DWK5 - Die wilden Kerle hinter dem Horizont

23.11.2015

"Ach, dieser Satz: Leb jeden Tag so, als wäre es dein letzter! Ist doch Quatsch." Mensch, Rudi. Der oberbayerische Beamte, Hauptabteilungsleiter bei der Abfallbeseitigung, weiß gar nicht, was er da sagt.

"Der Fuji ist am Ende auch nur ein Berg", sagt er auch. Mensch, Rudi. Schon wieder so ahnungslos.

Doris Dörrie wird Rudi auf eine Reise schicken - in die Ferne und zu sich selbst. In ihrem Film "Kirschblüten - Hanami" wird Rudi schmerzlich erfahren, wie überraschend sich das Leben ändert. Und auch, dass es nie zu spät ist, noch manches zu ändern und zu lernen.

"Wie war dein Tag?" - "Hm. Und deiner?" - "Hm." Rudi (Elmar Wepper) und Trudi (Hannelore Elsner) sind über 60, mehr als 30 Jahre verheiratet, zu sagen haben sie sich nicht mehr viel. Nicht, weil sie sich nicht mögen oder nicht mehr verstehen. Sondern weil sie derart aneinander gewöhnt sind, dass sie glauben, alles voneinander zu wissen.

Rudi fährt jeden Tag, in Lodenmantel und Jägerhut, mit dem 7.28-Uhr-Zug Richtung Amt, und wenn er ins Dorf heimkehrt, exakt um 18.20 Uhr, wartet die Gattin mit Strickjacke, Hausschuhen und Schweinebraten auf ihn. Ruhe und Routine. Ein beschauliches, überschaubares Leben. Die Kinder sind aus dem Haus, zwei leben in Berlin, ein Sohn im fernen Tokio. Auch Trudi hat ein Japan-Faible, sie ist fasziniert von der fremden Malerei, dem Tanz, aber sie lebt das nicht aus. Aus Rücksicht auf Rudi, dem diese schillernde Seite peinlich ist.

Rudi ist todkrank. Die Ärzte weihen aber nur Trudi ein. "Wie soll ich denn leben ohne ihn?", fragt sie verzweifelt - doch es wird anders kommen. Trudi will die verbleibenden Wochen nutzen: Die beiden besuchen die Kinder in Berlin (die haben aber keine Zeit), fahren dann an die Ostsee (die ist aber zu laut, und überhaupt "Das Meer ist auch nicht mehr, was es mal war") - und am nächsten Morgen liegt Trudi tot im Bett. Einfach so.

Rudi ist allein mit seiner Trauer. Und beginnt, seine Frau zu entdecken. Ihr ungelebtes Leben, das er ihr, wie er nun spürt, vorenthalten hat. Und das führt ihn, in Lodenmantel und Jägerhut, nach Japan - wo Sohn Karl natürlich keine Zeit hat. Rudi erlebt in Tokio einen Kulturschock, treibt durch die Stadt, geht auch mal verloren; und immer wieder holt ihn die Trauer ein.

Doch Rudi lernt die Butoh-Tänzerin Yu kennen und macht sich mit ihr auf eine letzte Etappe. Bis an den Fuß des Fujiyama, den Ort von Trudis Träumen. Und damit kommt sich das Paar so nahe wie zuvor vielleicht nie im Leben.

Ungelebtes Glück? Vielleicht gibt es mehr Chancen, als man glaubt. "Kirschblüten - Hanami" ist ein zuweilen märchenhafter Film voller Wehmut, aber auch Humor. Und ausgerechnet im Tokio-Kapitel, trotz buntem Straßengewusel und improvisierten Szenen, stellt sich ein Gefühl der Ruhe ein.

Herz des Films - obwohl der leicht knorrige, behäbige Rudi doch sein eigenes Herz erst freilegen muss - ist Elmar Wepper: eine berührende Leistung. Hannelore Elsner nimmt man Trudis extravagante Seite freilich besser ab als das Hausmütterchen. Stark sind die Nebenrollen besetzt: etwa Maximilian Brückner als nach Japan entflohener Sohn und Nadja Uhl, die als Freundin der Tochter in Berlin den Besuchern Trudi und Rudi mehr Nähe schenkt als deren Kinder.

"Die Toten träumen von uns", dieser Satz des Butoh-Meisters Tadashi Endo ist Dörries Inspiration. Ihre Geschichte hat gewiss etwas Spirituell-Esoterisches, ist zugleich aber auch geerdet. Dörrie zeigt das mit (etwas aufgeblasen wirkenden) Digitalkamera-Bildern und nicht immer subtil. Ihr Anliegen kommt deutlich rüber - so wie die Metaphern sehr plastisch sind. Etwa die titelgebenden Kirschblüten: Symbol für unbeschreibliche Schönheit und rasante Vergänglichkeit. Aber all das ist sympathisch. Dieses überwältigende kurze Aufblühen der Kischblüte, das wünsche sie sich für alle Menschen, sagt Dörrie. Durch ihren Film kann man daran zumindest etwas teilhaben. .