Brennen im Kreis die Freiwilligen aus?

Brandbekämpfer vor dem Strukturwandel zu mehr hauptamtlichen Brandschützern

Die Feuerwehren im Kreis Tübingen zwischen Verein und kommunaler Einrichtung mit Rettungsaufgabe

27.03.2018

Von Martin Zimmermann

Die Jugendfeuerwehr, hier bei einer 48-Stunden-Übung in Rottenburg, hilft dabei, Ehrenamtliche für die Brandbekämpfung zu begeistern. Doch der Trend geht zu mehr hauptamtlichen Feuerwehrleuten. Archivbild: Bernhard

Die Jugendfeuerwehr, hier bei einer 48-Stunden-Übung in Rottenburg, hilft dabei, Ehrenamtliche für die Brandbekämpfung zu begeistern. Doch der Trend geht zu mehr hauptamtlichen Feuerwehrleuten. Archivbild: Bernhard

Im Dorf funktioniert die Feuerwehr wie ein Verein. Ich komme selbst aus einer Freiwilligen Feuerwehr im Enzkreis und weiß das“, sagt Kreisbrandmeister Marco Buess. Kiebingens langjähriger Abteilungskommandant Dieter Gerhardt stimmt zu: „Die Kameradschaft ist uns wichtig und sicher auch ein Grund, warum sich viele von uns engagieren. Seit wir unser neues Feuerwehrhaus haben, treffen wir uns jeden Samstag um drei Uhr nachmittags auf ein Bier.“

Mössingens Kommandant Bernd Strohmeier, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbandes, meint hingegen: „Die Feuerwehr ist kein Verein, sondern eine kommunale Einrichtung, die verschiedene Rettungsaufgaben zu erfüllen hat. Das Einzige, was an einer Freiwilligen Feuerwehr freiwillig ist, ist der Eintritt. Danach geht es um die Erfüllung von Anweisungen des Kommandanten, um Menschen zu retten. Das geht nicht, wenn jeder macht, was er will. Deshalb ist ein Engagement bei der Feuerwehr nicht mit dem Engagement bei einem Sportverein zu vergleichen, und ich wehre mich dagegen, wenn die Feuerwehr als Verein gesehen wird.“

Minuten, die Leben retten können

Unbestritten ist, dass bei den Freiwilligen Feuerwehren im Landkreis Tübingen derzeit ein Umbruch weg von einer ehrenamtlichen Vereinsstruktur und hin zu mehr Professionalisierung stattfindet. Innerhalb von zehn Minuten muss das erste Auto mit sieben Mann am Einsatzort sein, so Buess. „Das ist das wichtigste Kriterium, das erfüllt werden muss.“ Obwohl die Anzahl der Feuerwehrleute kreisweit mit 1920 in den letzten zehn Jahren um 150 Personen angewachsen ist, ist tagsüber kaum noch eine Abteilung ausrückbereit. Viele Feuerwehrleute arbeiten außerhalb. „Ein Fahrzeug mit sieben Hauptamtlichen, die bereits im Feuerwehrhaus sind, rückt innerhalb von einer Minute nach dem Alarm aus. Ein Fahrzeug mit freiwilligen Feuerwehrleuten, die von der Arbeit gerufen werden, innerhalb von fünf Minuten“, sagt Buess. Vier Minuten Unterschied, die Leben retten können.

Kreisbrandmeister Marco Buess. Privatbild

Kreisbrandmeister Marco Buess. Privatbild

Doch es gibt auch andere Gründe für die Professionalisierung. „Die Aufgaben beim vorbeugenden Brandschutz häufen sich und sind von Ehrenamtlichen kaum mehr zu bewältigen. Ich empfehle deshalb Gemeinden ab 5000 Einwohnern, über einen hauptamtlichen Gerätewart, und Städten ab 20.000 Einwohnern, über einen hauptamtlichen Kommandanten nachzudenken“, sagt der Kreisbrandmeister.

Spannungen zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen

Das Verhältnis zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen ist nicht immer spannungsfrei. Besonders in Rottenburg, wo 555 Feuerwehrleute in 18 Abteilungen Dienst tun, gibt es für einen hauptamtlichen Stadtbrandmeister viele Termine und viele Befindlichkeiten zu berücksichtigen. Die Freiwilligen wollen von den Hauptamtlichen Wertschätzung erfahren, Anwesenheit bei Veranstaltungen, auch am Wochenende, erwarten sie. „Ich hatte letztes Jahr jedes zweite Wochenende einen Termin, weil wir so viele Abteilungen haben“, sagt Buess.

