Horb/Rottweil · Justiz

Beim Sperrmüll kennengelernt

Verhandlungstag fünf im Prozess um den gewaltsamen Tod von Michael Riecher in Nordstetten: Zeugen lieferten Erkenntnisse zu Opfer und Angeklagten.

29.05.2019

Von Cornelia Addicks

In Rottweil wird der Prozess am mutmaßlichen Mord des Nordstetteners Michael Riecher verhandelt. Bild: Mathias Huckert

In Rottweil wird der Prozess am mutmaßlichen Mord des Nordstetteners Michael Riecher verhandelt. Bild: Mathias Huckert

Zunächst schien es ein ganz normaler Verhandlungstag zu werden: Die beiden Angeklagten wurden hereingeführt, die Fußfesseln klirrten leise. Der Ältere erhielt eine Tüte mit Äpfeln, die seine Frau mit in den Saal gebracht hatte. Sein Verteidiger händigte die Früchte an den Angeklagten aus. Die Anwälte der Nebenklage streiften rasch ihre Roben über, die Richter und die beiden Schöffinnen betraten den Schwurgerichtssaal. Zwei Zeugen hätten umgeladen werden müssen, stellt der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer fest. Man suche noch einen Übersetzer für Kurmandschi, eine der drei kurdischen Sprachen. Ein weiterer Zeuge habe sich krank gemeldet, ein Attest wolle er nachreichen.

Dann rief Münzer eine 50-Jährige aus Empfingen in den Saal. Mit fester Stimme sagt die Zeugin: „Ich möchte Sie bitten, die Aussage nicht öffentlich zu machen“. Die Nachfrage Münzers, ob die Besprechung dazu ebenfalls nicht öffentlich sein soll, bejaht die ehemalige Partnerin des ersten Angeklagten. Die Medienvertreter und die Zuhörer müssen den Saal verlassen. Eine halbe Stunde später verkündet Richter Münzer die Ablehnung des Antrags: Da es bei der Befragung nicht um intime Details, sondern um Wahrnehmungen gehen würde, sei die Voraussetzung für den Ausschluss der Öffentlichkeit nicht gegeben. Zwei Stunden lang dauert die Vernehmung der 50-Jährigen, die den ersten Angeklagten, einen Syrer mit Flüchtlingsstatus, im Februar 2016 in Tübingen bei einer Benefizveranstaltung kennengelernt hatte. Der Angeklagte hatte damals noch in einer Sammelunterkunft gelebt.

Freundschaft mit Michael Riecher

Ab Mai 2016 waren die beiden ein Paar, doch dann beendete der Angeklagte die Beziehung abrupt. Seine Familie in der Heimat setze ihn unter Druck, er solle eine arabische Frau heiraten und Kinder bekommen, gab er als Grund an. „Wir haben beide geweint wie die Schlosshunde“, erinnert sich die Zeugin. Nach einer kontaktlosen Zeit hätten sie sich „auf Freundschaftsebene“ wieder getroffen. Als der Angeklagte Michael Riecher kennenlernte, war die Zeugin dabei. Riecher habe ein neuwertiges Sofa für die Sperrmüllsammlung vor das Haus gestellt. „Ich habe geklingelt und gefragt, ob wir es mitnehmen dürften“, erzählte sie. Hieraus habe sich eine Freundschaft zwischen Riecher und dem Angeklagten ergeben, die so weit ging, dass der Nordstettener den Syrer und dessen junge Ehefrau in sein Elternhaus einziehen ließ.

Der Angeklagte sei ein „sehr liebenswerter Mensch, der keiner Fliege was zuleide tun kann“, sagte die Zeugin und schob nach: „Er hat nur einen Fehler: Wenn man ihn fünf Mal was fragt, bekommt man fünf andere Antworten.“ Als sie ihn nach der Tat besuchte, weil sie ihn nicht erreichen konnte, sei sie ganz schockiert gewesen: „Wie ein schlechter Film, das Haus war umzingelt von Polizisten.“

Mitte Oktober hatte er sie anpumpen wollen. „Er war richtig fertig, sagte, er bekomme große Probleme mit jemandem, wenn er kein Geld auftreiben könne“. Die Frage, wer das denn sei, blieb unbeantwortet. Dann habe der Angeklagte ihr gesagt, dass er sein Auto verkaufen wolle. „Dabei war das doch sein Ein und Alles.“ Zur Hochzeit des Ex sei sie nicht gegangen, obwohl er sie eingeladen hatte.

Haus als Schnäppchen angeboten

Auf die Frage Münzers nach der Miete – 300 Euro seien doch recht wenig für ein so großes Haus – sagte die Zeugin, der Angeklagte habe wohl Hausmeisterarbeiten für das spätere Opfer erledigt. Ob es sich um Schwarzarbeit gehandelt habe, hatte die Zeugin nie hinterfragt. Auch dass dem Angeklagten das Haus für nur 10000 Euro zum Kauf angeboten worden sei, habe sie gehört. An Allerheiligen habe der Angeklagte ihr gesagt, dass Riecher befürchte, dass er „nicht mehr lange leben, bald sterben“ würde.

