Gutachten: Wie Tübingen die Luft verbessern kann

Damit keine Strafe droht: Mühlstraße sperren als eine Option

Die Luft in Tübingen muss sauberer werden. Nach wie vor überschreitet die Stadt die von der EU festgelegten Grenzwerte für Luftschadstoffe. Geprüft wird nun unter anderem, ob die Mühlstraße für den Autoverkehr gesperrt werden kann.

04.05.2016

Von Philipp Koebnik

Sollen die Mühlstraße und die Neckarbrücke für den Individualverkehr gesperrt werden? Das ist eine der Fragen, über die der Gemeinderat noch diskutieren muss. Archivbild: Metz

Sollen die Mühlstraße und die Neckarbrücke für den Individualverkehr gesperrt werden? Das ist eine der Fragen, über die der Gemeinderat noch diskutieren muss. Archivbild: Metz

Tübingen. Messungen in der Mühlstraße und in Unterjesingen haben ergeben, dass Tübingen immer noch Probleme mit der Luftreinheit hat. Die Grenzwerte der EU wurden erneut überschritten, vor allem die für Stickstoffdioxid. Zum dritten Mal muss daher der Luftreinhalteplan fortgeschrieben werden. Als Grundlage soll ein Gutachten des Ingenieurbüros Rau dienen. Am Montag diskutierte der Verwaltungsausschuss die Eckpunkte eines möglichen Maßnahmenkatalogs.

„Die Belastung mit Stickstoffdioxid ist immer noch deutlich zu hoch, Erfolge für die Luftreinheit gibt es beim Thema Feinstaub“, sagte Nadja Schlör, die beim Regierungspräsidium für die Luftreinhaltepläne zuständig ist. Allerdings würden auch die Grenzwerte für Feinstaub nicht flächendeckend eingehalten. Wiederholte Überschreitungen der Stickstoffdioxid-Grenzwerte gab es auch in Reutlingen und Ulm. Der Regierungsbezirk Tübingen ist deshalb von einem EU-Vertragsverletzungsverfahren betroffen.

Weil die Neckarbrücke im vergangenen Jahr zeitweise wegen Bauarbeiten gesperrt war, gebe es keine aussagekräftigen Werte für 2015, wie Schlör erklärte. Die letzten Messungen stammen deshalb aus dem Jahr 2014. Das Ergebnis: Der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid überstieg den erlaubten Grenzwert um 40 Prozent. An der Hauptstraße in Unterjesingen wurde eine Überschreitung von rund zwölf Prozent ermittelt. Der Feinstaub-Grenzwert in der Mühlstraße wurde 2014 eingehalten. In Unterjesingen wurde die Feinstaub-Belastung nicht mehr gemessen, weil der Grenzwert dort „sicher eingehalten“ werde, wie es heißt.

Handlungsbedarf gibt es vor allem beim Straßenverkehr. Dessen Anteil an den Stickstoffdioxid-Emissionen beträgt in Unterjesingen 56 Prozent, in der Mühlstraße sogar 64 Prozent. Das Heilbronner Ingenieurbüro Rau hatte bereits ein Gutachten zur zweiten Fortschreibung erstellt. Am Montag erläuterte Matthias Rau den Ausschussmitgliedern, wie sich die Schadstoff-Belastung verringern ließe. So könnte die Neckarbrücke für den Individualverkehr gesperrt werden. Desgleichen die Mühlstraße, wobei der Zugang von der Neckarbrücke zur Gartenstraße bestehen bliebe. Auch beides zugleich, also die Sperrung von Brücke und Mühlstraße, sei eine Option.

Aber nicht nur die Autos, auch die Busse stehen im Fokus, stellte Rau klar. Sie könnten aufgerüstet werden, sodass sie weniger Giftstoffe ausstoßen. Daneben soll geprüft werden, welches Potenzial strengere Vorgaben für die Holzfeuerung haben.

Oberbürgermeister Boris Palmer sah die Vorschläge kritisch: „Es ist die falsche Logik, die Luft in der Nähe der Messstellen sauberer zu machen.“ Hinzu komme, dass Dieselfahrzeuge, wie man nunmehr wisse, rund acht Mal mehr Schadstoffe ausstoßen als offiziell angegeben. Mithin: Statt einzelne „Hotspots“ wie die Mühlstraße zum Problem zu erklären, solle man lieber dafür sorgen, dass weniger Dreck aus den Auspuffen komme.

„Wir wissen Bescheid über den Betrug von VW und den legalen Beschiss anderer Automobilhersteller“, rief Heinrich Schmanns (AL/Grüne) die jüngsten Abgas-Skandale in Erinnerung. Er fragte, ob die Schadstoff-Belastung auf Grundlage geschönter Angaben der Hersteller oder unter realistischen Annahmen errechnet werde. Man sei auf „standardisierte Werte angewiesen“, sagte Dietmar Enkel, Leiter der Umweltabteilung im Regierungspräsidium. Man verlasse sich aber nicht allein auf die Angaben der Industrie. Allerdings: Es sei letztlich „ein Fischen im Trüben“, denn man wisse nicht, ob noch andere Hersteller betrogen haben. Ein Problem sei zudem, dass die Abgasreinigung oftmals „bei Kälte nicht so gut arbeitet“.

Wird das Problem

lediglich verlagert?

Wie die Stadt die Busflotte aufrüsten könne, wollte Ingeborg Höhne-Mack (SPD) wissen. Denkbar seien die Anschaffung von Hybrid-betriebenen oder Elektro-Bussen, sagte Rau. Jedoch gelte es, die teils starken Steigungen zu bedenken. Was die Busse angeht, stehe Tübingen „im landesweiten Vergleich sehr gut da“, sagte Palmer. Die Hälfte der Dieselbusse erfülle die Euro-5-Abgasnorm. Denkbar sei eine Erhöhung der Zahl der Busse, die der strengeren Euro-6-Abgasnorm entsprechen, so Rau.

Christoph Joachim verwies darauf, dass bald die Stadtbahn komme, „wenn alle es wollen“. Über Straßensperrungen nachzudenken, sei deshalb verfrüht: „Dann fahren nur noch 800 Busse durch die Mühlstraße.“ Heute sind es täglich 2000. Die Stadtbahn werde zwar zu einer Entspannung der Lage beitragen, sagte Enkel. Doch sei man rechtlich nun einmal verpflichtet, jetzt aktiv zu werden.

Mehrere Ausschussmitglieder fragten, ob eine Sperrung der Mühlstraße nicht lediglich dazu führte, dass sich andernorts neue „Hotspots“ bildeten. Langfristige deute der Trend auf eine Verbesserung hin, sagte Rau. Der Gutachter räumte aber ein, dass es durch eine solche Maßnahme an anderen Stellen des Stadtgebiets „erstmal schlechter“ würde.

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Erstellt:
04.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 04.05.2016, 01:00 Uhr

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roha16 04.05.201611:45 Uhr

2000 Busse am Tag! Das ist doch ein Ansatzpunkt! Weniger geht nicht, aber sauberer! Also Hybridbusse! Wurde schon mal gerechnet, was das bringen könnte? Der Dauer-Reflex des OB gegen Individualverkehr ist mir zu einseitig!

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