Benefizkonzert

Bach bei Günther Jauch

Die gebürtige Tübingerin Lara Boschkor und das Landesjugendorchester NRW konzertieren am Sonntag zu Gunsten von „Ein Hospiz für Tübingen“. Von Achim Stricker

14.10.2016

Von Achim Stricker

Privatbild

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Auf dem Areal des Paul-Lechler-Krankenhauses soll ein stationäres Hospiz gebaut werden. Dafür engagiert sich seit 2013 der Verein „Ein Hospiz für Tübingen“ zusammen mit dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission. Seit 2014 unterstützen regionale Musiker, Chöre und Ensembles das Projekt mit Benefizkonzerten. So kamen bereits über 150 000 Euro Spenden zusammen.

Am Sonntag tritt nun das Landesjugendorchester Nordrhein-Westfalen zu Gunsten des Hospiz-Baus auf. Solistin ist die international gefeierte Geigerin Lara Boschkor – vor wenigen Tagen 17 Jahre alt geworden –, die zu diesem Konzert an ihren Geburtsort Tübingen zurückkehrt.

Aufgewachsen im niederrheinischen Kleve, kennt Lara Boschkor Tübingen aber von zahlreichen Besuchen; ihre Großeltern und ein Onkel leben hier. Besonders schöne Erinnerungen verbindet sie mit dem „Österberg, wo wir oft Drachen steigen ließen.“

Zur Violine kam Boschkor mit vier Jahren, und zwar „ganz normal und unspektakulär“, durch einen Schnupperkurs an der Musikschule. „Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten, Spieltechniken und Klangfarben des Instruments“ faszinierten sie von Anfang an: „Ich empfinde die Violine als ein sehr individuelles, persönliches Instrument.“

„Ganz normal und unspektakulär‘ fanden Boschkors Eltern zunächst auch die raschen Fortschritte ihrer Tochter, bis eines Tages nach einem Schülerkonzert eine Zuhörerin sie ansprach und davon überzeugte, dass die außergewöhnliche Begabung der damals Achtjährigen umfangreicher gefördert werden müsste. 2007 wurde Lara Boschkor am Precollege der Musikhochschule Köln aufgenommen. Im selben Jahr debütierte sie mit ersten Solo-Konzerten und hatte gleich einen Fernseh-Auftritt: „Ich habe bei Günther Jauch einen Satz aus einer Bach-Partita gespielt.“ Daraus macht sie so wenig ein Aufhebens wie aus ihrem Debüt in der Carnegie Hall 2014.

Die internationale Aufmerksamkeit kam 2013, als Boschkor mit zwölf, dreizehn Jahren als jeweils jüngste Teilnehmerin eine Reihe renommierter Violin-Wettbewerbe gewann: Brahms- und Carl-Flesch-Wettbewerb, die Goldmedaille im Szeryng-Wettbewerb in Mexiko. Die Deutsche Stiftung Musikleben stellte ihr eine Violine von Carlo Antonio Testore (Mailand, 1740) zur Verfügung. Auftritte in Berlin, Zürich, Paris, Jerewan, Osaka und den USA, in den großen Konzerthäusern der Welt und auf den namhaften Festivals. Einige der legendären Violin-Konzerte hat sie schon gespielt: Mendelssohn, Brahms, Tschaikowsky, Sibelius, Berg. Gern würde sie einmal das erste Violinkonzert von Schostakowitsch oder das Violinkonzert von Nielsen spielen.

Eine Zeit lang ließ sich das alles mit der Schule vereinbaren, auch wenn ihr täglich oft nicht mehr als zwei Stunden zum Üben blieben, während es am Wochenende schon mal sechs Stunden werden durften. Auch drifteten die Welten zunehmend auseinander – ihre musikalischen Interessen und Erfahrungen konnte sie kaum mit ihren Mitschülern teilen. Zudem wurden am Klever Gymnasium „die Fehlzeiten wegen Proben, Wettbewerben und Konzertreisen sehr ungern gesehen.“

Mittlerweile Jungstudentin an der Frankfurter Musikhochschule, verließ Boschkor die Schule nach der elften Klasse und bereitet sich nun an einer Abendschule für Berufstätige aufs Abi vor. Der Wechsel von Präsenz- und Distanzphasen (mit Online-Unterricht) kommt ihrem Violin-Studium entgegen. „Natürlich ist es trotzdem nicht immer einfach, beides miteinander zu vereinbaren.“ In der Abendschule gehört Musik nicht zu den Unterrichtsfächern.

Aktuell ist Boschkor auf Konzertreise mit dem Landesjugendorchester NRW, mit acht Auftritten in Deutschland und Italien – am Sonntag im Tübinger Uni-Festsaal, auf dem Weg nach Mailand und Padua: „Es ist das erste Mal, dass ich mit einem Jugendorchester spiele und es ist toll, mit welcher Begeisterung und mit welchem Einsatz meine Altersgenossen musizieren.“

Der polnische Komponist Henryk Wieniawski war wie Boschkor 17 Jahre alt, als er 1852 sein erstes Violinkonzert schrieb – voll jugendlichem Überschwang und leidenschaftlich ungestümer Virtuosität, zumal im brillanten Rondo-Finale mit slawischem Kolorit. „Ich habe das Konzert schon geliebt, als ich es zum ersten Mal gehört habe“, erzählt Boschkor: „Heroische und pathetische Stellen wechseln mit virtuosen Passagen und Kantilenen. Der langsame Satz, dem Wieniawski den Titel ‚Preghiera‘, ‚Gebet‘, gab, ist sehr ruhig, wie eine Atempause, aber von ausgeprägter Empfindsamkeit.“

Tatsächlich wird Wieniawski erst seit etwa 30 Jahren wiederentdeckt. „Möglicherweise hat man sein Konzert in die Schublade eines oberflächlichen Bravourstücks gesteckt“, überlegt Boschkor. „Natürlich ist es einerseits sehr virtuos komponiert, aber es enthält andererseits auch unglaubliche Tonpoesie.“ Zudem wurde der jüdische Komponist im Nationalsozialismus diffamiert und seine Musik mit starken Nachwirkungen aus den Konzertprogrammen verbannt. So ist es auch ein Anliegen des Landesjugendorchesters, wieder an Wieniawskis Werk zu erinnern.

Die schönste Reaktion auf einen Auftritt bekam Boschkor einmal von einem kleinen Mädchen: „Sie wollte nach dem Konzert mit mir sprechen, aber sie fand mich nicht. Deshalb schickte sie mir eine Karte mit der Post. Die Worte, die sie geschrieben hat, haben mich sehr berührt und ich habe die Karte eingerahmt.“

Das Programm des Hospiz-Benefizkonzerts

Ein Auftragswerk Das Landesjugendorchester NRW konzertiert unter der Leitung von Hubert Buchberger am kommenden Sonntag, 16. Oktober um 20 Uhr im Uni-Festsaal.

Auf dem Programm stehen Henryk Wieniawskis Violinkonzert op. 14, Johannes Brahms‘ Vierte Symphonie op. 98 sowie das Auftragswerk „Tragisches Divertimento – Hommage à C.P.E. Bach“ des 1978 geborenen Komponisten Yasutaki Inamori. Eintritt frei, Spenden erbeten zu Gunsten des Vereins „Ein Hospiz für Tübingen“.