Kino

Sophie Scholl auf Instagram: „Beängstigend real“

Sie spielt Sophie Scholl auf Instagram – und nun in „Je suis Karl“ eine junge Frau, die Rechtsextremen verfällt. Ein Gespräch mit der 21-Jährigen Luna Wedler.

14.09.2021

Von Jana Zahner

Die junge Maxi (Luna Wedler, Mitte) wird von dem charismatischen Karl (Jannis Niewöhner, Mitte) für die Zwecke einer rechtsextremen Bewegung eingespannt. Ihr Vater (Milan Peschel, rechts) ist entsetzt. Foto: Pandora Film/Tom Trambow

Die junge Maxi (Luna Wedler, Mitte) wird von dem charismatischen Karl (Jannis Niewöhner, Mitte) für die Zwecke einer rechtsextremen Bewegung eingespannt. Ihr Vater (Milan Peschel, rechts) ist entsetzt. Foto: Pandora Film/Tom Trambow

Berlin. Eine Paketbombe tötet Maxis Mutter und ihre zwei Brüder. Von Trauer gelähmt lernt die Berliner Schülerin den charismatischen Karl (Jannis Niewöhner) kennen, der sie zu Treffen der paneuropäischen Bewegung „Re/Generation Europe“ mitnimmt. Dort machen hip gekleidete junge Menschen zusammen Musik, verkosten Gin – und hetzen gegen Einwanderer und Muslime. Maxi lässt sich für die Neuen Rechten einspannen, ohne die radikalen Ziele der Gruppe zu erkennen. Der Film „Je suis Karl“ von Christian Schwochow kommt am 16. September in die Kinos. Hauptdarstellerin Luna Wedler (Maxi) ist seit Mai auch in der Serie „Ich bin Sophie Scholl“ auf Instagram zu sehen. Im Interview spricht die 21-Jährige über rechte Rhetorik, was sie derzeit wütend macht und warum soziale Medien auch aufklären können.

Frau Wedler, in „Je suis Karl“ spielen Sie Maxi, eine traumatisierte junge Frau. Wie fühlt man sich in eine so gebrochene Figur ein?

Luna Wedler : Ich fühle mich meinen Rollen immer sehr nah – weil wir im selben Alter sind und ich ein empathischer Mensch bin. Schon beim Lesen des Drehbuchs kamen mir die Tränen. Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, die eigene Familie zu verlieren, aber mit etwas Mitgefühl kommt man in diese Trauer hinein. Ich sehe Maxi übrigens nicht als Opfer, sondern als Kämpferin. Sie geht raus, sucht nach Antworten – auch wenn sie das auf eine gefährliche Reise bringt.

Maxi trifft im Film auf den Kopf einer europäischen Jugendbewegung, die stark an die rechtsextreme Identitäre Bewegung erinnert. Was macht Re/Generation so gefährlich?

Ich wusste vorher wenig über Gruppen wie die Identitäre Bewegung. Das Gefährliche ist: Man erkennt die Neue Rechte nicht mehr sofort als rechtsextrem, es sind keine Skinheads. Die Leute bei Re/Generation sind jung, gebildet und sehen cool aus. Alles ist einladend und schön, nichts passt in das Bild, das wir von Rechten haben. Sie nutzen soziale Medien und sie können richtig gut reden.

Rhetorik spielt eine große Rolle im Film . . .

Als wir eine Szene geprobt haben, in der Jannis Niewöhner einen Monolog spricht, musste ich abbrechen und habe zum Regisseur gesagt: Er hat mich schon überzeugt. Das liegt auch daran, wie Jannis Karl spielt, der ein sehr undurchschaubarer Mensch ist.

Können Sie nachvollziehen, warum Maxi, die in einem linksliberalen Elternhaus aufgewachsen ist, der Faszination der Truppe erliegt?

Ich kann es gut nachvollziehen. Es gab schon die Kritik, dass sich Maxi zu schnell wandelt. Für mich ist die Entwicklung gerechtfertigt. Es geht im Film auch um die Frage: Wie verführbar sind wir, wenn wir alles verloren haben? Plötzlich ist jemand da, der dir Antworten gibt – auch wenn es die falschen sind. Ich glaube, dass das sehr schnell gehen kann.

