Es knallt mal kurz

„Biedermann und die Brandstifter“ als LTT-Premiere

24.04.2016

Biedermann (Andreas Guglielmetti) hällt sich am Bierkasten fest. Frau Biedermann (Martin Bringmann, vorne) wird von Willy (Raphael Westermeier) malträtiert bei der Max-Frisch-Premiere am Samstagabend im Landesthater Tübingen.Bild:LTT

Biedermann (Andreas Guglielmetti) hällt sich am Bierkasten fest. Frau Biedermann (Martin Bringmann, vorne) wird von Willy (Raphael Westermeier) malträtiert bei der Max-Frisch-Premiere am Samstagabend im Landesthater Tübingen.Bild: LTT

Tübingen. Es ist schwierig, Max Frischs Schauspiel „Biedermann und die Brandstifter“ aus dem Jahr 1958, vom Autor als „Lehrstück ohne Lehre“ aufgefasst, quasi als Antwort auf AfD und Pegida neu auf die Bühne zu bringen. In unendlichen Schulstunden durchgenudelt, erscheint dessen Message im Rückblick allzu offensichtlich.

Die Neuinszenierung von Nick Hartnagel am Landestheater Tübingen (LTT) fährt ein ziemlich suggestives Bühnenbild auf (Bühne und Kostüme: Merle Vierck): In dem Gewirr von schlaff herabhängenden weißen Fahnen kann man spitze Kirchtürme sehen, flattrige Geister oder Kapuzen des Ku-Klux-Klan, ein bisschen nachlässig zum Trocknen aufgehängte Wäsche (Dachboden!) oder die steilen Vertikalen eines de Chirico, ins Bedrohliche gewendet.

Die Bühne ist mit einer dicken Schicht Rindenmulch bedeckt, stark feuergefährlich und gleichzeitig mit einer Anmutung von Zirkusarena. Die einzige Nummer: ein gefährlicher Clown.

Herr Biedermann (Andreas Guglielmetti) sticht zunächst ein wenig ab gegen derart sinistre Assoziationen: Er sieht aus wie ein lockerer Typ aus den fünfziger Jahren. Mit seiner schmalen Hose, dem roten Pulli und den halbhohen Schnürstiefeln gleicht er eher einem Bilderbuch-Existenzialisten als dem knallharten Fabrikanten, der für den Selbstmord eines Angestellten verantwortlich ist. Letzterer wäre im Zeitalter der multinationalen Konzerne ohnehin eine seltsam veraltete Figur. Biedermanns Frau Babette (Martin Bringmann) ist ein ganz anderes Kaliber: Sie kommt gleichzeitig aus der Biedermeier-Zeit und aus der Gegenwart von Conchita Wurst.

Requisiten wie Möbel und Grammophon und die Musik (die arg abgenutzte Neunte Sinfonie von Beethoven) deuten auf ein Bürgertum, das sich für die originalen Nazis der 30er Jahre begeisterte. Die Inszenierung wählt den Kunstgriff, Angstfantasien Biedermanns darzustellen. Das Premierenpublikum am Samstagabend fand das sehr überzeugend – bis auf wenige Pfiffe und einen einzelnen, lautstarken Buhrufer.

Sind die Eindringlinge Kriminelle oder einfach Habenichtse (Ex-Ringer, Ex-Kellner, Flüchtling), denen nichts geblieben ist als das nackte Leben, wie es der italienische Philosoph Giorgio Agamben in seiner Studie „Homo sacer“ ausführt? Das geht bei Biedermann wild durcheinander und steigert sich in seinem Verhalten von forcierter Leutseligkeit und vereinzelter, widerwilliger Hilfeleistung erwartbar zu Sich-besinnungslos-Saufen, rassistischen Pöbeleien und einem symbolischen Mord durch Steinigung.

Politisches Theater braucht mehr als allzu naheliegende Bilder. Am Ende fügte die Inszenierung den Appell von Jean Ziegler ein, früherer UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, sich von der Kunst, in diesem Fall also vom Theater, aufrütteln zu lassen. Doch das bleibt ziemlich matt, wenn das Theater sich darauf beschränkt, zu visualisieren, was gerade im Schwange zu sein scheint, vom rechten Rand bis in die sogenannte Mitte.

Die visualisierte Enthemmung schielt vor allem auf den Effekt. Das bekannte Ende ist am LTT ein kon-trollierter kleiner Brandsatz, durch die Projektion an die Bühnenrückwand zu Flächenbrand-Dimension aufgeblasen – ein Seitenhieb auf den Sensationsjournalismus? Das war zu sehr Knalleffekt, als dass es aufrütteln könnte. DOROTHEE HERMANN

Info Weitere Aufführungen sind am Fr, 29. April und Sa, 30. April; am Fr, 6. Mai und Fr, 3. Juni, jeweils um 20 Uhr in der LTT-Werkstatt.