Aufregender Psychothriller, der zum Nach-Denken anstiftet. Was will man mehr?

Das Experiment

Aufregender Psychothriller, der zum Nach-Denken anstiftet. Was will man mehr?

24.11.2015

Von che

Das Experiment

Was der Mensch dem Menschen an Gemeinheiten zufügen kann, wie friedliche Nachbarn einander urplötzlich zu Bestien werden, sieht man jeden Abend in der Tagesschau. Warum das so ist, hat die Wissenschaft häufig herauszufinden versucht. Theodor W. Adorno analysierte schon kurz nach der Nazizeit in einer empirischen Studie den "Autoritären Charakter". Das nicht minder berühmte Milgram-Experiment (verewigt in dem Politthriller "I wie Ikarus") erbrachte den Beweis, dass der Mensch zu jeder Schandtat fähig ist - wenn sie durch einen starken Mann im Hintergrund gedeckt ist. Zu einem ähnlichen Befund kam in den siebziger Jahren jener Menschenversuch an einer amerikanischen Universität, der den deutschen Regisseur Oliver Hirschbiegel zu seinem starken Debütfilm "Das Experiment" inspirierte.

Zwanzig mit viel Geld geköderte Versuchskaninchen müssen 14 Tage lang im abgeriegelten Unikeller einen Knast simulieren. Sie werden in Wärter und Gefangene eingeteilt und, von Videokameras überwacht, sich selbst überlassen. Was als Abenteuercamp mit Big-Brother-Touch launig beginnt, mündet als bald in brachialen Terror. Die Wärter nutzen die ihnen unverhofft zugeschanzte Macht zum Aufbau eines Gewaltregimes, das wahllos schikaniert, demütigt und foltert. Die anfangs noch fröhlich aufsässigen Gefangenen fallen in Apathie und Resignation. Und die (offenbar auch sexuell stimulierten) Wissenschaftler schauen tatenlos zu und zahlen am Ende einen hohen Preis für ihren Ehrgeiz.

Ein ernst zu nehmender Debattenbeitrag über den "Faschisten in uns" ist der Film allerdings nicht. Über die Psyche der Täter, die sich von einem im Privatleben eher biederen Beamten-Typen zu immer neuen sadistischen Exzessen aufstacheln lassen, erfährt man wenig. Furios verarbeitet der Regisseur aber die gruppendynamischen Äußerlichkeiten des Experiments zu einem perfekt gebauten Thriller, der mit leisem Grauen beginnt und später die Gefrierschocks im Fünf-Minuten-Takt verabreicht. Jedes Quäntchen Spannung, das die Konstellation hergibt, wird von Hirschbiegel bis zum Anschlag ausgereizt - anders übrigens als im originalen Experiment, das nach sieben Tagen relativ unspekta kulär abgebrochen wurde.

Dass die politische Brisanz der Geschichte am Ende in lauter Blutlachen absäuft, liegt in der Logik des ganz den Genre-Regeln verpflichteten Erzählens. Wer tiefer in die sozialpsychologische Materie eindrin gen will, muss also zu der einschlägigen Literatur greifen. Der Film macht jedenfalls Lust darauf.

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Erstellt:
24.11.2015, 12:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 08sec
zuletzt aktualisiert: 24.11.2015, 12:00 Uhr

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