Familie zu, indem sie ihre Wohnung in einem Niedriglohn Wohnkomplex im Nordosten von Houston zu einem Zuhause machte. Sie wusste, dass sie Fehler gemacht hatte, das würde sie aber nicht wiederholen. Sie würde für ihre Kinder alles richtig machen.

Augustine Rubit.

Augustine Rubit.

Verlierer zu sein war nicht allein ihre Schuld. Die Wohnung gehörte nicht ihr – juristisch genau betrachtet. Sie gehörte ihrer Mutter. Dann war da noch ihr Bruder, Mitchell, und ihre Schwester, Ashanti, und ihre Zwillingsschwester, Mary, deren Behinderung ihre Zeit schon voll in Anspruch nahm. Da gab es nicht immer etwas zu essen, aber sie konnte es ja teilen. Die Kleidung war nicht immer sauber, aber immer geordnet wenn das Jugendamt vor der Tür stand. „Nein, unsere Mutter ist gerade nicht zu Hause, aber es sieht doch alles ganz gut aus, oder?“ Sie half bei den Hausaufgaben, wann sie konnte.

Ihre Mutter war dem Crack Kokaine verfallen. Na und? Lorraine würde die Mutter sein. Die Rubit Kinder würden mitmachen. Manchmal machte es sogar Spaß.

Aber Lorraine machte sich hauptsächlich wegen Augustine Sorgen. Sie konnte nicht verstehen, warum ihr Bruder immer so still war. Sie konnte nur Wut empfinden. Ihre Mutter kam oft nach zwei oder drei Tagen auf der Straße nach Hause, benebelt und aus der Bahn geworfen, und um rumzukommandieren. Oder sie kam irgendwann nach längerer Zeit aus dem Gefängnis und versprach bessere Zeiten. Die Wohnung bebte von Lorrains Vorwürfen. “Wo bist Du gewesen? Was hast Du getrieben? Wir sind Deine Kinder! Du tust uns Unrecht!?

Aber Augustine, ganze 12, weinte nie, erhob nie seine Stimme, zuckte nie zusammen. Er sagte einfach nichts.

"Es war nicht, dass ich keine Wut empfand,? sagte Rubit, mittlerweile 24 und in dem Jahr Star Forward in South Alabama. "Ich habe nichts kapiert. Ich wollte nur meine Mutter sehen."

Bereits mit 12 hatte Rubit gelernt, sich in aller Öffentlichkeit zu verstecken.

Am ersten Tag in der sechsten Klasse in einer der schätzungsweise acht oder neun Grundschulen die er besuchte, musste Rubit von seiner neuen Wohnung aus eine längere Busstrecke zur Schule zurückzulegen. Der Bus hatte Verspätung. Der Lehrer begann Fragen zu stellen. Wohin bist Du umgezogen? Bei wem wohnst Du? Augustine hatte schon oft diese besorgten Gesichter gesehen und wusste, Was das bedeutete – Jugendamt, zurück ins System. Er wollte bei seinen Brüdern und Schwestern bleiben. Er wusste über die Schule Bescheid. Ein Erziehungsberechtigter musste Dinge unterschreiben. Seine Mutter war nicht da, und Lorraine wolltr die Unterschrift nicht fälschen. Die Lösung war einfach.

„Wenn ich nicht in die Schule gehe“, dachte er, „können sie mich nicht fortnehmen“.

Also blieb Augustine versteckt und still. Er schwänzte die gesamte sechste Klasse. Er fiel durch.

Jetzt, im letzten Winter machte Rubit sein College Examen an der University of South Alabama. Als „Redshirt Junior? 2012-13, hatte er einen Durchschnitt von 19,4 Punkten und 10,5 Rebounds pro Spiel, und wurde, trotz des 17-15 Ergebnisses seiner Mannschaft, zum „All-American“ Spieler ehrenhalber ernannt. Seine Chance bei der NBA konnte er nicht verwirklichen, aber eine Karriere in Europa scheint sicher. Er wird das erste Mitglied seiner Familie mit einem College Abschluss sein. Hauptfach? Kommunikation.