Im Film geht es auch um das Erwachsenwerden einer jungen Frau, die viel Wut in sich trägt. Was macht Sie selbst aktuell richtig wütend?

Gerade machen mich die Corona- und Klimakrise-Leugner sehr wütend. Ich finde es egoistisch und verantwortungslos, noch so zu denken. Es geht nicht mehr darum, was gut für einen selbst ist, es geht um die Mitmenschen, die ganze Welt. Es geht um Solidarität. Aber ich bin ein sehr hoffnungsvoller Mensch und glaube, dass wir das alles hinbekommen.

„Je suis Karl“ gibt relativ früh preis: Karl begeht als Flüchtling verkleidet Anschläge. Das erinnert an den Bundeswehroffizier Franco A., der derzeit als mutmaßlicher Rechtsterrorist vor dem Frankfurter Oberlandesgericht steht. Ist der Film für Sie eher eine Gegenwartsanalyse oder warnende Zukunftsvision?

Durch die Erstürmung des Kapitols oder jüngste Anschläge aktueller denn je

Einige Zuschauer finden ihn überspitzt und etwas extrem. Ich glaube, das liegt daran, dass man gegenwärtig vieles verdrängt, das passiert. Man denke nur an die Erstürmung des Kapitols in den USA oder die Anschläge in Halle und Hanau. Für mich ist der Film aktueller denn je und beängstigend real.

Ihre bisher intensivste Rolle?

Auf jeden Fall eine meiner intensivsten. Maxi ist sehr herausfordernd, aber ich mag es, über meine Grenzen zu gehen. Es war toll, mit Regisseur Christian Schwochow zu arbeiten, weil er eine sehr ehrliche Art hat. Bevor du ihn begrüßt hast, kennt er schon deine Ängste und Unsicherheiten und geht darauf ein. Seine Szenen sind sehr nah am Leben, er improvisiert gerne.

In der Serie „@ichbinsophiescholl“ von Südwestrundfunk und Bayerischen Rundfunk spielen Sie ebenfalls die Hauptrolle: Sophie Scholl erzählt dabei auf Instagram die letzten zehn Monate ihres Lebens. Fast eine Million Menschen verfolgen den Kanal – eine große Verantwortung.

Ich fühle mich total geehrt, dass ich für die Rolle angefragt wurde. Das ist ein riesiger Druck, der sich bis jetzt durchzieht, denn mein größter Wunsch ist, ihr gerecht zu werden.

Der Dreh ist abgeschlossen, veröffentlicht werden die Videos und Fotos seit dem 4. Mai, dem Tag von Sophie Scholls Abreise von Ulm nach München 1942. Verfolgen Sie die Reaktionen?

Ich schaue es mir regelmäßig an. Das Schöne ist, dass die Kommentare mehrheitlich positiv sind und unser tolles Team alles beantworten kann. Die Leute machen mit, es entsteht eine Diskussion über Probleme, die es in dieser Zeit schon gab.

Die Serie erntet viel Lob. Manche Kritiker finden jedoch die Grundidee „Was, wenn Sophie Scholl Instagram gehabt hätte?“ problematisch. Die 1943 hingerichtete Widerstandskämpferin musste im Verborgenen arbeiten und hätte somit nie ein soziales Medium genutzt, heißt es.

Ich war am Anfang auch skeptisch. Meine Bedingung war: Sophie Scholl soll keine Influencerin werden. Kritik am Projekt kommt häufig von Leuten, die sich noch nie mit Instagram beschäftigt haben. Soziale Medien sind nicht nur dummes Zeug, es kommt darauf an, wie man es nutzt. Instagram ist das perfekte Format, jüngere Leute darauf aufmerksam zu machen und Sophie Scholl nicht nur als Heldin, sondern als junge Frau zu zeigen.

Können Sie etwas über das Ende der Instagram-Serie verraten?

Wir hören auf mit der Verhaftung. Es muss immer einen Grund haben, warum Sophie die Kamera laufen lässt und etwas festhalten will. Es gibt keinen Grund, warum sie sich in dieser Situation filmen sollte. Wir beenden die Serie mit Beiträgen, die erzählen, was danach mit der Weißen Rose passiert ist.