Dämonen und Wunder - Dheepan

Dämonen und Wunder - Dheepan

In dem Cannes-Winner von Jacques Audiard flieht ein Tamile aus Sri Lanka mit einer Scheinfamilie nach Frankreich.

01.02.2016

Von Klaus-Peter Eichele

Trailer: Dämonen und Wunder
01:32 min

Der in Cannes mit der Goldenen Palme dekorierte Film von Frankreichs Regie-Star Jacques Audiard beginnt in einem Flüchtlingslager im Norden Sri Lankas. Dort schließen sich drei wildfremde Menschen – der ehemalige Guerillakämpfer Sivadhasan, die vom Bürgerkrieg traumatisierte Yalini und ein kleines Mädchen – zu einer Scheinfamilie zusammen, um gemeinsam nach Europa zu fliehen – wohl weil man in dieser Konstellation leichter Asyl bekommt.

Eine Sequenz später sind die drei bereits in Frankreich, wo sie bis zu einer Entscheidung eine kleine Wohnung in einer verwahrlosten Vorstadt von Paris zugewiesen bekommen. Zumindest Sivadhasan ist fest entschlossen, die Chance auf ein neues, besseres Leben zu nutzen. Er lernt fleißig französisch und stellt sich in einem Aushilfsjob als Hausmeister geschickt an. Das Ansinnen eines alten Kameraden, Waffen für die Heimat zu besorgen, lehnt er ab – auch wenn er dafür Prügel bezieht. Auch zwischenmenschlich läuft es anfangs gut: die Zweckgemeinschaft gedeiht mehr und mehr zu einer echten Familie. Doch während sich Sivadhasan damit am Ziel seiner Wünsche wähnt, ist die Dreisamkeit für Yalini nur eine Übergangslösung – sie will möglichst schnell zu Verwandten nach England.

Wer die wuchtigen, sehr körperbetonten letzten Filme von Audiard („Ein Prophet“, „Der Geschmack von Rost und Knochen“) kennt, wird sich ein bisschen wundern: „Dheepan“ ist über weite Strecken ein leises Drama, das sich ohne dramatischen Aufruhr auf den Alltag der Neuankömmlinge einlässt: Wie sie anfangs unbeholfen, dann immer forscher versuchen, in einer ihnen fremden Welt Fuß zu fassen; wie die Pseudo-Eheleute wie Schopenhauers Stachelschweine einander anziehen und dann wieder abstoßen.

Das ist alles akkurat beobachtet, vieles allerdings wie durch eine Käseglocke. Was die Figuren im Inneren bewegt, welche Wunden sie mit sich herumtragen und wovon sie träumen, bleibt merkwürdig verschwommen. Das Mädchen verschwindet zeitweilig sogar vollständig aus dem Blickfeld.

Dafür wird es im letzten Drittel dann doch noch rabiat: Ein Bandenkrieg, der die Scheinfamilie zunächst nur streift, rückt ihr immer dichter auf die Pelle – was den bis dahin so sanftmütigen Sivadhasan veranlasst, seine Fertigkeiten aus dem Bürgerkrieg zu reaktivieren. Dieser Showdown ist Audiard at his best – auch wenn er im Gesamtzusammenhang ein bisschen aufgesetzt wirkt.

Audiard mixt wieder Sozialrealismus mit wuchtiger Action – diesmal nicht ganz so stimmig wie sonst.

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Erstellt:
01.02.2016, 19:11 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 12sec
zuletzt aktualisiert: 01.02.2016, 19:11 Uhr

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Klex 16.12.201510:08 Uhr

Hochaktueller Flüchtlingsfilm, aber auch als Beziehungsfilm und Thriller spitze. Besonders originell: dass man im Showdown am Schluss weder die Opfer noch den Täter sieht und trotzdem gebannt im Kinosessel hockt. Dass es danach noch ein Wunder gibt, passt gut zum Titel und hat mich überhaupt nicht gestört.
Relevant, gefühlvoll und spannend. Wer den Film verpasst, ist selber schuld.