Seelsorge · Statt Mauern Brücken bauen

César Rivera aus Mexiko City macht in der katholischen Kirche Kirchentellinsfurt ein Praktikum

Ausgrenzung, Hass, Terror und Krieg – viele Nöte und Krisen prägen das Weltgeschehen, Urheber all dieser Unmenschlichkeit ist einzig: der Mensch. Man könnte sich dem Pessimismus anheimgeben, zum Misanthropen werden. Oder die Perspektive von César Rivera einnehmen, der den einzelnen Menschen sehen und lieben kann, trotz all der Widrigkeiten.

13.04.2017

Von Lisa Heiberger

Am Ostermontag ist das sechswöchige Praktikum für den Mexikaner César Rivera zu Ende. Am vergangenen Palmsonntag schmückte er die katholische Kirche Christus König des Friedens in Kirchentellinsfurt. Bild: Metz

Am Ostermontag ist das sechswöchige Praktikum für den Mexikaner César Rivera zu Ende. Am vergangenen Palmsonntag schmückte er die katholische Kirche Christus König des Friedens in Kirchentellinsfurt. Bild: Metz

Rivera sitzt vor seinem Schreibtisch, darauf die aufgeschlagene Bibel, das Notebook und eine Agave. Der 29-Jährige kommt aus Mexico City: Die Metropole zählt knapp neun Millionen Einwohner, ist „laut, dreckig und stinkt, aber sie ist auch so bunt wie ein Teppich: Man sagt, Mexico City hat viele Gesichter.“ Viele Gesichter aber hat César Rivera nicht nur in Mexiko, sondern auch in Deutschland kennengelernt.

Gerade macht der 29-Jährige ein sechswöchiges Praktikum in der Gemeinde Christus König des Friedens in Kirchentellinsfurt, das Ostermontag, 16. April, endet. In der Gemeinde hat er diverse Aufgaben. So begleitet er hauptsächlich die Gemeindereferentin Eva Schlegel, aber auch Pfarrer Tomas Begovic bei deren Arbeit.

Auch übernimmt er einzelne Teile des Gottesdienstes selbst. Und er hospitiert in der Uhlandschule Wannweil, wo er auch Schülerinnen und Schülern Religionsunterricht gibt. Was er aus der Zeit hier an positiven Erlebnissen mitnimmt, ist die „Offenheit der Leute, die eindrucksvollen Begegnungen mit den Menschen und die Möglichkeiten, meine theologischen Kenntnisse umzusetzen.“

Auf Deutschland wurde Rivera während seines dreimonatigen Informatik-Studiums aufmerksam. Seine Diözese Valle de Chalco pflegt seit 2007 eine Patenschaft mit der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Für ein Jahr unterbrach er dann sein Studium, um einen Weltkirchlichen Friedensdienst in der Gemeinde Heilig Kreuz in Horb am Neckar zu machen. Er stellte fest: „Das, was ich bisher in Mexiko gemacht habe, ist nicht mein Weg“, sein Herz schlage für Menschen.

Durch den festen Glauben und großen Gottesbezug der Mexikaner erkannte er jedoch: Um den Menschen zu verstehen, muss man den Glauben verstehen – so kam er zur Theologie. Aber in Mexiko ist dieses Studium teuer, Religionsunterricht gibt es nur an privaten Schulen und der Priester seiner Gemeinde sagte: „Wir können dich finanziell unterstützen, wenn Du Priester werden willst, aber ich sehe dich nicht als Priester.“

Also suchte Rivera Alternativen und fand sie – wieder in Deutschland. Seit 2014 studiert er in Freiburg Pastoral und Religionspädagogik. Aufgrund der Verzahnung von Theorie und Praxis für ihn eine spannende Alternative zum konventionellen Studiengang der Theologie. Sein Studium wird von der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter der Bedingung finanziert, dass Rivera im Anschluss daran eine Stelle in der Diözese Valle de Chalco erhält.

Während der Zeit in Deutschland hat er gelernt: Egal, ob Lateinamerika oder Europa – „wo Menschen sind, gibt es auch Leiden.“ Zunächst hatte er sich gefragt, wo in Deutschland Armut sei. Er stellte fest: Sie hat mehr Dimensionen und ist nicht nur materiell messbar. „Dann habe ich diese Idee von Armut entwickelt: Auch Ausgeschlossensein ist Armut: Wenn der Einzelne seinen Platz als Mensch nicht mehr findet.“

Dem Menschen die Würde geben

Diese Erfahrung hat Rivera nicht nur bei anderen, sondern auch in der eigenen Familie gemacht: Seine Vorfahren gehörten der indigenen Bevölkerung der Purépecha an. Eine der indigenen Sprachen beherrschten seine Großeltern zwar, sprachen sie aber nicht – aus Angst, ausgeschlossen zu werden. Weil Rivera in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs, lernte er früh, das zu schätzen, was er hatte. Prägend war für ihn die Beobachtung, dass sein Vater trotz knapper Mittel stets großzügig war: „Den anderen zehn Minuten lachen und glücklich zu sehen – dafür hat es sich schon gelohnt.“ Zu helfen bedeutet für ihn daher, „den Menschen wieder ihre Würde zu geben, ihnen zu zeigen, dass man sie wahrnimmt und nicht als Rest der Gesellschaft behandelt.“

Laut Rivera gelingt dies auch durch Seelsorge. „Das ist, was ich machen will. Und durch Religion kann ich Menschen erreichen und trösten.“ Doch wie gewinnt er Zugang zu Menschen, die keinen Glauben haben, Religion gar ablehnen? „Ich glaube, dass alle Menschen dieselben Bedürfnisse haben, egal ob sie Muslime, Christen, Agnostiker oder Atheisten sind.“

Neben seiner Leidenschaft für Menschen kennt er auch die Enttäuschung über sie: „Hier sind viele für sich, es macht mich traurig und wütend.“ Und in Mexiko etwa gebe es viele Kinder, die auf der Straße leben, klauen, gar töten. Die Analyse der Ursachen für das Verhalten der Kinder ist sein Korrektiv: „Dann gelingt es mir, diese Kinder als Menschen, nicht als Monster zu sehen.“ Der Schlüssel für diese Haltung ist „meine Beziehung zu Gott: Die Liebe zum Menschen lohnt sich trotz allem.“

Lohnt sie sich auch, wenn Menschen Mauern bauen, um andere auszuschließen? Angesprochen auf Donald Trumps Pläne, sagt Rivera: „Als Mexikaner bin ich sauer. Wie kann man auf so eine Idee kommen?“ Er sehe darin ein Schüren der Konflikte und der Gewalt. „Statt Mauern sollten wir Brücken bauen. Man muss nicht seinen Nachbarn umarmen, aber man sollte sich auf Augenhöhe begegnen.“