Rottweil/Horb · Justiz

Das Bild verdichtet sich langsam

Drei Zeugen sagten gestern vor dem Rottweiler Landgericht im Prozess um die Tötung des Nordstetter Immobilienunternehmers Michael Riecher aus.

14.08.2019

Von Manuel Fuchs

Landgericht Rottweil. Bild: Mathias Huckert

Landgericht Rottweil. Bild: Mathias Huckert

Der Vernehmung der ersten Zeugin des gestrigen Verhandlungstags, einer 30-jährigen Richterin am Amtsgericht Rottweil, ging ein Verwertungswiderspruch der Verteidiger voraus, der genau diese Vernehmung unterbinden sollte. Die Richterin hatte am 5. Dezember 2018 die Ehefrau des zweiten Angeklagten vernommen und beide Angeklagten von dieser Vernehmung ausgeschlossen.

Die schutzwürdigen Interessen der Ehefrau genießen in diesem Fall keinen Vorrang gegenüber anderen Interessen wie dem Konfrontationsrecht der Angeklagten, führte Rechtsanwalt Kristian Frank aus. Daher sei die Einführung der Richterin als Zeugin unzulässig. Die 1. Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitz des Richters Karlheinz Münzer wies den Widerspruch nach einer kurzen Beratung zurück. Eine Dreiviertelstunde später als geplant trat die Richterin also in den Zeugenstand.

Sie berichtete über die Vernehmung der Ehefrau des zweiten Angeklagten. Diese habe damals ausgesagt, am 31. Oktober oder 1. November 2018 sei ihr Mann angerufen worden. Auf ihre Nachfrage habe er erzählt, ein Freund habe ihm angeboten, mit einer Drogenkurierfahrteine Menge Geld zu verdienen.

Nachdem ihr Mann am 1. November das Haus verlassen hatte, habe sie ihn erst am 3. November gegen 17 Uhr wiedergesehen. Bei seiner Rückkehr soll er besorgt gewirkt und über Schmerzen geklagt haben. Er sei bei Freuden in Zuffenhausen gewesen, habe er ihr gesagt, und ihr ein recht teures Smartphone als Geschenk mitgebracht. Außerdem habe er sich neue Schuhe gekauft. Das Geld stamme aus einem Security-Job , den er ausgeübt habe, als die beiden zuvor für einige Zeit getrennt gewesen waren.

Von dem Bekannten, der ihren Mann vorgeblich als Drogenkurier anwerben wollte, soll dessen Ehefrau keine hohe Meinung geäußert haben: Er sei materialistisch veranlagt und habe Lügen über das Ehepaar verbreitet. Allerdings habe er ihrem Mann einmal eine größere Summe Geld geliehen, die Rede war von 4500 Euro. Ob die zurückgezahlt seien, wisse sie nicht. Ihren Mann soll sie in der richterlichen Vernehmung laut Aussage der Zeugin als „eher schüchtern und leicht zu beeinflussen“ beschrieben haben.

Als ihr Mann in einem Zug festgenommen wurde, war seine Ehefrau dabei. Es habe sich um einen Ausflug nach Berlin gehandelt, der auf ihre Initiative stattgefunden habe, soll sie nach Aussage der Richterin im Zeugenstand in ihrer Vernehmung gesagt haben. Sie sei nach der Festnahme ihres Mannes mit der Polizei mitgegangen.

Vernehmung fortgesetzt

Zweiter Zeuge des Tages war ein 50-jähriger Schweißer aus Horb, für den dieses Mal eine Italienisch-Dolmetscherin bestellt war. Er ist ein ehemaliger Kollege des ersten Angeklagten und hatte bereits am sechsten Verhandlungstag als achter Zeuge ausgesagt (vergleiche NECKAR-CHRONIK vom 18. Juni, „Viele Aussagen, jedoch nur mäßiger Erkenntnisgewinn“), doch war die Befragung damals unterbrochen worden.

Der Zeuge sagte gestern aus, den ersten Angeklagten am Samstag, 3. November 2018, zwischen 11 und 12 Uhr gemeinsam mit zwei oder drei anderen Personen vor einem Kebap-Imbiss in Horb gesehen zu haben. Der Zeuge selbst sei dabei in Begleitung seiner Frau mit dem Auto an diesem Imbiss vorbeigefahren.

Er will in der Zeit vorher sporadisch telefonischen Kontakt mit dem Angeklagten gehabt haben. Dass auf seinem beschlagnahmten Mobiltelefon keine solchen Telefonate gelistet sind, konnte der Zeuge erklären: „Wenn mir die Listen [gemeint: die im Gerät gespeicherten aus- und eingehenden Anrufe] zu lang sind, lösche ich sie.“ Dies habe jedoch nichts mit dem Angeklagten zu tun, oder dass er, der Zeuge, etwas vertuschen wolle.

Auf Nachfrage erklärte der Zeuge weiter, der erste Angeklagten habe ihn gefragt, ob sich daran beteiligen wolle, den Nordstetter Michael Riecher zu bestehlen. Er habe dies jedoch rigoros abgelehnt. Am Abend des 2. November, dem mutmaßlichen Tatabend, habe er sich auf der Geburtstagsfeier seines Sohnes in Bildechingen aufgehalten und sei von dort erst gegen 22.30 Uhr gemeinsam mit seiner Frau, zwei weiteren Kindern und der Schwiegerfamilie aufgebrochen.

