Kreis Freudenstadt · Vereinsleben

Blasmusiker besonders benachteiligt

Verbandspräsident Hans Dreher macht seinen Unmut über die strikten Coronaverordnungen Luft.

27.07.2020

Von Hans-Michael Greiß

Mit seiner Tuba und als Verbandspräsident stimmt Hans Dreher starke Töne an. Bild: Hans-Michael Greiß

Mit seiner Tuba und als Verbandspräsident stimmt Hans Dreher starke Töne an. Bild: Hans-Michael Greiß

Profifußballer dürfen in Geisterspielen kicken, Hobbymusiker verlieren derweil ihr Spielniveau und den Anschluss an die Gemeinschaft. Der Präsident des Blasmusikkreisverbandes Freudenstadt, Hans Dreher, hat einen offenen Brief ins Netz gestellt und im Gespräch mit der SÜDWEST PRESSE seinem Ärger Luft gemacht.

Am Anfang des Corona-Lockdowns waren alle eingeschränkt, Gebote, Verbote und Verordnungen wurden von allen bereitwillig befolgt, da deren Notwendigkeit im ersten Schockzustand verständlich aufgenommen wurde. Nicht nachvollziehbar erschienen undurchdachte, willkürlich erscheinende unterschiedliche Lockerungen, von denen sich im Besonderen die Musikvereine benachteiligt fühlten.

Die Wirtschaft, der Not gehorchend, und der Sport erfreuten sich des überreichen Wohlwollens der Politik. In diesem Unterstützungs- und Förderungsreigen hätten die politischen Führungskräften die Kultur, die Künstler, die Freischaffenden und besonders die Kinder und Eltern vergessen und damit das Gemeinschaftsgefühl und das gesellschaftliche Leben ausgeblendet und teilweise an die Wand gefahren, beklagt der oberste Blasmusikfunktionär im Kreis.

Die Wiederaufnahme der Spiele in der Fußballbundesliga sei für die Bevölkerung nur sehr schwer zu verstehen, während in der Kinderbetreuung oder auch im Vereinswesen kaum Erleichterungen erkennbar seien. Die Bürokratie sei im Laufe der Pandemie zu einer nie gekannten Höchstform aufgelaufen und habe Menschen, Vereinen und Institutionen ein Gefühl der Ungleichheit vermittelt. Bläser würden vielerorts aus Musikschulen und Kirchen ausgeschlossen und mit hohen Abstandsregeln belegt, die ein gemeinsames Musizieren unmöglich machten. Die Verordnungen gäben den Vereinen keine Hilfe, sondern knebelten sie.

Dabei stöhnten die Musikvereine unter den gleichen Problemen wie die Sportvereine, doch deren Wühl- und Lobbyarbeit zahle sich aus, die millionenschweren Vermarktungsrechte brächten absurde „Geisterspiele“ zuwege. Die Musikvereine kämpften um ihre Existenz in der brennenden Sorge, wie all die Fixkosten an Mieten und Dirigentenhonoraren zu bezahlen seien, wenn alle Einnahmen verloren gingen. Zu diesem Phänomen seien zu Drehers Enttäuschung der Aufschrei in den Medien ausgeblieben.

38 Vereine besonders betroffen

Alle 38 Vereine im Kreis mit 2500 aktiven Mitgliedern litten unter den Nöten, als letzte beachtet und bei passenden Lockerungen berücksichtigt zu werden. So viele wissenschaftliche Studien zur Aerosolverbreitung seien veröffentlicht worden, da vermisse er konkrete Aussagen zu Blasinstrumenten, deren Rohrkrümmungen Luft und damit Partikel zurückhielten, eine Gazeabdeckung der Schalltrichter sei als weiterer Schutz denkbar. Viele Vereine versammelten ganze Familien in ihren Reihen, da könne die Abstandsregel gemindert werden, die ja bei erlaubten und öffentlich genehmigten Demonstrationen von Tausenden von Teilnehmern überhaupt nicht eingehalten werden können. Er spüre wenig Widerstand unter seinen Musikfreunden, die sich scheinbar mit der Situation abgefunden hätten, doch auf lange Sicht befürchte Dreher den Niedergang, wenn nicht gar die Zerstörung der Musikkultur. Die Feste seien schließlich nicht nur Kassenfüller der Vereine, sondern Leistungsnachweise der Musiker und Höhepunkte im Jahresablauf zur Förderung der Dorfgemeinschaft sowie Grundlage der Finanzierung des Nachwuchses und der Erhaltung der gelebten Tradition.

