Das Drama eines Jahres

Vom Maschinenbauer bis zum Fahrradladen: Es gab kein Wirtschaftsthema im Jahr 2020, das nicht vom Coronavirus infiziert war. Es begann mit ausnahmslos schlechten Nachrichten, doch gab es schnell auch immer wieder Lichtblicke und ein Aufbäumen, gerade in der Wirtschaft. Alle Nachrichten jedoch hatten eine kurze Halbwertszeit: Erst kam die Verharmlosung, dann die Apokalypsenstimmung, später ein in Teilen schon ausgelassener Sommer und dann der zweite Lockdown. Versuch eines (unvollständigen) Protokolls.

04.12.2020

Von TEXT: Eike Freese|FOTO: Ulrich Metz

Das Drama eines Jahres

Januar 2020

Erste Nachrichten über ein
neuartiges Virus in China.

13. Januar

Aus China wird der erste Corona-
Tote gemeldet.

21. Januar

Schulung beim bayerischen
Automobilzulieferer Webasto. Es gibt erste Fälle in Deutschland.

30. Januar

Ansturm auf Gesichtsschutz: „Wir haben schon Tausende von Masken verkauft“, berichtete Stefanie Kurz von der
Pharmafant-Apotheke am Tübinger Nonnenmarkt. Die Nachfrage sei
„abartig groß“.

31. Januar

59 Unternehmen in Region Neckar-Alb haben Tochtergesellschaften in China, weitere 82 Vertretungen. Firmen wie die Walter AG, die Paul Horn GmbH oder die Reutlinger Manz AG gehen verstärkt ins Home Office, unterlassen Dienstreisen oder lassen Standorte dort zunächst geschlossen.

1. Februar

Die Tübinger Biotech-Firma Curevac meldet die Suche nach einem
Impfstoff gegen das neue Virus.

26. Februar

In Tübingen werden erste Fälle
gemeldet: eine junge Frau und ihr
Vater. Währenddessen werden
Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel in der Region knapp.

28. Februar

„Schon jetzt sind einige Lieferketten gestört“, meldet IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Epp aus der Industrie. Blockierte Wege aus China und Italien drohten Produktionen lahmzulegen.

29. Februar

Die Tübinger Verbrauchermesse
FdF beginnt. Statt 70 000 Besuchern kommen am Ende nur 36 000.

2. März

Hamsterkäufe in der Region:
In Supermärkten wird Toilettenpapier und Mehl knapp.

3. März

Curevac-Chef Dan Menichella
besucht Donald Trump im Weißen Haus. Demonstranten vor der
Tübinger Curevac-Zentrale.

5. März

Stornierungswelle in Hotels und Gastronomie der Region: Dienstreisen und Urlaube werden en masse abgesagt.

11. März

Moldex aus Walddorfhäslach liefert Schutzmasken nach Berlin: 20 000 Stück pro Woche werden gemeldet.

13. März

Der Tübinger Chemie-Riese CHT steigt in die Produktion von Hände-Desinfektionsmittel ein und versorgt die Region.

18. März

Die Leitungen der Reutlinger
Arbeitsagentur brechen zusammen. Privatleute haben Fragen nach
Zuschüssen und sozialen Hilfen,
Arbeitgeber nach Kurzarbeitergeld.

23. März

Das Tübinger Modeunternehmen Rösch will 100 000 Schutzmasken pro Woche fertigen. Binnen Stunden sind die Server der Firma überlastet: Das
Interesse ist riesig, Rösch stattet am
Ende Drogerieketten wie dm aus,
aber auch die Stadt Tübingen.
Andere Hersteller der Region folgen.

27. März

Überall in der Region gibt es jetzt Kampagnen für Zusammenhalt in Gesellschaft und Wirtschaft: „Abstandnehmen/Zusammenstehen“ in Reutlingen, der Tueshop in Tübingen, die Rottenburger Lokalhelden oder „Wir sind für euch da!“ im Zollernalbkreis.

5. April

Bio- und Lieferboom: Das Obstgut Bläsiberg bei Tübingen nimmt keine Neukunden mehr auf, die Bestellungen von Biokisten stieg um 30 Prozent.