Auf die Frage, ob er seinem ehemaligen Kollegen, also dem ersten Angeklagten, die Tötung Michael Riechers zutraue, antwortete der Zeuge: „Ich hätte es nicht gedacht.“

Dessen Rechtsanwälte Dr. Alexander Kubik und Alexander Hamburg beantragten nach der Vernehmung, auch die Ehefrau dieses Zeugen zu laden: zum Beweis der Tatsache, dass sich der erste Angeklagte am 3. November 2018 zwischen 11 und 12 Uhr bei dem genannten Imbiss aufgehalten hat. Die in den Gerichtsakten protokollierten Standortdaten seines Smartphones geben hingegen einen gänzlich anderen Ort an.

Die Staatsanwaltschaft stütze ihre Anklage auf eben solche Standortdaten, insbesondere zum tatrelevanten Zeitpunkt am 2. November 2018, führte Rechtsanwalt Hamburg aus. Die Verteidigung möchte auf diesem Weg darlegen, dass die Standortdaten nicht zuverlässig protokolliert werden und ihnen daher kein Gewicht in der Beweisaufnahme zukomme. Da sich die Ehefrau des soeben vernommenen Zeugen im Gerichtsgebäude aufhalte, könne sie sofort geladen werden.

Keine sofortige Entscheidung

Richter Münzer ließ den Antrag zur Zeugenladung kommentarlos zu Protokoll nehmen und rief den dritten Zeugen des Tages auf. Auch dieser, ein 33-jähriger Modedesigner, war bereits am sechsten Verhandlungstag vernommen worden.

Ihn habe eine enge Freundschaft mit dem Mann verbunden, der die beiden Angeklagten miteinander bekannt gemacht haben soll. Diesen habe er als seinen Zimmer-Mitbewohner in der Flüchtlingsunterkunft kennengelernt; er sei einer der wenigen Menschen gewesen, denen er sehr vertraut habe.

Auf den ersten Angeklagten angesprochen, äußerte sich der Zeuge vorsichtig: Zu dessen finanzieller Situation könne er nichts sagen, aber er arbeite schließlich, besitze ein Auto und habe geheiratet. Erst nach der Hochzeit sei dem Zeugen zu Ohren gekommen, dass er trotzdem viele Schulden habe. In seiner polizeilichen Vernehmung am 13. November 2018 hatte er bereits drastischer formuliert: Der Angeklagte sei geldgierig, lüge viel, nehme Geld von den Leuten und zahle es nicht wieder zurück. Dies sei, beteuerte der Zeuge gestern, eine Einschätzung vom Hörensagen; er selbst habe dem ersten Angeklagten nie Geld geliehen. Für das Brautkleid allerdings, das er in dessen Auftrag angefertigt habe, sei er nie angemessen bezahlt worden, sondern habe unter fadenscheinigen Begründungen nur etwa 65 Euro erhalten.

Auf einer gemeinsamen Autofahrt habe der erste Angeklagte dem Zeugen eine Tablette gezeigt und gesagt, er wolle sie seinem Vermieter Michael Riecher verabreichen, um diesen dann zu bestehlen. Dies habe der erste Angeklagte aber umgehend zu einem Witz erklärt, auf den er, der Zeuge hereingefallen sei.

Die Nacht auf Freitag, 2. November 2018, haben der zweite Angeklagte und der gute Freund des Zeugen in dessen Wohnung verbracht. Am Morgen des 2. November sei man gemeinsam nach Horb gefahren; der Zeuge habe einige Besorgungen erledigt und danach seinen Freund wieder am Bahnhof getroffen. Dieser sagte ihm, der zweite Angeklagte sei gerade mit dem Zug nach Stuttgart gefahren. Weil der Zeuge auf den Abfahrtstafeln jedoch keinen Zug nach Stuttgart hatte ausmachen können, ahnte er, dass ihn sein Freund belogen hatte. Er ließ dies jedoch auf sich beruhen, und die beiden Männer fuhren gemeinsam nach Mannheim.

Als der Zeuge einen oder zwei Tage darauf durch einen Anruf von Riechers Tod erfuhr, habe er sich an den vermeintlichen Witz des ersten Angeklagten erinnert und sich gefragt, ob die Tablette doch zum Einsatz gekommen sei. Er habe seinen Freund darauf angesprochen, doch dieser habe alle Spekulationen abgewiegelt. Erst später habe er durchblicken lassen, dass er etwas über die Vorgänge um Michael Riechers Tod wisse. Der Zeuge will ihm geraten haben, eine Aussage bei der Polizei zu machen. Nachdem dies geschehen war, äußerte sich der Freund erleichtert: Nun habe er sein Gewissen beruhigt.

„Er wusste über alles Bescheid“, sagte der Zeuge im Gerichtssaal verärgert und enttäuscht. Er habe daher den Kontakt zu seinem einst vertrauten Freund konsequent abgebrochen, könne daher auch nicht sagen, was der Inhalt dessen Aussage bei der Polizei gewesen war.