Großes Bumm Bumm für Ästheten.

Brother

Großes Bumm Bumm für Ästheten.

24.11.2015

Von che

Brother

Von Takeshi Kitano, dem japanischen Gesamtkunstwerk (TV-Ikone, Star-Schauspieler, Cineasten-Regisseur), war in Tübingen bislang nicht viel zu sehen. Der melancholische Gangsterfilm "Hana Bi" wurde mal in einigen Nachtvorstellungen verheizt, das kauzige Roadmovie "Kikujiros Sommer" lief überhaupt nicht. Sein jüngstes Opus hat es jetzt mit siebenmonatiger Verspätung seit dem Bundesstart ins Spätprogramm geschafft. Immerhin.

Zu Kitanos Hauptwerken wird man "Brother" allerdings nicht zählen dürfen. Die Handlung ist (verglichen mit den oben genannten Filmen) einigermaßen schlicht. Es geht um einen alternden japanischen Yakuza, einen Berufsverbrecher also, der vorübergehend in Amerika Unterschlupf sucht. Dort bricht er, aus Langeweile und weil er nichts anderes gelernt hat, einen ultrabrutalen Bandenkrieg vom Zaun, an dessen Ende sich ein Berg von grob geschätzt 500 Leichen auftürmt.

Da sich solches in der Wirklichkeit selten bis überhaupt nicht zuträgt, darf man rätseln, was Kitano mit diesem Unternehmen bezweckt hat. Eine Komödie? Um darüber zu lachen, muss man schon mit Humorempfinden der staubtrockensten Sorte gesegnet sein. Eine Verarschung der Bumm-Bumm-Orgien des Action-Mainstreamkinos? Dass Killer Kitano zwischen den Brutalo-Exzessen wie ein abgetakeltes Großväterchen umhertapert, ist dafür ein arg mageres Indiz. Oder ein als Genrefilm verkleiderter Vergleich zweier Moralsysteme, bei dem die Baller-Männer bloß Platzhalter für höhere Werte sind: Hier die auf feudale Tugenden (Hingabe, Ehrenkodex) fixierten japanischen Crime-Ästheten; dort die ungeschlachte, aber wesentlich effizientere amerikanische Mafia? Kitano selbst hat in Interviews solchen Deutungen Nahrung gegeben.

Sicher ist, dass die uns Westlern unvertrauten Spielregeln des Yakuza-Genres für erhebliche Irritationen sorgen. Ein soziales Fundament, auf dem noch der schlichteste Hollywood-Gangsterfilm ruht, sucht man hier vergeblich. Mit artifiziellen, kühl komponierten Bildern schafft Kitano ein hermetisches System, in dem die Killer - abgeschottet von der Gesellschaft und sogar der Polizei - nur um sich selber kreisen.

Es ist vor allem dieser eiserne Stilwille, der "Brother" zu einem reizvollen Kinoerlebnis macht. Welcher Dutzend-Regisseur würde es wagen, ein mehrminütiges Feuergefecht allein mit einer in stroboskopisches Licht getauchten Leiche zu illustrieren? Die Tatsache, dass sich der kein Wort Englisch sprechende Yakuza bei seinem wohl 40 Jahre jüngeren, hundertprozentig verwestlichten "Bruder" und dessen obercoolen Kumpels einnistet, lässt zudem Raum für komödiantische Schlenker, ohne die das Stakkato der Gewalt kaum erträglich wäre.

Und last not least ist da noch Kitano selbst, dessen schauspielerischem Minimalismus (mehr als ein Mundwinkelzucken und die manchmal ins Melancholische gleitende Gefrierschrank-Mimik ist da nicht) man einfach stundenlang zugucken könnte.

Zum Artikel

Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.