Der Pfad, der Rubit davor bewahrte, ein weiterer, vergessener Sohn der Drogen-zerrissenen Innenstadt zu werden, und der ihn zum Gipfel im College Basketball führte, den er jetzt erreicht hat – er ist womöglich einer der besten Spieler der Mittelklasse und unzweifelhaft einer der besten Rebounder des Landes auf allen Ebenen – wurde ihm durch eine Entscheidung seiner Schwester nach der verbummelten sechsten Klasse gezeigt.

"Wir waren so eng und es schmerzte so sehr?, sagt Lorraine, "und ich wollte nicht dass man glaubt ich würde meine Familie vernachlässigen, oder dass sie für mich egal war. Aber nach diesem verbummelten Schuljahr, das war als ich eine Entscheidung traf“.

Lorraine hatte gesehen, was das Versteckspiel angerichtet hatte: Augustine blieb nachts länger und länger weg, ohne eine Erklärung nach Hause zu kommen. Sie entschied: Augustine musste zurück in Verwahrung und bei seiner anderen “Spielmutter? wohnen, bei seiner Großmutter, Doris Brown.

Rubit war drastisch in seiner schulischen Leistung zurückgeblieben, aber mit Doris tat er genug, um aufzuholen und weiterzumachen. Er begann sich für Sport zu interessieren. Football kam als erstes, dann faszinierte ihn aber Basketball. In der neunten Klasse fiel ihm Basketball am leichtesten.

Das war, als er die Familie Trauber kennenlernte.

Steve Trauber, ein ehemaliger Spieler an der Rice University in Texas und stellvertretender Vorsitzender und weltweiter Chef für Energiefragen der Citybank, und seine Frau Leticia Trauber, waren dabei, ein AAU (Amateur Athletic Union) Team zusammenzustellen – Houston Select. Steve sollte Coach werden, und Leticia würde sich um das Übrige kümmern. Ihr Sohn, Matthew Trauber, war nach eigenem Recht ein angehender Star-Korbjäger.

Die Traubers wollten einen Ort für Kinder in Houston schaffen, “die in Gefahr waren, auf die schiefe Bahn zu geraten?, sagte Leticia. 2006 hielten die Traubers ein Probetraining ab für eine Gruppe der talentiertesten und gefährdetsten jungen Spieler. Rubit war dabei und Leticia fiel er sofort auf.

"Er war gewöhnlich allein", sagte Leticia. "Seine Schuhe und Zeug fielen praktisch auseinander. Jeden Tag beim Training trug er die gleichen Hemden und Hosen. Ich gab ihm Geld and sagte ihm, er solle sich einige T-Shirts und Schuhe kaufen".

Im ersten Jahr verriet Rubit den Traubers wenig von seinem eigenen Leben. Er war still. Die Traubers öffneten ihr Zuhause für viele der Jungen im Team; Es gab keine Straße, die Leticia Trauber nicht abklapperte, um die jungen Spieler sicher nach Hause zu bringen.

Im zweiten Highschool Schuljahr weckte Augustines Beherrschung des Spielfeldes – er war als Rebounder nicht aufzuhalten – landesweit das Interesse der Rekrutierer. Leticia Trauber war besorgt, dass jemand den netten und scheuen Freund ihres Sohnes übervorteilen würden. Sie und Steve intervenierten, halfen mit Besuchen bei Colleges, beantworteten deren Fragen. Wie sahen sein Zeugnisse aus?

"Ich besorgte die Auszüge von der Schule", sagte Steve. "Und das war absolut die schlechteste Highschool in Houston … Sie erlaubten, dass er direkt aus der Klasse in die Turnhalle ging. Sie wollten ihn einfach durch das System zwängen. Sie hatten ihn aufgegeben".

Also stürzten sich die Traubers hinein. Sie fanden einen Tutoren, trugen ihn in Abend- und Sommerkurse ein, saßen mit ihm vor und nach dem Training, hielten ihn an, die Arbeit ernst zu nehmen. Wenn er keine Mitfahrgelegenheit hatte, arrangierte Steve einen Fahrdienst, um Rubit dorthin zu fahren, wohin er gehen musste. Bald war Rubit öfter bei den Traubers als nur für ein Basketball-Essen und Videospiele mit Sohn Matthew. Bald war er fast immer da; bald war er eingezogen.