7. April

Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel (Linke) fordert vom Land, Firmen zwangsweise Schutzausrüstung
produzieren zu lassen. Freiwillige
Appelle für eine Umstellung reichten nicht aus, sagt Hänsel.

20. April

Erster Tag der Lockdown-Lockerungen. Noch kommt in den Städten keine Shopping-Laune auf, größere Geschäfte müssen geschlossen bleiben.

23. April

Nach Protesten gegen die jüngsten Verordnungen dürfen nun auch
Großgeschäfte der Region wie Zinser, Breuninger, Intersport und die
Elektroriesen öffnen.

2. Mai

Erste Arbeitsmarktzahlen nach dem Frühjahrs-Lockdown. Im Bezirk
Reutlingen-Tübingen geht die Quote von 3,1 auf 3,7 Prozent hoch.

5. Mai

Mit dem schnuckeligen „Frau Hopf
im Schlosscafé“ gibt ein erster
prominent gelegener Gastro-Betrieb
in Tübingen auf.

8. Mai

Die Diagnostik-Firma Cegat eröffnet eine mobile Antikörper-Test-Ambulanz. Menschen können einfach kommen und für 25 Euro prüfen lassen, ob sie schon Corona hatten. Tübingens
OB Boris Palmer fordert Arbeitgeber auf, die Cegat-Antikörper-Ambulanz
zu nutzen, um fetzustellen, wie der Pandemieschutz im eigenen Betrieb optimiert werden kann.

16. Mai

Die Arbeitsagentur Reutlingen mahnt, dass viele Hilfen etwa von Soloselbständigen nicht abgerufen werden. Viele Erleichterungen, etwa bei Hartz-IV-Bezug, seien einigen
unbekannt. Währenddessen tagt
erstmals der Tübinger Gemeinderat per Videokonferenz.

18. Mai

Gastronomen dürfen wieder öffnen. In Städten wie Tübingen und
Reutlingen wird die Außenbewirtschaftung massiv erleichtert,
etwa über Antragsbefreiung oder Gebührennachlassung.

30. Mai

Zum Abschluss des ersten Corona-Soforthilfeprogramms hat die
IHK Reutlingen von 21 341 Anträgen aus der Region Neckar-Alb 12 430
positiv geprüft.

1. Juni

Es gibt jetzt in Tübingen eine
Ortsgruppe der „Querdenken“-
Bewegung, die erstmals gegen
die Corona-Schutzmaßnahmen
demonstriert. Im Landkreis
allein gibt es zu diesem Zeitpunkt 1290 Fälle und 59 Corona-Tote.

4. Juni

Arbeitslosenquote im Bezirk: 4,0
Prozent. So hoch war sie zuletzt am Hochpunkt der Finanzkrise 2009. Für 82 000 Beschäftigte in Reutlingen-Tübingen ist Kurzarbeit angemeldet.

6. Juni

Hygiene-Konzepte überall:
Seit heute dürfen auf dem Tübinger Neckar wieder Stocherkähne fahren.

15. Juni

Die Bundesregierung steigt mit
300 Millionen Euro bei Curevac ein.

16. Juni

In der Tübingen haben Gewerbe-
vermieter bislang rund 500 000 Euro Mietnachlass gewährt. Die Stadt
förderte das Ganze mit Zuschüssen von 220 000 Euro.

18. Juni

Gastronomen und Einzelhändler am Neckar starten den „Tübinger Feierabend“, um Shopping und Bummellaune anzuregen. Die sommerliche Altstadt ist rappelvoll.

19. Juni

In der Outlet-City Metzingen eröffnen die neuen Enzian-Höfe mit noch einmal 2340 Quadratmeter Verkaufsfläche mehr. Noch fehlen die ausländischen Einkäufer, etwa die 800 000
Chinesen im Jahr. Später im Jahr aber müssen überall strenge Regelungen her, um den heftig drängenden Shoppern aus dem Inland Herr zu werden.

30. Juni

Demonstration auf dem Tübinger Holzmarkt für mehr Coronahilfe für Studenten: Wer wegen Corona seinen Nebenjob nicht ausüben kann, muss das Studium womöglich abbrechen, argumentiert der DGB.

