Anrührendes Porträt eines Ossies, der nach zehn Jahren Knast in die ihm fremde Welt entlassen wird.

Berlin is in Germany

Anrührendes Porträt eines Ossies, der nach zehn Jahren Knast in die ihm fremde Welt entlassen wird.

24.11.2015

Von Kathrin Wesely

Berlin is in Germany

Die Wende hat er hinter Gittern verbracht. Zehn Jahre nach der "friedlichen Revolution" fährt Martin in die Freiheit, mit der Bahn in die Baustelle Berlin. Die Welt kennt er nur noch aus der Glotze. Bevor er sich in seiner kapitalistisch gewendeten Heimatstadt umsehen kann, schlittert er in die verquere Biografie seines alten Kumpels Peter. Aufgelöst schluchzend hockt der neben Martin, erzählt von seinen Schiffbrüchen in den vergangenen zehn Jahren, etwa vom Job auf einer Stuttgarter Baustelle ("Zoni, kannscht mal anlufta?").

Mühsam versucht Martin, das eigene Leben auf Reihe zu kriegen, Frau und Sohn wieder zu gewinnen, einen Job als Taxifahrer zu kriegen. Doch seine Knastvergangenheit handicapt ihn auf dem Weg ins Normalleben. Seine Frau ist eine der wenigen Ossies im Film, die es geschafft haben, sich im Westalltag einzurichten. Auch Martin ist einer, der es schaffen kann. Jörg Schüttauf spielt ihn wie einen, den er seit Jahren kennt. Er gibt Martin als offenen, geradlinigen Proleten mit feinem Gespür und Charakter. Von der ersten Minute an, als sich für ihn die Gefängnistüren öffnen und er mit dem Fernseher in der Hand in die Freiheit marschiert, hofft man, dass alles gut wird. Die Frage, weshalb er gesessen hat, rückt in den Hintergrund und wird erst viel später beantwortet.

Der aus Hechingen stammende Regisseur und Wahlberliner Hannes Stöhr hat ein Psychogramm von Menschen erstellt, die das westliche Leben kalt erwischt hat. Er ist sehr dicht dran an den Figuren, widmet jeder ein zärtliches Porträt. Sie wirken so authentisch als stammten sie aus Alexander Osangs Ostberlin-Reportagen.

"Berlin is in Germany", Stöhrs Abschlussarbeit an der Filmakademie, erzählt eine anrührende und wirklichkeitsnahe Geschichte mit Tiefenschärfe. Bei der Berlinale wurde der Film zum Publikumsliebling gekürt. Und die Ostberliner Taxifahrer in den Klappsesseln schüttelten ungläubig die Köpfe, als sich Stöhr für den Preis bedankte in lupenreinem Schwäbisch.