Calgonit ist nicht alles im Leben

Übrigens

28.10.2016

Von Winfried Gaus

Industrie 4.0 – vorweggenommen. Wir waren in unseren Alltag integriert. Ich hörte sie lange schon, bevor ich sie sah. Auf leisen Sohlen nahend: Tapptapptapp. Oder energischer schreitend: klackerdiklackerdiklack! Dann schob sich ein Schatten vor den einzigen Ausguck, der mir in meinem Leben noch verblieben war, und er erleuchtete mich. Jedes Mal. Jedes gottverdammte Mal aufs Neue ein Licht in meinem Dasein. Balsam auf meine wunde Geschirrkorbseele, intellektuelle Anregung durch Dialog in einer ansonsten von mir maximal als mürrisch wahrgenommenen Umwelt, Labsal in Zeiten, in denen ich allein und im Dunkeln auf Schicht war.

SIE.

Ein Wort wie eine Verheißung. Ahnung einer Berührung, die über das vermeintlich im Haushalt Nötige hinausgeht. Sehnsucht, gekürzt auf drei Buchstaben. Ein Kribbeln verursachend auch nach dem zehntausendsten Spülvorgang, als wär es noch am ersten Tag.

Stil ist keine Frage der Herkunft. Sie bewies es. Sie schenkte mir aristokratisch-distanzierte Aufmerksamkeit, wenn sie es für nötig erachtete. Also täglich, wenn sie mich mit ihrer Anwesenheit beehrte. Kein schnödes Aufreißen meiner Ladeklappe, nein, stets schwang Respekt mit. Vor mir, vor meinem Tun, meiner angeborenen Geduld mit Ungeduldigen, mit Techniklegasthenikern, mit Spülpads-Sabotierern. Sie sprach mich an, auch wenn sie schwieg. Was sie zugegebenermaßen selten konnte. Und sie sprach mir immer aus dem Herzen. Denn ich konnte nicht, durfte nicht. Sie lebte Kant: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Die 5 Gebote:

§1: Spülmaschinen gehören eingeräumt.

§2: Spülmaschinen gehören eingeschaltet, wenn sie eingeräumt sind.

§3: Spülmaschinen gehören ausgeräumt, wenn sie eingeschaltet waren und gespült haben und das Geschirr sauber ist.

§4: Spülmaschinen sind keine Abstellfläche für (un)benutztes und vergessenes Geschirr.

§5: Spülmaschinen darf man auch ausschalten.

Sie hatte einen Blick für die Umstände (§4) und ein Händchen für die damit verbundenen technischen Notwendigkeiten (§1, §2, §3, §5). Und ich konnte ihr in ihren Krisen beistehen, in dem ich ihr ein treuer Freund war. Ich tat, was ich tun sollte, klaglos, tagein, tagaus. Jahr für Jahr.

Jetzt ging SIE in Rente. Sie wird mir fehlen, weil sie mir die Erkenntnis gab: Calgonit ist nicht alles im Leben!

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Erstellt:
28.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 07sec
zuletzt aktualisiert: 28.10.2016, 01:00 Uhr

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