"So viele von diesen Kids sind gute Kids, die einfach keine Chance haben“, sagt Steve Trauber, der ungefähr eine Million Dollar seines eigenen Vermögens seit 2006 ausgab, um Houston Select zu fördern. "So viele von ihnen wohnen in einem Umfeld, wo die familiären und nachbarschaftlichen Bedingungen null Möglichkeiten zu einem College Besuch bieten".

Steve und Leticia kannten die Einzelheiten von Rubits Herkunft nicht genau. Er bat nie um etwas, sah aber die Möglichkeiten, die die Traubers ihm boten und griff zu. Allerdings hasste er es, von ihnen weg zu sein.

"Ich erkannte, was eine Familie ist", sagte Rubit. "Die ganze Familie war da, sie nahmen jeden Abend zusammen die Mahlzeiten ein. Alles fühlte sich wie zu Hause an. Als ich aufwuchs hatte ich hatte nie eine Beziehung wie diese. Jemand, der sich freut, dich zu sehen, der dir das Gefühlt gibt , jemand zu sein, ein Mensch zu sein."

2009, als Rubit zuerst in South Alabama ankam, fuhren Leticia und ihre Tochter, Lexi, jetzt 21, ihn nach Mobile, um Augustine bei der Einrichtung seines Zimmers im Studentenwohnheim zu helfen. Als sie wegfuhren, sagte Leticia, weinten beide. Später erzählte Rubit ihr, sei es das Schwierigste in seinem Leben gewesen, dem Auto nicht nachzurennen.

"Das war eines der schlimmsten Dinge in meinem Leben“, sagte Rubit. "Ich wollte nicht, dass sie weggingen. Sobald ich in meinem Zimmer war, glaubte ich in einem Gefängnis, oder auf einer Insel zu sein. Oder als ob mich alle aufgegeben hätten.

"Verstehst du, ich weiß nicht, warum man sich so vorkommt, " sagte Rubit.“Aber es kam mir so vor, als hätte ich niemand mehr."

Nur die Taubers blieben zurück. Erst später, als Leticia Augustine bat, ihr beim Umzug ihres Sohnes aus seiner College-Wohnung in Colorado zu helfen, öffnete sich Augustine ihr und erzählte wie seine Kindheit wirklich gewesen war, aber es war egal. Als er ins College ging, war er bereits zum Bruder ihrer Kinder geworden. Aug war ihr Sohn.

Die Traubers steckten Augustine Ziele, und er folgte ihnen – seine Noten wurden besser, er quälte sich beim Fitness. Als Redshirt Studienanfänger 2010-11 wurde er der Sun Belt Aufsteiger des Jahres. Im zweiten Schuljahr machte er im Durchschnitt 15,2 Punkte und 9,2 Rebounds und erzielte 50,6 Prozent aus dem Feld. Er wurde immer besser. In der letzten Saison erzielte Rubit 19,4 Punkte und 10,5 Rebounds und wurde zum besten Sun Belt Spieler des Jahres.

Im folgenden Jahr wurden die Ziele der Familie andere: Werde ein Sunbelt Academic All-American, gewinne die Liga, spiele im NCAA Tournier unter einem neuen Coach, dem ehemaligen Butler University Coach-Assistent Matthew Graves. Sowohl Graves als auch Trauber überlegen sich, wie sie Rubits Spiel verbessern können, nicht nur um die NBA Scouts zu beeindrucken, sondern ihm auch die harte Arbeit, bei zwei Mannschaften im unteren Block zu ersparen. Das erste, was Graves nach der Pressekonferenz tut, ist mit Rubit zu arbeiten. Was er sieht, begeistert ihn.

"Die größte Überraschung bei seiner ersten Übungseinheit war, wie geschickt er mit dem Ball vom Rand aus war“, sagte Graves. "Er hatte einfach während der College Karriere keine Gelegenheit das zu tun. Aber wenn er mehr Selbstvertrauen gewinnt und sich in unserer „Ball-Screen“ Verteidigung wohler fühlt, wird er uns zeigen, wozu er fähig ist.“

Der größte Erfolg, nämlich das, was am meisten zählt, war jetzt schon gut zu erkennen.

"Von Anfang an sagten wir, dass Basketball nur ein Mittel war, seinen College Abschluss zu machen", sagte Leticia. "Es war uns nicht bewusst, dass er auf einem so hohen Niveau spielen konnte. Das Ziel war der Abschluss. Das ist das, was er uns von Anfang an versprochen hatte."