15. Juli

Mit bundesweiter Werbung,
Pauschalangeboten und Rabatten
beginnt eine von der Stadt Tübingen geförderte „Restart-Kampagne“ für den Tourismus am Neckar.

16. Juli

In einer bislang noch glimpflich
verlaufenden Krisenzeit mahnt der
Tübinger Kreissparkassen-Chef Christoph Gögler zu Investitionshilfen für Unternehmen. Hauptsache aber sei,
so Gögler, dass in der Coronazeit kein zweiter Shutdown kommen muss. „Dann“, so Gögler, „sehe ich schwarz.“

23. Juli

Der erste IHK-Konjunkturklima-Index der Corona-Zeit rutscht um 37 Punkte auf 84 Punkte ab und ist damit im
„Minus“. Es ist aber noch nicht so
düster wie in den Krisenjahren 2002 oder 2009.

24. Juli

Nun doch keine Verpackungssteuer ab Januar: Das Tübinger
Vorzeigeprojekt wird mit äußerst knapper Mehrheit gegen Grüne,
Fraktion und Teile der Linksfraktion auf 2022 verschoben.

30. Juli

Ein Monat Mehrwertsteuersenkung. So richtig jubelt kaum eine Branche in der Region über den Plan. Vor allem die Umstellungskosten der befristeten Idee werden kritisiert.

14. August

Börsengang von Curevac, Aktienkurs verdreifacht sich zum Start.
200 Neueinstellungen sollen kurzfristig kommen, um mit am Impfstoff zu arbeiten. Später im Jahr kommt auch noch Tesla-Chef Elon Musk, um die Entwicklung von „RNA-Druckern“
abzustimmen.

15. August

HGVs in der Region wollen Ersatz für die abgesagten verkaufsoffenen Sonntage. Dem Handel fehlen damit erhebliche Einnahmen.

8. September

Minus 18,4 Prozent bei den
Ausbildungsverträgen in der
Region gegenüber 2019. IHK und
Gewerkschaften schlagen Alarm
und appellieren an die Betriebe.

15. September

Plötzlicher Andrang:
Rund 100 Geschäfte hat der HGV
Tübingen im Coronajahr bislang zum Thema Online-Präsenz beraten.

17. September

Der Umbrisch-Provenzalische Markt in Tübingen fällt aus. Stattdessen gibt es „Genusstage“, mit verstreuten Marktständen und vielen Internet-Aktionen.

2. Oktober

Ministerpräsident Winfried
Kretschmann besucht Curevac
und nennt den Betrieb einen
globalen „Leuchtturm“.

20. Oktober

Die Tübinger Atriva-Therapeutics forscht an einem Covid-19-Medikament. Die EU findet das Projekt vielversprechend und gibt 24 Millionen.

21. Oktober

Überraschend stabile Konjunkturlaune: Der IHK-Konsumklimaindex steigt wieder über 100. „Die Talsohle ist
im Moment durchschritten“, sagt IHK-Präsident Christian O. Erbe. „Wenn kein zweiter Lockdown kommt.“

27. Oktober

250 Leute aus dem Tübinger Gastgewerbe demonstrieren auf dem Marktplatz gegen erneute Schließungen.
Einen Tag später ist es soweit.

10. November

Der Dettinger Automotive-Konzern
ElringKlinger (10 000 Beschäftigte)
erholt sich gegen Ende des Jahres.
Der Gewinn liegt allerdings deutlich unter dem Vorjahreswert.

30. November

Curevac bilanziert die ersten drei Quartale das Ausnahmejahrs. Seine liquiden Mittel hat das Unternehmen seit Januar auf 900 Millionen Euro verdreißigfacht. Gewinn? Noch immer Fehlanzeige. Früh in 2021 soll die letzte Studie abgeschlossen sein. 405 Millionen Dosen sind der EU versprochen.

1. Dezember

Weitere Entspannung:
Die Arbeitslosigkeit im Bezirk
liegt bei 3,9 Prozent. Damit sinkt sie den dritten Monat in Folge.

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Erstellt:
04.12.2020, 08:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 31sec
zuletzt aktualisiert: 04.12.2020, 08:00 Uhr

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