Die smarteste Zumutung, seit es Horrorfilme gibt.

Blair Witch Project

Die smarteste Zumutung, seit es Horrorfilme gibt.

24.11.2015

Von che

Blair Witch Project

Orson Welles hatte mal eine Vision: "Um einen durchschlagenden Erfolg in den Filmkunsttheatern zu haben, wollten wir einen Film ohne jede Geschichte, in keiner existierenden Sprache und in ganz schlechten Bildern drehen. Wir waren uns einig, dass die Leute vor Entzücken rasen würden."

Von der Sprache mal abgesehen diesen Film gibt es jetzt. Doch was Welles, der mit seinem Statement vermutlich bloß die militanten Filmkunstfans verarschen wollte, nicht ahnen konnte: "Blair Witch Project" eroberte nicht etwa die Arthäuser dieser Welt, sondern die Multiplexe und Mainstream-Kinos. Allein in den USA hat der für ein Nasenwasser von 30000 Dollar produzierte Undergroundstreifen bis jetzt mehr als 150 Millionen eingespielt. Wie konnte das passieren?

Eine Antwort gibt vielleicht der im Werbeblock laufende Trailer des neuen James-Bond-Films, der seinen nivea-öligen Chic, seine hundertprozentige Berechenbarkeit, die ganz unverhohlen ums Product Placement herumgebastelte Story so penetrant zur Schau stellt, dass sich die Sehnsucht nach dem Unwägbaren, Bizarren, Schmutzigen fast von selbst ergibt.

Aber "Blair Witch Project" geht noch einen Schritt weiter. Der Film nervt. Die Augen tun weh, wenn man sich dauernd die völlig sinnlosen Zuck- und Zappelschwenks über Bäume und Büsche angucken muss. Die Bilder sind überwiegend unscharf, verwackelt oder unterbelichtet. Ungeduld macht sich breit, wenn man minutenlang auf eine schwarze Leinwand starrt.

Die Handlung ist, genau genommen, ein dünnes Häufchen Elend: Drei junge Leute drehen im Wald einen Dokumentarfilm über irgendeinen Hexenspuk, dessen Opfer sie schließlich werden. Das Ende der Geschichte kommt so unwirsch abrupt, dass so am Donnerstag in der Blauen Brücke die eine Hälfte des Publikums zaghaft protestiert, während die andere, was gewöhnlich nur bei Festivals vorkommt, spontan in die Hände klatscht.

Tatsächlich fordert "Blair Witch Project" uns Zuschauern einiges ab. Wir werden Zeuge einer Sabotage der von Hollywood zu stumpfer Routine heruntergewirtschafteten Erzählstandards, eines flammenden Protests gegen die immer monotoner ratternde Kinomaschine. Spannung entsteht hier nicht durch die altbackenen Kniffs und Tricks, sondern allein durch den Ruch des Authentischen, des wirklichen Horrors, den kein Scream- oder Nightmare-Streifen bislang zwingender einfangen konnte. Der Film, wird uns nämlich im Vorspann aufgetischt, sei in Wahrheit das Jahre nach dem spurlosen Verschwinden der Hexenjäger aufgefundene Rohmaterial der geplanten Doku.

Filme nach diesem Strickmuster sind indes nichts Neues. Einer davon, "Little Sister", wurde kürzlich vom Tübinger Arsenal-Verleih mit lausiger Resonanz in die Kinos lanciert. Weniger sein experimenteller Stil macht "Blair Witch Project" zum Ereignis als dessen gigantischer Erfolg.

Das eigentlich Spannende sind die Fragen, die er nun aufwirft. Wie reagiert Hollywood auf diese Zumutung? Wird sich das Problem in bewährter Weise mit "Blair Witch Project 2", der dann vermutlich 50 Millionen kosten wird, entsorgen lassen? Oder kann künftig jeder halbwegs begabte Hansel mit einer Video-Kamera einen Blockbuster fabrizieren? Aufregende Zeiten werden das.