Nach jeder Spielzeit versuchten Agenten Rubit zu schnappen, in der Annahme, dass ein Spieler mit seiner Vergangenheit so bald wie möglich Ball spielen wollte. Das kam für ihn nie in Frage.

"Ich werde meinem Abschluss machen", sagte er.

Zu Hause im Nordosten von Houston, geht es den Rubits auch besser. Lorraine ist jetzt 31, ebenfalls mit einem College Abschluss. Sie hat vor, Gruppenunterkünfte für Risikofamilien in ihrer Gegend zu errichten.

Ihre Tochter, Chelsea, ist jetzt 12. Ihr Sohn, Terrence, ist 14 – und vergöttert seinen Onkel.

"Er spricht ständig von ihm", sagt Lorraine. "Augustine dies und Augustine das".

Die Mutter von Lorraine und Augustine, Kimberly, ist seit elf Jahren sauber. Ihr letzter Kampf mit Kokain endete 2002, als sie mit Zwillingen schwanger war – ein Schock für die Familie und sie selbst. Sie verbrachte die gesamten neun Monate vor der Geburt von Jamarri und Jamaria im Krankenahaus. Jedes Jahr wenn der Geburtstag der Zwillinge gefeiert wird, feiern sie auch ein weiteres Jahr der Nüchternheit von Kimberly. Augustine kommt auch noch immer nach Hause. Er macht die Runde in der Nachbarschaft, schaut bei der Familie und alten Freunden vorbei. Seine Beziehung zur biologischen Familie ist "hervorragend", sagt er; und er ist stolz auf das Positive das seine Familie aus ihrem Leben gemacht hat. Aber noch immer verbringt er den Sommer mit den Traubers. Da ist es, wo er sich zu Hause fühlt.

Ab und zu treffen Augustines Welten aufeinander. Die Traubers nahmen während der Spielzeit Kimberly mit nach South Alabama, wo sie zum ersten Mal ihren Sohn spielen sah. Aber fast seine ganze biologische Familie hat ihn noch nie bei einem Spiel in Person erlebt.

In dieser Spielzeit hat sich das geändert. Am 6. Dezember 2013, besuchte South Alabama Rice University in einem Trainingsspiel, wo seine Familie ihn sehen konnte.

Alle sagen Aug spricht jetzt mehr. Er starrt nicht mehr auf seine Füße und brummt nicht mehr in seinen Bart; Die Kommunikationskurse haben seine Unsicherheit aus ihm herausgehauen. Er verschweigt seine Kindheit nicht mehr; er beschreibt sie ausgelassen in spannenden Einzelheiten, sogar einem Reporter gegenüber, dem er vorher nie begegnet war.

"Ich will nur, dass er weiß, egal was er macht, in der NBA, in Übersee, als Coach – irgendetwas – dass ich stolz auf ihn bin allein wegen der Tatsache, dass er der erste in unserer Familie ist, der studiert hat", sagte Lorraine. "Von allem, was er am College erreicht hat: das war das Größte. Er hat umsonst studieren können. Das wird ihn den Rest seines Lebens begleiten.

"Und die Traubers? Sie waren Mutter und Vater für ihn. Sie waren ein Geschenk Gottes. Sie waren für ihn da, als er sonst niemand hatte".

Am 6. Dezember, 15 Meilen von jenem Ort entfernt, den er ein Jahr lang zu vermeiden versucht hatte wegen Menschen die ihn von der einzigen Familie, die er je hatte, entfernen wollten, hat Rubit seine zwei Familien aus zwei verschiedenen Umgebungen in der gleichen Turnhalle zusammengebracht. Sie kamen natürlich um zu sehen, was er am besten konnte, aber hauptsächlich um ihn anzufeuern. Sie hielten Schilder hoch, riefen seinen Namen und sagten ihm wie stolz sie auf ihn waren und wie sehr sie ihn liebten.

Als das Spiel vorbei war, konnte er seine zwei Familien umarmen.

Und letztlich: Augustine Rubit muss sich nicht mehr verstecken.

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Erstellt:
30.09.2014, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 8min 28sec
zuletzt aktualisiert: 30.09.2014, 12:00 Uhr

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