Eine Frage nach der Befindlichkeit hätte manchem Musiker, Vorstandsmitglied oder Dirigenten gutgetan, sofern sie denn gestellt worden wäre, doch alle fühlten öffentliches Desinteresse und sich in der Abgeschiedenheit allein gelassen mit ihren Problemen, wie sie beispielsweise ihre Dirigenten und Jugendausbilder zahlen sollten. Vereinsmitglieder litten unter der Belastung, wie sie mit den teilweise zur Überheblichkeit mutierenden politischen Isolierungsvorgaben umgehen und neben ihrem aktiven Hobby Kommunikation und Geselligkeit pflegen sollten. Geradezu als Spott empfänden sie in dem spärlichen Nachrichtenangebot die regionale Historie, darunter die der Fußballvereine, ohne in ähnlicher Weise die Musikvereine zu würdigen. Wenig hilfreich seien auch Kommentare von Besserwissern, die sich um alles Sorgen machen, sich letztendlich aber um nichts kümmern.

Dreher beklagte die geringe Wertschätzung der Amateurmusiker im politischen Verantwortungsbereich, die in der Coronakrise bis auf einen Wert von fast gleich Null gesunken sei. Nach vielen Gesprächen seines Landesverbandes mit der Landesregierung und mit Bundespolitikern seien zwar einige Lockerungen erfolgt, doch bei weitem nicht so wirksam und erwartet, wie bei anderen Verbänden. In manchen Landkreisen sei Instrumentalunterricht in Gruppen erlaubt, Einzelunterricht dagegen nicht? Raumbedarf und Raumbetreuung ließen jedoch eine sinnvolle und umfassende Register- oder Orchesterprobenarbeit weiterhin nicht zu. Blasmusiker und Chöre, deren Mitglieder sich kennen und oft familiär verbunden seien, würden geradezu wie Aussätzige behandelt. Dabei seien gerade sie zu Disziplin und gegenseitiger Aufmerksamkeit erzogen.

Gemeinschaftsgefühl fehlt

Musikproben per Video seien äußerst schwierig, das Zusammenspiel im Register unmöglich, die ganze Kapelle zusammenzubringen undenkbar, da die Abstandsregeln in den vorhandenen Räumlichkeiten bei vielen Vereinen nicht umsetzbar sind. Da werde die Selbstdisziplin überfordert, täglich zu üben, um den Stand zu halten. Zudem fehle das Gemeinschaftsgefühl zum Gedankenaustausch und zur Geselligkeit, was eben ein Vereinsleben ausmache, doch dies sei rigoros verboten.

Dreher macht sich große Sorgen um die Existenzsicherung der Musiklehrer, besonders der Freischaffenden. Empörend empfinde er das angestrebte Verbot des Musikunterrichtes seitens der Kultusministerin im kommenden Schuljahr. Noch seien nicht alle Regelungen zu diesem Schuljahresschluss durchdacht, da nehme die Frau Ministerin bereits jetzt den Kindern die Chancen zur geistigen Bildung, wie sie die Landesverfassung vorschreibe und auch der Musikunterricht vermittle. Wer in der Jugend keinen Zugang zu kulturellen Werten gewinne, tut sich im weiteren Leben schwer, überhaupt den Eingang zu finden.