Übrigens

Bitte keine Oberlehrer!

Ostern in Polen. Das waren wieder dampfende Würste am hellichten Morgen, Jugendliche, die einer alten Tradition wegen am Ostermontag mit Wasser rumspritzen.

12.04.2016

Von Tobias Zug

Und tückische Schlaglöcher auf den Nebenstraßen – nicht viel hat sich so gesehen verändert in Polen, wo wir die Familie meiner Ehefrau besuchten. Ich liebe dieses Land; seine Traditionen, das Familienbewusstsein, den fatalistischen Humor der Menschen. Alles wäre so schön – wenn diese verdammte Politik nicht wäre!

Denn die neue polnische Regierung sorgt für, sagen wir mal: Missstimmung in den Beziehungen vor allem zu Deutschland. So sehr, dass mich tatsächlich Bekannte fragen, ob es derzeit ratsam sei, nach Polen zu fahren. Wegen jener jetzt regierenden Pis-Partei, diese rechtspopulistischen Tunichtgute, die sich doch so gegen Flüchtlinge wehren und die Verfassung oder gar die Demokratie abschaffen wollen. Antwort: Ja – es ist immer ratsam, sich selbst vor Ort ein Bild zu machen!

Den meisten Menschen in Polen geht es so gut oder so schlecht wie zuvor auch. Sie arbeiten für einen Monatsverdienst von etwa 500 bis 800 Euro brutto, dabei sind die Lebensmittelkosten in etwa gleich wie hier. Benzin ist in Polen teilweise sogar teurer. Wenn meine Frau früher die insgesamt 60 Kilometer zu ihrem Physiotherapeuten-Job nicht mit dem Fahrrad gefahren wäre, hätte sie draufzahlen müssen. Nur die Dienstleistungen sind meist erheblich günstiger.

Umso mehr ärgert es viele Polen, wenn aus wohlhabenderen Ländern der Europäischen Union (EU) teils harsche Kritik an ihrem Land und ihrer – demokratisch legitimierten! – Regierung geübt wird: Für viele im Land hat die Vorgängerpartei Platforma zu viele Zugeständnisse an die EU gemacht statt sich um die Sorgen und Nöte der Menschen im eigenen Land zu kümmern. Deshalb auch der Regierungswechsel.

Doch die Menschen sind dieselben. Manche protestieren gegen die neue Regierung. Die meisten nicht. Denn die Wahrnehmungen hier und dort sind anders. Beispielsweise die derzeit diskutierten Pläne, Abtreibungen zu verbieten. Deutsche Medien berichten, eine Gesetzesinitiative wolle Abtreibungen auch bei Vergewaltigungen verbieten. In Polen erfahre ich, dass Vergewaltigung gar nicht das Thema sei: Drohende Behinderungen oder andere Krankheiten sollen nicht als Grund für eine Abtreibung gelten. Diese Gesetzesinitiative hat zudem nicht das Parlament eingebracht, sondern eine Bürgerbewegung.

Fast alle Polen sprechen mit Respekt über Deutschland, über die Leistungen, die hier erbracht wurden und werden. Was sie aber partout nicht mögen: Wenn wir Deutschen als Oberlehrer und Bewahrer der Demokratie daherkommen und ihnen wie in der Flüchtlingspolitik sagen wollen, was sie zu tun und zu lassen haben. Nur weil wir es gerne so hätten. Der polnische Musiker Pawel Kukiz sagte jüngst: „Wenn Deutschland und Russland uns kritisieren – dann haben wir alles richtig gemacht.“ Kukiz ist mit seiner neuen Bewegung auf Anhieb drittstärkste Kraft im Parlament.