Vortrag

Bildung kann Terror vorbeugen

Michael Blume gab einen Einblick in den Islam: Der Referatsleiter für nichtchristliche Religionen im Staatsministerium ist mit einer Muslimin verheiratet.

20.03.2019

Von Hans-Michael Greiß

Viel Zeit nahm sich der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung auch noch beim Signieren seiner Bücher in Empfingen– sein neuestes Werk ist gerade erschienen.Bilder: Hans-Michael Greiß

Viel Zeit nahm sich der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung auch noch beim Signieren seiner Bücher in Empfingen– sein neuestes Werk ist gerade erschienen.Bilder: Hans-Michael Greiß

Margarete Schon blickte im katholischen Gemeindehaus auf volle Reihen beim Vortrag „Islam in der Krise – Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug“ – „kein einfaches Thema“, merkte sie an. Es betreffe alle, doch sei es erforderlich, sich grundlegend zu informieren. Blume kenne die Brennpunkte im Nahen Osten aus der persönlichen Beobachtung. Empfingen sei ein besonderer Termin für ihn, bekannte Blume, denn es sei der letzte Vortrag über dieses Thema für ihn.

Druckfrisch lag sein neues Werk „Warum der Antisemitismus uns alle bedroht“ in der Auslage und fand bei den Besuchern ebenfalls reißenden Absatz. Als Referatsleiter für nichtchristliche Religionen und Beauftragter für Antisemitismus im Staatsministerium ist der Religionswissenschaftler mit einer Muslimin verheiratet und lebt beide Religionen. Bei 14 Besuchen im Irak kam er nahe an die Front mit dem IS heran, erlebte zu „98 Prozent friedliche Muslime“, aber auch die Gräuel und die Massengräber.

„Was ist mit dem Islam los? Er war mal eine Hochkultur“, stieg Blume in das Thema ein. Bagdad habe einmal die größte Bibliothek der Welt beherbergt, Isfahan gehörte zu den Stätten der Gelehrsamkeit. Vor 800 Jahren sei der Heilige Franziskus, von der Gewalt der Kreuzzüge angewidert, mit dem Sultan Muhammad al-Kamil in einen Dialog getreten. Zu jener Zeit bedeutete ein Mann in einem langen Gewand mit Bart ein Zeichen von Frieden und Weisheit, heute setze man es mit Gewalt gleich. Unter den Besuchern aus Baden-Württemberg seien Teilnehmer unterschiedlicher Herkunft gewesen, dies habe die Iraker befremdet, da diese sich nur in ihren Gruppen aufhielten.

Der IS schreibe das Glaubensbekenntnis auf seine Fahnen, doch er zerstöre den Glauben. Ähnliches sei in Europa im 30-jährigen Krieg geschehen. Vertrauen baue sich danach erst langsam wieder auf. Gravierende Statistikfehler vermittelten in Deutschland zudem ein falsches Bild des Islams. Während Christen nur nach ihrer Mitgliedschaft in einer Kirche gezählt würden, ordnete man den Islam automatisch nach der Herkunft. Nur etwa 20 Prozent der Muslime seien den Verbänden zugehörig, statt der geschätzten 4,5 Millionen sei es eine relativ kleine Gruppe von unter einer Million Muslime in Deutschland, was den Moscheegemeinden Bauchschmerzen bereite und sie alle Zuwanderer für sich reklamierten. Selbst in der Türkei fänden sich nur 51 Prozent praktizierende Muslime, der Iran sei dem Wesen nach ein säkularer Staat, dessen Staatskirche die Religion zerstöre. Den stillen Rückzug bemerke man allerdings nicht in der Öffentlichkeit, man nehme nur die Frauen mit Kopftuch wahr. Eine kleine Gruppe von 15 bis 20 Prozent radikalisiere sich, die bei fehlender freier Presse im Internet ihre Verschwörungstheorien verbreite und gegen Zionisten hetze. Die vernünftige Mitte breche zusammen, denn in Deutschland ausgebildete islamische Theologen könnten sich die Islamverbände nicht leisten.

Deren Geld reiche gerade mal für ein Bauwerk, für Jugendarbeit bleibe nichts übrig. Darum griffen sie auf die staatlichen türkischen Imame zurück, so habe die deutsche Politik diese Religion den Radikaleren überlassen. Die Misere begann nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 auf dem Gipfel der islamischen Macht, als Sultan Bayezid II. bestens ausgebildete Flüchtlinge aus Spanien aufnahm, 1485 aber den aufkommenden Buchdruck verbot.

Die massenhafte Verbreitung der Druckschriften habe erst die Reformation ermöglicht, jeder konnte Informationen erlangen, während diese im Orient fehlten. Die Schriftgelehrten dort hatten viel zu verlieren, sie behielten sich die Interpretation vor und verhinderten den freien Zugang zu Nachrichten. Damit blieb die Entwicklung stecken, bis heute verzeichne der Orient einen hohen Anteil von Analphabeten mit einem gravierenden Bildungsunterschied. Das kleine Israel melde ein Vielfaches an Patenten an gegenüber den gesamten muslimischen Ländern. Weitsichtig habe Kemal Atatürk das lateinische Alphabet und die Schulpflicht eingeführt. Lesen verändere eine ganze Gesellschaft. Aktuell sei das Lesen in der Türkei gefährdet, Schriftsteller würden eingesperrt. Die Islamisten hätten mit Boko Haram – übersetzt „Bildung verboten“ – ihre Absicht im Namen formuliert, weil sie eine gebildete Bevölkerung fürchteten. Michael Blume berichtete von Gesprächen mit Arabern, die ihm den Widerspruch vorhielten, der Westen predige hochmoralisch Demokratie und Menschenrechte, beliefere aber die Potentaten mit Geld und Waffen, da er allein am Öl interessiert sei.

Ein Staat könne sich nur zur Demokratie entwickeln, wenn alle Bürger ihn mit Steuern finanzierten und ihren Anteil an Mitbestimmung reklamierten. Viele arabische Länder versorgten aus dem Reichtum der herrschenden Cliquen ihre Untertanen, die sich den mächtigsten Gönner suchten und ihm ewige Treue schwörten, ohne einen eigenen Beitrag leisten zu müssen.

Bildung als einzige Lösung

Scharf beklagte Blume, unser Wohlstand basiere auf der Ausbeutung der islamischen Welt. Dem sei nur mit Verzicht auf Erdöl zu begegnen. Bildung sei die einzige Lösung der islamischen Rückständigkeit. Frauen gehörten schleunigst in Führungspositionen. Doch befürchte er weitere Krisen, zumal viele Gebildete gerade die Türkei verließen. Die Religion könne das Edelste wie auch das Übelste aus dem Menschen herausholen. Darum forderte Blume einen deutschsprachigen Islamunterricht an den Schulen in Baden-Württemberg, zumindest aber einen frühen Ethikunterricht, um Kinder früh die Werte unseres Landes zu vermitteln.

Dr. Michael Blume freute sich über viel Interesse der Zuhörer.

Dr. Michael Blume freute sich über viel Interesse der Zuhörer.