Erweiterung

Betzingen macht gegen Gewerbegebiet mobil

Die Stadt Reutlingen will das Gebiet „Auchtert“ im Rahmen ihrer Gewerbeflächenoffensive ausbauen. Doch der Bezirksgemeinderat hat massive Bedenken.

14.11.2016

Von Matthias Reichert

Betzingen wolle von seinen Grünflächen nichts mehr abgeben, sagt Bezirksbürgermeister Thomas Keck. Schon heute würden sich dort Wohnbebauung und Gewerbeflächen ungefähr die Waage halten. Mit der geplanten Erweiterung des Gebiets „Auchtert“ auf 9,4 Hektar würde aber das Gewerbe überwiegen. „Wir sind schon jetzt die am meisten überbaute Markung der Gesamtstadt“, sagt Keck.

Die Erweiterung ist auf dem Grünzug links der Landstraße in Richtung Ohmenhausen geplant. Auf der anderen Straßenseite liegt bereits das Industriegebiet Mark West. „Wir brauchen den Auchtert für unsere Bürger“ – er sei ein beliebtes Naherholungsgebiet. Und die Erweiterung sei auch „aus ökologischer Sicht eine Katastrophe“, so Keck. Die europäischen FFH-Richtlinien wiesen das Gebiet als Flachland-Mähwiesen aus, die einen besonderen Schutz genießen.

Zudem seien die Erschließungsstraßen für die Erweiterung entlang des „Eichenwäldles“ geplant. Auch wenn die Zufahrten den Mindestabstand von 30 Metern einhalten, sei das Wäldle bedroht. Die Mischung aus Hainbuchen und Stieleichen sei „das einzige ökologisch funktionierende Waldstück Betzingens“. Keck verweist auf den Schambergwald, den das Industriegebiet Mark West „massiv angekratzt“ habe. Dieser Wald sei heute bereits „ökologisch tot“.

Doch im Mai 2015 hatte der Bezirksgemeinderat bereits grünes Licht für die Auchtert-Erweiterung gegeben. Sie ist Teil der Reutlinger Gewerbeflächenoffensive (siehe Kasten). Damals habe es seitens der Stadtverwaltung geheißen, es handele sich lediglich um ein Prüfverfahren, die Erweiterung werde Jahre dauern, erinnert sich Keck, der schon damals gegen den Ausbau war. „Jetzt scheint es sehr viel konkreter zu werden.“ So sei es nun Zeit, Einspruch zu erheben.

Wie berichtet, hat am Donnerstag Betzingens Bezirksgemeinderat mit 9:2 Stimmen die Stadt aufgefordert, das Bebauungsplanverfahren zu stoppen und auch den Flächennutzugsplan nicht zu ändern. Nur Hagen Kluck (FDP) und Annette Seiz (CDU) waren für die Erweiterung. Bisher gibt es einen Aufstellungsbeschluss des Gemeinderats für den Bebauungsplan. Zugleich soll die Landwirtschafts- zur Gewerbefläche umgewidmet werden.

„Wir wollen das nicht“, erklärt Keck. Freilich kann der Bezirksgemeinderat nicht über die Erweiterung entscheiden – zuständig ist der Reutlinger Gemeinderat. „In der Bürgerschaft herrscht Unverständnis über diese Ansiedlungspolitik“, sagt indes Keck. Hinzu kommt, dass auf dem Gelände die Baumschule von Mathias Leibssle liegt. Der sehe seinen Betrieb jetzt akut gefährdet. Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung hat Leibssle laut Keck gesagt: „Bei Ihnen rollen in drei bis vier Jahren die Bagger. Das ist eine Premiumfläche, an der wir als Stadt auf jeden Fall festhalten.“

Leibssle ist 1976 in den Auchtert ausgesiedelt. Vor etwa 20 Jahren durfte er dort laut Keck nicht erweitern – die Stadtverwaltung habe ihm das mit Blick auf die Grünfläche verweigert. Nun fühle sich der Baumschul-Inhaber unter Druck gesetzt: „Er will nicht aufhören.“

Keck erinnert zudem an die Geschichte des Mischgebiets Staudfuß zwischen Breitenbach, Stadtautobahn und Betzinger Bahnhof. Das habe der Reutlinger Gemeinderat in den 1980er-Jahren gegen das Votum des Teilorts durchgesetzt, wo man sich übergangen gefühlt habe. Bis heute sei das Mischgebiet aber nicht völlig belegt. Mittlerweile hätten sich sogar Kirchen anstelle von Unternehmen dort angesiedelt.

Erweiterung gehört zur Gewerbeflächenoffensive

Mit der Gewerbeflächenoffensive will Reutlingen Platz schaffen für die Ansiedlung oder Vergrößerung von Unternehmen – vor allem, um mehr Gewerbesteuer einzunehmen. Das Potenzial an Flächen für Reutlingen beträgt laut dem städtischen Entwicklungskonzept, das im April 2015 dem Gemeinderat vorgestellt wurde, 103 Hektar. Nötig wären aber laut dem Stuttgarter Stadtentwickler Prof. Richard Reschl rund 130 Hektar.