„Den Quatsch wegmachen“

Bei Facebook motzen junge Männer über Tempo 30

Seit Januar ist schon bekannt, dass auf dem Innenstadtring rund um den Alten Botanischen Garten Tempo 30 eingeführt wird. Seit einer Woche gilt es nun, und plötzlich hagelt es Proteste – von jungen Männern auf Facebook. Auch Schilder und Transparente, die auf das neue Tempolimit hinwiesen, wurden zerstört.

29.11.2012

Von Sabine Lohr

Tübingen. Die Hinweise waren nicht zu übersehen: Quer über die Straße gespannt wiesen Transparente an der Blauen Brücke, in der Mohlstraße und in der Westbahnhofstraße auf die neue Tempo-30-Zone hin und ergänzten so die frisch aufgestellten Verkehrsschilder. Doch am Wochenende ließen Gegner des neuen Tempolimits ihre Wut aus. Drei Tempo-30-Schilder in der Mohlstraße wurden demoliert, das Transparent in der Friedrichstraße (Blaue Bücke) wurde gestohlen, das in der Mohlstraße zerschnitten. Die Stadtverwaltung stellt nun eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung.

Tempo 30 auf dem Altstadtring - der Unmut dagegen ist groß.

Tempo 30 auf dem Altstadtring - der Unmut dagegen ist groß.

Oberbürgermeister Boris Palmer vermutet, dass die Beschädigungen einen Zusammenhang mit einer Facebook-Seite haben, die seit wenigen Tagen geschaltet ist. „Gegen den Tempo-30-Wahnsinn in Tübingen“ heißt sie. Der Ton dort ist ruppig. „Dieses Grüne Gesindel geht mir sowas auf den Geist, normalerweise sollte man zum Bossa im ersten oder zweiten Gang hupend bei Nacht durch das Kaff fahren. Gott sei Dank bin ich da nicht so oft. Bin froh, dass ich auf der Alb lebe, da ist die Welt noch in Ordnung“, schreibt einer. Ein anderer schlägt Protestaktionen vor: „Schablonen erstellen und aus allen 30 eine 80 machen; Politisch: Einen OB Kandidat für die nächste Wahl finden und den Quatsch wegmachen; Aktuell: Wir gehen raus auf die Fahrradwege und demonstrieren.“

Deutliche Worte: „Denen hackt es total“

Überhaupt wird Palmer auf der Seite für die neue Tempo-30-Zone verantwortlich gemacht. Dabei hat nicht die Stadtverwaltung, sondern das Regierungspräsidium (RP) die entsprechende Anordnung erlassen. RP-Sprecher Axel Bernhard sagt, das Amt habe die Stadtverwaltung aufgefordert, Vorschläge zur Luftreinhaltung zu machen, wie es eine EU-Richtlinie vorschreibt. Das hat Palmer getan. Diese Vorschläge wurden vom RP geprüft. „Wenn einer oder mehrere dieser Vorschläge die Luftqualität nachweislich verbessern, müssen wir deren Umsetzung anordnen“, so Bernhard.

Palmer hingegen hätte die Temporeduzierung lieber erst dann gehabt, wenn der Einbahnstraßenring aufgehoben ist. Denn „auf einer zweispurigen Einbahnstraße wirkt Tempo 30 lahm“, gibt er zu. Das finden auch die Facebook-Nutzer. „Durch diese nicht nachvollziehbare Entscheidung, die von Leuten getroffen wurde, die täglich nur bequem im Sessel sitzen, geht gar nichts mehr. Armes Tübingen“, schimpft einer. Und ein anderer berichtet: „Bin gerade von Lustnau (Adlerkreuzung ) mit dem Auto in den Hagellocher Weg gefahren. Da bekommt man ne Macke. Denen hackt es total.“

In den Leserbriefen des TAGBLATTs hingegen macht sich solch massive Unmut kaum Luft. Was vielleicht am Alter der jeweiligen Nutzer liegen könnte. Eine Statistik, die auf der Facebook-Seite steht, zeigt, dass es vor allem (42,4 Prozent) 18- bis 24-jährige Männer sind, die sich dort aufregen. Das hat auch Palmer schon vermutet: „Es geht um junge Männer und ihr Bedürfnis, schnell zu fahren“, mutmaßte er in Facebook – undwurde prompt dafür beschimpft.

Manche vermuten, es gehe ums Abzocken

„Ein äußerst ruppiger“ Umgangston herrsche auf Facebook, sagt Palmer. Das stört ihn – ebenso aber stört ihn, „dass Argumente nicht zur Kenntnis genommen werden“. Jeder schreibe eben, was ihm gerade durch den Kopf gehe. „Das sind bisher unkontrollierte Effekte der Neuen Medien.“

„Bin mir sicher, dass in ein paar Wochen mehrere Blitzanlagen an den Straßenseiten platziert werden um das Ganze zu überwachen und uns Bürgern wieder mal pädagogisch was beibringen zu wollen, dass es nur ums Kassieren geht“, schreibt eine Facebook-Nutzerin. Sie ist nicht die Einzige, die der Verwaltung vorwirft, es gehe bei der neuen Tempo-30-Zone nur ums „Abzocken“. Bisher jedoch wurde noch nicht geblitzt. „Wir werden schon kontrollieren, aber erst nach einer Übergangszeit – eben weil wir nicht abzocken wollen“, sagt Palmer dazu. Wie lang diese Frist geht, will er aber nicht preisgeben.