Talheim · Hygiene

Coronafreie Zone vom Fachmann

Das Talheimer Unternehmen Ott hofft, dass die Aufwertung der Gebäudereinigung zu mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führt.

09.09.2020

Von Annette Maria Rieger

„Noch nie haben sich unsere Kunden so gefreut, wenn wir kommen. Jetzt heißt es: ‚Gut, dass ihr uns eine coronafreie Zone macht.‘“: Senat Sahiti und Tanja Gebhard von der Gebäudereinigung Ott sind froh um die zunehmende Akzeptanz von Reinigungs-Fachkräften. Bild: Annette Maria Rieger

„Noch nie haben sich unsere Kunden so gefreut, wenn wir kommen. Jetzt heißt es: ‚Gut, dass ihr uns eine coronafreie Zone macht.‘“: Senat Sahiti und Tanja Gebhard von der Gebäudereinigung Ott sind froh um die zunehmende Akzeptanz von Reinigungs-Fachkräften. Bild: Annette Maria Rieger

Bei der Gebäudereinigung Ott in Talheim arbeiten rund 300 der insgesamt 450 Mitarbeiter als geringfügig Beschäftigte. Damit ist der Talheimer Dienstleister in diesem Sektor einer der größten Arbeitgeber im Nordschwarzwald. Und gerade ihn hat Virus Sars-CoV2 gewaltig herausgefordert.

Nach Corona-Fällen in Großraumbüros mussten Gebäudereiniger in Schutzanzügen anrücken, um alles zu desinfizieren. Derweil fielen Schulen, Schwimmbäder und andere öffentliche Einrichtungen als Einsatzort der Arbeitskräfte wegen der behördlichen Schließungen weg.

Den Teamleiterinnen und Teamleitern in Talheim forderte das einiges ab: Sie mussten Einsätze von jetzt auf gleich umstrukturieren und sind für den technischen Leiter Senat Sahiti (40) „echte Corona-Helden“. Insbesondere die geringfügig Beschäftigen mussten flexibel und mobil reagieren – oder auf ihr Einkommen verzichten. Da sie nicht in die Sozialversicherungen einzahlen, haben sie auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. „Sie waren die Leidtragenden“, sagt Tanja Gebhard (48), die Kaufmännische Leiterin des Unternehmens: „Vielen wurde erst da bewusst, dass sie durchs Netz fallen.“

Auf die Einnahmen angewiesen

Viele geringfügig Beschäftigte arbeiten in der Regel bei Ott, weil sie auf diese Einnahmen angewiesen sind. Etliche haben noch eine andere Teilzeit- oder Vollzeitstelle, erzählt Tanja Gebhard, da falle das nicht so ins Gewicht. Andere verdienen sich auf der 450-Euro-Basis etwas dazu – etwa für den Urlaub. Auch die Voll- und Teilzeit-Beschäftigten hatten bis Juli durch Kurzarbeit nur noch 60 beziehungsweise 67 Prozent ihres Gehalts. Menschen, gibt Gebhard zu bedenken, „die eh schon im Niedriglohn-Sektor zu kämpfen haben“,

Die Reinigungskräfte der Firma Ott erhalten einen Stundenlohn von 10,80 Euro entsprechend dem gesetzlich verankerten Entsendegesetz (AEntG). Das ist nicht zu verwechseln mit dem gesetzlichen Mindestlohn, der derzeit bei 9,35 Euro pro Stunde liegt.

Insbesondere den geringfügig Beschäftigten empfiehlt Tanja Gebhard: „Lasst uns wenigstens Teilzeit vereinbaren, damit alle Sozialversicherungszweige abgedeckt sind.“

Nach wie vor gibt es Ausfälle bei den Auftraggebern. Tanja Gebhard sieht die Existenzen, die dadurch bedroht sind: „Und es ist immer noch nicht absehbar, wann wir wieder Normalbetrieb haben.“

Gleichzeitig erlebt das Unternehmen einen großen Bedarf an „Mehrhygiene“. Firmen legen Wert darauf, dass die sanitären Einrichtungen täglich gereinigt werden und die ihren Mitarbeitern damit auch signalisieren: Wohl und Gesundheit der Belegschaft liegen der Geschäftsleitung am Herzen.

Hygiene war noch nie so wichtig. Der Geschäftsleitung von Ott stärkt das den Rücken bei einem Vorstoß, den sie schon lange verfolgt. Denn eben hier, so Gebhard und Sahiti, könnte der Trend zu mehr „daytime-cleaning“ ansetzen und mehr Teilzeit-Beschäftigung ermöglichen: „Wenn die Reinigungskraft tagsüber schon zum ganz normalen Anblick im Betrieb dazugehört und nicht erst abends kommen muss, wenn alle zuhause sind, dann lassen sich etwa vormittags und nachmittags ganz anders Stunden aufbauen.“ Gebhard: „Bisher galten Reinigungskräfte eher als störend im Betriebsablauf. Doch seit Corona freuen sich alle, wenn wir kommen: Super, jetzt wird wieder sauber gemacht!“

Akzeptanz steigt

Und so hofft sie, dass künftig mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse aufgebaut werden können, was eben nur dann machbar ist, wenn die Reinigungsfachleute mehr als zwei, drei Stunden abends nach Büroschluss eingesetzt werden können.

Die Wertschätzung und die Akzeptanz, das bemerken die Reinigungsfachleute durchweg, ist eine andere als noch vor einem Jahr. Die Nachfrage ist größer, als sie von der Gebäudereinigung Ott bedient werden kann. Sie sind seit Jahren ausgelastet und könnten gut und gerne noch mehr Menschen einstellen. Doch bislang bleibt es schwierig, Auszubildende zu finden.

Nach wie vor ist das Image einer Bürokauffrau-Lehre besser als die höher bezahlte Ausbildung zum Gebäudereiniger. Dabei, so Senat Sahiti, sind die Aufstiegschancen gut und dem Einsatzort kaum Grenzen gesetzt. Qualifizierte Reinigungskräfte sind im Facility-Management wie in der Krankenhaus-Hygiene sehr gefragt. Durch die Duale Ausbildung lässt sich mit einem Hauptschulabschluss innerhalb von drei Jahren die Fachhochschulreife erwerben. Und wer möchte, der kann auch rumkommen, sei es in Hotels oder auf Kreuzfahrtschiffen. Aktuell sind bei Ott noch drei Ausbildungsplätze frei.

Begehrter sind die Ferienjobs. „Ich weiß nicht, wie viele Führerscheine rund um Horb wir finanziert haben“, sagt Senat Sahiti und lacht.

Ein Familienbetrieb in zweiter Generation

Die Gebäudereinigung Ott wurde 1968 in Talheim gegründet. Gebäudereinigungsmeister Thomas Ott hat das Unternehmen 2003 von seinen Eltern übernommen und führt es gemeinsam mit seiner Schwester Tanja Gebhard. Die 48-jährige Betriebswirtin des Handwerks hat die kaufmännische Leitung inne. Tanja Gebhard ist die Regionalvorsitzende Süd-Württemberg in der Landesinnung des Gebäudereiniger-Handwerks Baden-Württemberg. Zudem sitzt sie bei der Bundesinnung im Ausschuss für
Öffentlichkeitsarbeit.