Die Einwände beweisen: So leidenschaftlich ließ sich lange nicht mehr über einen Film diskutieren.

Black Box BRD

Die Einwände beweisen: So leidenschaftlich ließ sich lange nicht mehr über einen Film diskutieren.

24.11.2015

Von che

Black Box BRD

Dieser Film schlug ins Feuilleton wie eine RAF-Bombe. Alle wichtig sein wollenden Zeitungen der Republik räumten willig Seiten oder Doppelseiten für Rezensionen und Interviews frei. Ein Berliner Zentralorgan sprach gar vom "Medienereignis dieses Sommers". Auch das Publikum zieht mit. Die Besucherzahl pro Kopie ist fast so hoch wie bei "Pearl Harbor". Man muss lange suchen, bis man auf einen ähnlich erfolgreichen Dokumentarfilm stößt.

"Black Box BRD" des in Stuttgart aufgewachsenen Regisseurs Andres Veiel erzählt von zwei deutschen Lebensläufen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Mit einem Unterschied: Beide endeten mit einem gewaltsamen Tod. Da ist zunächst Alfred Herrhausen: Der stramm nazistisch erzogene Sunnyboy macht nach dem Krieg eine Wirtschaftswunder-Karriere wie aus dem Bilderbuch. Er heiratet in eine reiche Industriellen-Familie ein und kämpft sich mit fast krankhaftem Ehrgeiz und massivem Ellenbogen-Einsatz an die Spitze der Deutschen Bank. Als er 1989 von einem Kommando der Rote Armee Fraktion umgebracht wird, ist er einer der mächtigsten Männer der Republik.

Vier Jahre später stirbt Wolfgang Grams unter bis heute ungeklärten Umständen auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Seine Angehörigen schließen nicht aus, dass er von GSG-9-Kräften exekutiert wurde. Als Teil der so genannten dritten Generation der RAF ist Grams für die Öffentlichkeit ein Phantom geblieben. Anders als bei den Popstars Baader und Ensslin ist über sein Leben im Untergrund nichts bekannt. Ob und an welchen Anschlägen Grams beteiligt war, weiß man nicht.

In einer vier Jahre währenden Recherche hat Veiel den Motiven dieser beiden extremen Repräsentanten der Bundesrepublik nachzuspüren versucht. Die Ausbeute im Fall Herrhausen ist dabei eindeutig aufschlussreicher. Da werden merkwürdige Brüche sichtbar, wenn der bis dahin straighte Karrierist plötzlich soziale Anwandlungen zu bekommen scheint und einen Schuldenerlass für die Dritte Welt einfordert. Wenn er in einem Höllentempo seine Bank fit für die Globalisierung machen will - und damit im eigenen Laden an allen Enden aneckt.

Die überraschend zutraulichen Statements, die Veiel Herrhausens Banker-Kollegen (darunter der aktuelle Vorstandsvorsitzende Rolf Breuer) entlockt, lassen den Schluss zu, dass keiner seinen Tod so richtig tragisch nahm. Am Ende, suggeriert der Film, war Herrhausen ein einsamer Mensch, dessen Tod durch die RAF-Bombe fast wie ein Selbstmord wirkt.

Wolfgang Grams bleibt hingegen auch nach dem Film ein Mysterium. Wohl wissen seine liebenswert spießigen Eltern viel zu berichten über den jungen Mann mit dem absoluten Gehör, der ihnen aus dem Untergrund eine putzige Häkelarbeit zukommen lässt. Auf alten Super-8-Filmen sieht man ihn mit Kirchentags-Bart beim neckischen Spiel am Strand. Auskünfte seiner Freunde festigen dann das Bild eines im Grunde unpolitischen Moralisten, der die Welt mit anmaßendem Rigorismus in Gut und Böse einteilt.

Es ist durchaus zu begrüßen, dass Veiel dadurch den Menschen hinter der Fahndungsfratze und dem Eiskalter-Killer-Klischee sichtbar macht. Nur: Was Grams nun bewogen hat, sich der Tötungstruppe RAF anzuschließen, kann der Regisseur nicht erklären und weicht deswegen aufs Allgemeingültige aus: die Politisierung durch Vietnam, Dritte Welt und Häuserkampf; das Entsetzen über den staatlich in Kauf genommenen Hungertod der RAF-Gefangenen. Reicht das, um zum Mörder zu werden? Andere, die damals ähnlich empfunden haben, sind heute Außen- oder Innenminister.

In "Die Überlebenden", Veiels Film über drei seiner Klassenkameraden, die Selbstmord begangen haben, sorgte gerade das Unerklärliche für tiefe Erschütterung. In der "Black Box" Grams hingegen herrscht eine solche Dunkelheit, dass jede Anteilnahme ins Leere läuft .

Zum Artikel

Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 46sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.