Undankbar und überfordernd

Dem ersten hauptamtlichen Stadtbrandmeister Rottenburgs, Peter Eisele, wurde nach dessen Abgang zur Tübinger Wehr vorgeworfen, bei manchen Veranstaltungen wie beim Leistungsabzeichen in Kiebingen verhindert gewesen zu sein und auch die Leitungsgruppe nicht oft genug einbezogen zu haben. Andererseits scheint der Zuschnitt der Stelle des Stadtbrandmeisters in Rottenburg mit 30 Prozent Brandschutz – wenn man Buess Aussagen in diese Richtung deuten will – undankbar und möglicherweise überfordernd für eine von außen kommende einzelne Person gewesen zu sein. „Singen ist mit 40.000 Einwohnern eine mit Rottenburg vergleichbare Stadt. Dort gibt es sieben hauptamtliche Feuerwehrleute“, weiß Buess.

Er könne sich bei einer Neubesetzung der Stelle eine Bewerbung aus den Reihen der Abteilung vorstellen, so wie auch in Mössingen Kommandant Bernd Strohmaier aus den eigenen Reihen gekommen sei und gute Akzeptanz finde, sagte Buess. Wie viele hauptamtliche Feuerwehrleute Rottenburg benötigt, soll eine Organisationsuntersuchung ergeben. Den Aufgabenbereich Brandschutz, den der Kreisbrandmeister während der Vakanz des Rottenburger Stadtbrandmeisters übergangsweise übernommen hat, beziffert er auf acht Wochenstunden.

Hauptamtliche als Entlastung

In Tübingen, wo 364 Feuerwehrleute – ein Viertel weniger als in Rottenburg – fast dreimal so viele Einsätze leisten müssen, bilden die knapp 30 hauptamtlichen Feuerwehrleute zahlenmäßig eine eigene Abteilung, die ebensoviele Mitglieder umfasst wie Weilheim oder Kilchberg. Mit der Einführung des 24-Stunden-Dienstes im vergangenen Jahr, bei dem immer ein Einsatzleiter im Feuerwehrhaus Dienst hat, wurde ein weiterer Schritt Richtung Professionalisierung getan. Alle 14 Tage haben nun jeweils zwei von ihnen im Feuerwehrhaus Bereitschaft. Seither können die Hauptamtlichen viele technische Dienstleistungen wie das Öffnen von Türen tagsüber erledigen, ohne dass freiwillige Feuerwehrleute von der Arbeit weggeholt werden müssen. Für die Ehrenamtlichen ist das eine Entlastung angesichts von 545 Einsätzen im letzten Jahr.

Alles ordentlich aufgeräumt im Einsatzfahrzeug. Archivbild: Nesch

Alles ordentlich aufgeräumt im Einsatzfahrzeug. Archivbild: Nesch

Andererseits haben manche ehrenamtliche Feuerwehrleute den Eindruck, sie würden kaum noch gebraucht. Das stimmt aber nicht: „Wir können in Tübingen zwar tagsüber mit den Hauptamtlichen ausrücken. Bei Nachteinsätzen sind wir aber auch in der Universitätsstadt auf die Freiwilligen angewiesen“, sagt Buess.

Auch hier sorgt das Verhältnis von Hauptamtlichen zur Freiwilligen Feuerwehr für Diskussionen. Auf der Abteilungsversammlung Stadtmitte wurde kritisiert, dass Hauptamtliche nur dann freiwillig an Übungen der Ehrenamtlichen teilnehmen dürfen, wenn sie auch im Stadtgebiet wohnen. Eine Regelung, in die sich der Kreisbrandmeister nicht einmischen will.

Was machen Ammerbuch, Kirchentellinsfurt und Kusterdingen?

Derzeit gibt es in Mössingen, ebenso wie in Rottenburg, jeweils eine Stelle für einen hauptamtlichen Kommandanten und einen hauptamtlichen Gerätewart. Künftig könnten weitere Hauptamtliche hinzukommen. Ebenso wie in Rottenburg steht in Mössingen eine Organisationsuntersuchung an. Mössingens Kommandant Bernd Strohmeier sagt, die Aufgaben im Brandschutz hätten sich so erweitert, dass sie kaum noch ehrenamtlich zu leisten seien. „Ob das dann ein weiterer hauptamtlicher Feuerwehrmann macht oder ein Verwaltungsangestellter, muss der Gemeinderat entscheiden“, so Strohmeier.

Die nächsten Kreisgemeinden, die von der Größe her über die Besetzung von hauptamtlichen Feuerwehrkommandanten nachdenken müssen, sind Kusterdingen, Ammerbuch und Kirchentellinsfurt, sagt Kreisbrandmeister Marco Buess. „Es kommt natürlich immer ein bisschen auf die Konstellation an. In Kusterdingen ist der Kommandant Mitarbeiter des Bauhofs, und ein großer Teil des interkommunalen Industriegebiets wird von der Reutlinger Berufsfeuerwehr mit abgedeckt. In Kirchentellinsfurt ist der Kommandant hauptberuflich bei der Betriebsfeuerwehr des Tübinger Klinikums. Da gibt es Synergieeffekte. Aber bei einer Neubesetzung werden die Gemeinden über das Hauptamt nachdenken müssen.“

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Erstellt:
27.03.2018, 20:20 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 02sec
zuletzt aktualisiert: 27.03.2018, 20:20 Uhr

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