Kreis Tübingen

Bahn-Chaos: Entschädigung gibt‘s frühestens im Juni

Genervte Pendler werden wohl noch Monate auf die angekündigte Entschädigung für Zugausfälle und Verspätungen warten müssen.

06.02.2020

Von Hans-Jörg Schweizer

Warten auf den Zug – für Tübinger Pendler eine ebenso ungeliebte wie alltägliche Beschäftigung. Bild: Hans-Jörg Schweizer

Warten auf den Zug – für Tübinger Pendler eine ebenso ungeliebte wie alltägliche Beschäftigung. Bild: Hans-Jörg Schweizer

Kritik an der Bahn liegt im Trend. Immer. Seit Herbst 2019 hatten Bahnreisende rund um Tübingen allerdings besonders oft Grund zur Klage: Aufgrund des Lokführermangels bei der Bahn und ihren Töchtern gab es deutlich mehr Verspätungen und Zugausfälle, als die DB-Kundschaft ohnehin gewöhnt ist (wir berichteten mehrfach).

Nun hat das Stuttgarter Verkehrsministerium entschieden, dass Pendler für erlittene Unbill wenigstens finanzielle Wiedergutmachung erhalten sollen: „Dauerkarteninhaber bekommen auf Strecken mit besonders schlechten Leistungen im vergangenen halben Jahr einen Monatsbeitrag erstattet“, verkündet das Ministerium in einer Pressemitteilung vom Donnerstag.

Nur: Was genau ist eine Strecke mit besonders schlechten Leistungen? Gehören die Verbindung von Tübingen nach Stuttgart, nach Herrenberg, Rottenburg oder Mössingen dazu? Immerhin fielen gerade auf der Neckar-Alb-Bahn und auf der Ammertalbahn in den vergangenen Wochen und Monaten zig, wenn nicht hunderte Verbindungen wegen Personal- oder Materialmangels komplett aus. Zum Jahresende 2019 eskalierten die Probleme bei der Bahn so weit, dass Fahrpläne vorsorglich zusammengestrichen wurden, um wenigstens die verbleibenden Verbindungen einigermaßen sicher bedienen zu können.

Ob die geplagten Bahnkunden aus dem Kreis Tübingen in den Genuss der angekündigten Entschädigung kommen, konnte das Verkehrsministerium am Donnerstag nicht beantworten. „Die Details müssen jetzt mit den Betreibern ausgearbeitet werden“, sagte Ministeriumssprecherin Julia Pieper auf Nachfrage. „Wir wollen eine zeitnahe Lösung.“ Zeitnah? „In den nächsten Monaten.“ Es müssten erst noch Kriterien aufgestellt werden. Der Teufel liege da im Detail, sagt Pieper.

Bei genauer Lektüre des Ministeriumsschreibens keimen Zweifel auf, ob alle verärgerten Bahnkunden aus der Region Tübingen wirklich in den Genuss einer Entschädigung kommen werden. Denn da heißt es, dass „Pendlerinnen und Pendler (...), die über den gesamten Zeitraum von Juni 2019 bis Januar 2020 auf Strecken mit erheblichen Verspätungen und Zugausfällen unterwegs waren“, einmalig den Gegenwert einer Abo-Rate erhalten. Über den gesamten Zeitraum? Es bleibt spannend, wo das Ministerium tatsächlich die Schmerzgrenze ziehen wird.

Landrat fordert Entschädigung

Wie oft muss man wegen ausgefallenen Zügen zu spät zur Arbeit oder zur Schule gekommen sein? Wie viele Stunden muss man sich beim Warten auf dem Bahnsteig die Beine in den Bauch gestanden haben, um entschädigungswürdig zu sein? Fragen, die sich wohl auch der Tübinger Landrat Joachim Walter (CDU) stellt: Das Land habe sich bereiterklärt, wegen der Zugausfälle auf der Filstalbahn Entschädigungen für die dortigen Pendler zu leisten, schreibt Walter in einem Brief an Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) und fordert auch für die Ammertalbahn Entschädigung.

Zugausfälle und -schwächungen im Ammertal seien mit denen im Filstal vergleichbar: „Allein am letzten Dienstag sind am Nachmittag und Abend 14 Züge ausgefallen. In der zweiten Kalenderwoche 2020 verkehrten 45 Prozent aller Züge geschwächt und 10 Prozent aller Züge fielen ganz aus. Bei über der Hälfte der Züge war also die Leistung mangelhaft.“

Die DB Zug-Bus Regionalverkehr Alb-Bodensee GmbH (RAB) sei nicht in der Lage, die vom Zweckverband ÖPNV Ammertal (ZÖA) bestellten Leistungen zu erbringen. Und Walter macht sich keine Illusionen, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern könnte. Die RAB habe in Gesprächen die Engpässe bei Fahrzeugen, Verzögerungen bei der Instandsetzung und Probleme durch Personalverlust eingeräumt, „ohne dass eine nachhaltige Besserung in Sicht wäre“.

Auch in seiner Funktion als Präsident des Landkreistages Baden-Württemberg beklagt Walter, die „unhaltbaren Zustände“ im Schienenverkehr, welche die Pendler zurück zum Individualverkehr und damit auf die Straße treiben würden. „So wird nachhaltige Mobilität ad absurdum geführt“, schreibt Walter und fordert auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) auf, nicht weiterhin tatenlos zuzusehen. Walter bezichtigt Verkehrsminister Hermann, „um des schnellen Euros willen die Fahrzeugkapazitäten bewusst auf Kante genäht zu haben, obwohl ein Anstieg der Fahrgastzahlen absehbar war und vor allem auch politisch gewollt ist“.

Der Landrat verweist auch auf die Initiative „Parents for Future“, die sich an Reutlinger und Tübinger Bundes- und Landtagsabgeordnete, Landräte und Kreistage gewandt hat und in einem Forderungskatalog zur Bahn-Misere auch Entschädigungen im Regionalverkehr verlangt.

Lösung erst im Sommer

Mit einem Resultat der Verhandlungen zwischen Land und Eisenbahnunternehmen über die „gemeinschaftliche Finanzierung“ und die Verfahrensweise bei der Entschädigung rechnet das Verkehrsministerium Ende Juni. Dann soll es eine unbürokratische Möglichkeit geben, Entschädigung zu beantragen. Bis dahin bleibt den Pendlern wohl nur, unbedingt alle Dauerkarten aufzubewahren.

Es wird eng bei Personal und Fahrzeugen

Grund für die Misere auf den Bahnstrecken rund um Stuttgart ist unter anderem die Vergabe eines Teils der Stuttgarter Netze durch das Land an Abellio. Im Juni 2020 übernimmt das Eisenbahnunternehmen als letzte von drei Strecken auch die Verbindung Tübingen–Stuttgart durchs Neckartal von der Bahn. Mangels beruflicher Perspektive bei der Bahn sollen sich allein in den Wochen vor Weihnachten etwa 30 Lokführer aus dem Bereich Tübingen wegbeworben haben. Abellio hat außerdem auf den bereits übernommenen Strecken Probleme bei der Fahrzeugbeschaffung, sodass die Bahn dem Konkurrenten nun mit Material und Personal aushelfen muss. Fahrzeuge und Lokführer, die auf den anderen Strecken der Bahn fehlen.

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Erstellt:
06.02.2020, 20:33 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 06.02.2020, 20:33 Uhr

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