Die Prozessbeteiligten erfuhren, dass die Zeugin „in Mathe nicht so bewandert und etwas unpünktlich“ sei, „ganz anders als der Angeklagte“, und dass sie es mit Nachnamen „nicht so habe“. Nein, der Ex habe weder Gebetsteppich noch Koran gehabt, hätte auch die Regeln des Ramadan nicht befolgt. Alkohol? „Ab und zu ein Bierchen, mehr hat er nicht vertragen.“

Für Aufsehen sorgte ein 30-Jähriger Zeuge aus Ludwigsburg, der aus Stammheim vorgeführt wurde. Dort sitzt er eine Haft wegen Beschaffungsdelikten ab. Nach Rottweil war er mit einem T-Shirt mit dem Aufdruck „FUCK“ gekommen. Der zweite Angeklagte – Spitzname Ibo – sei im Sommer 2018 sein Nachbar in einer Unterkunft für sozial schwache Bürger in Ludwigsburg gewesen.

Man habe zusammen Cannabis und Kokain konsumiert. „Ibo“ habe zwar kaum Deutsch gekonnt, doch dessen Beschwerde über die „Scheißsituation, die ihn ankotzt“ habe er verstanden. Der Nachbar, der aus Palestina stamme, sei der Ruhigste von allen gewesen. Er müsse wohl „wo reingezogen“ worden sein.

Angeklagter erhielt Kredit

Um einiges länger dauerte die Aussage der Personalchefin eines Empfinger Unternehmens. In diesem hatte der erste Angeklagte zunächst ein Praktikum absolviert, dann als angelernter Arbeiter etwas über 2000 Euro brutto verdient. „Integration hat stattgefunden“, sagte die 59-Jährige. Auch wenn der Syrer „nicht der Schnellste“ und „nicht prädestiniert für eine Ausbildung“ gewesen sei, so habe sie seine Arbeitsleistung als Elektrohilfskraft doch als „okay“ befunden. Überstunden habe er durch das Übersetzen von Schriftstücken und Katalogen ins Türkische machen können.

Als der junge Mann unbedingt ein Auto brauchte, gewährte ihm der Betrieb einen Mitarbeiterkredit – „den ersten in der Geschichte der Firma“ – in Höhe von 10000 Euro. Als er das Auto verkaufen wollte, habe man sich dagegen gestellt. Schließlich hatten die Chefs ja den Fahrzeugschein als Sicherheit einbehalten.

Einen „fast väterlichen Freund“ habe der Syrer im Betrieb gefunden, doch der habe später enttäuscht die Förderung sein lassen. Für ein gewisses Erstaunen sorgte die Zeugin, als sie berichtete, dass man den jungen Mann, der in seiner Heimat angeblich Mathematik studiert hatte, ohne jegliche Dokumente eingestellt habe. „Ich habe dem vertraut, was auf dem Papier stand“, sagte sie und bezog sich dabei auf die Bewerbung, die mit Hilfe des Freundeskreises Asyl zustande gekommen war.

Reichtum als Lebensziel

Auch das Alter des „freundlichen, willigen“ Mitarbeiters sei nicht so ganz klar. Seine Deutschkenntnisse? Gut genug für die Prüfung im Level B2, „auch wenn die Satzstellung nicht immer richtig war“. Dem Angeklagten war zum 31. Mai gekündigt worden. Der Vorsitzende Richter bat die Zeugin um die Bewerbungsunterlagen und alle Dokumente des Syrers.

Um Michael Riecher ging es bei den Zeugenaussagen zweier seiner Ärzte. Ein Sportmediziner charakterisierte ihn als „sich selbst gegenüber fast geizig“. Erklärtes Lebensziel Riechers sei es gewesen „reich zu werden“. Der Patient sei „sehr ich-bezogen“ gewesen. Habe auch „schnell laut und energisch“ werden können, wenn etwas nicht so lief, wie er es wollte.

„Schon sehr frauenorientiert“ sei Riecher gewesen, habe von seinen Beziehungen mit attraktiven Partnerinnen geschwärmt. Doch habe das nie länger als ein paar Monate gedauert. „Aus Respekt fragt man halt nicht nach“, meinte der Arzt und fügte hinzu: „Er war kein glücklicher Mensch“. Seit 2011/12 habe Riecher die Arztrechnungen nicht beglichen, mit dem Hinweis auf eine Finanzberatung, die der Mediziner jedoch als einen Freundschaftsdienst gesehen hatte.

Ein 53-jähriger Internist beschrieb den Gesundheitszustand Riechers. Auch beantwortete er Fragen nach der Fähigkeit Riechers, sich gegen einen Angriff zu wehren. Der Prozess wird am Montag, 17. Juni, um 9 Uhr fortgesetzt.

Zur Berichterstattung über den 4. Verhandlungstag

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Erstellt:
29.05.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 43sec
zuletzt aktualisiert: 29.05.2019, 01:00 Uhr

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