Französische Filmtage

Das Gegenteil von „Heidi“

Noch mehr Kino, Reutlingen als zusätzliche Spielstätte, die Schweiz als Schwerpunkt und was das 33. Festival sonst bietet.

01.10.2016

Von Ulla Steuernagel

Diese „Sweet Girls“ haben ein Programm zur Wohnraumgewinnung entwickelt.Bild: Filmverleih

Diese „Sweet Girls“ haben ein Programm zur Wohnraumgewinnung entwickelt.Bild: Filmverleih

Dieses Jahr sei die Familie sehr präsent, ließ Festivalleiter Christopher Buchholz in der Pressekonferenz am Mittwoch beim SWR wissen. Doch der Gast, der als erstes genannt wurde, wenn es um die kommenden Französischen Filmtage geht, steht nicht unbedingt für die familiären Aspekte des Nachbarlandes: Multitalent Daniel Cohn-Bendit kommt am Donnerstag, 3. November, nach Tübingen. Er ist einer der Überlebenden der 68er-Bewegung, also einer derer, die immer noch Politik und Medien aufmischen.

Nicht nur Cohn-Bendit rückt das Klischee eines allzu feinsinnig und frankophon gewobenen Kinobildes zurecht. Das Festival hat auch darüber hinaus einigen politischen Zündstoff im Programm. Allen voran eine schockierende Dokumentation aus unkommentierten Interviews und Propaganda-Material islamistischer Fanatiker. „Salafistes“ heißt der Film von François Margolin. Der Regisseur kommt gegen Ende der Filmtage, am Dienstag, 8. November, zur Diskussion nach Tübingen.

Und dass die „radikalen Salafisten nicht vom Himmel fallen“ , so Jörg Wenzel, der die afrikanische Sektion des Festivals präsentierte, zeigt „Wùlu“ von Daouda Coulibaly aus Mali. Ein Film, der klarmacht, wie Drogen aus Südamerika via Sahara zum profitablen Geschäft für Islamisten werden.

Am 7. November wird eine Runde unter anderem mit afrikanischen Regisseur(inn)en über die wenig hoffnungsfroh stimmende Situation dieses Kontinents diskutieren. Die senegalesische Regisseurin Rama Thiaw ist dabei, deren Film „The Revolution won‘t be televised“ auf der Berlinale hochgelobt wurde.

Doch weder Islamisten noch eine korrupte Politikerkaste werden das 33. Französische Filmfestival in den Würgegriff nehmen können. Die Macher, ein Kernteam aus 15 Mitarbeiter(inne)n, die, so Buchholz , entweder unbezahlt oder sehr unterbezahlt arbeiten, haben auch an das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums gedacht. Zum Auftakt gibt es gleich etwas zu lachen – und zwar auf Kosten der Reichen: „Ma Loute – die feine Gesellschaft“ ist eine böse Klassenkampfkomödie von Bruno Dumont („Camille Claudel“), einem Regisseur, der sonst eher dem ernsten Stoff zugeneigt ist. Dumont, der seinen Filmen mit einer Mischung aus Stars und Laiendarstellern besondere Authentizität verleiht, bringt zur Eröffnung eine seiner No-Name-Akteure mit. In Cannes, so schwärmt Buchholz, habe jene „Raph“ sogar locker die großartige Juliette Binoche ausgestochen.

Jedes Jahr nehmen sich die Filmtage ein anderes frankophones Land vor. Diesmal ist es die Schweiz oder ihr französischer Teil. „Ein komisches Land“, fand Buchholz. „Da guckt man in den verschiedenen Landesteilen nicht die Filme der anderen an.“ Dabei habe die Schweiz eine große filmische Tradition, ohne dass man dabei an „Heidi“ denken müsse. Eine witzige Antwort auf das idyllische Verhältnis zwischen „Heidi“ und ihrem Großvater „Almöhi“ sei etwa „Sweet Girls“, eine irrwitzige Komödie, in der zwei Mädchen, die alten Leute beseitigen wollen, die den raren Wohnraum verstopfen.

Vertreten wird die Schweiz bei den Filmtagen auch durch den Regisseur Lionel Baier, der außer dem experimentellen, einem fast vollständig mit dem Handy gedrehten Film („Low Cost“), schon viele Genres ausprobierte. Seine Filme sind sehr persönlich, setzen sich mit Schwulsein auseinander und darüber hinaus auch mit Identität und Heimat. Baier wird eine Masterclass an der Universität leiten und am Montag, 7. November, um 18 Uhr im Brechtbau über das Schweizer Kino sprechen.

Wie verschieden Familien oder Kindheiten aussehen können, das zeigen eine Menge Filme des Festivals. Zum Beispiel „La Sociologue et l‘ourson“ („Die Soziologin und der Teddybär“): Wie in der „Sendung mit der Maus“ wird hier das Modell Familie erklärt.

Von Mittwoch auf Mittwoch: 2. bis 9. November

Zu den gewohnten Spielstätten in Tübingen, Rottenburg, Mössingen und Stuttgart ist jetzt auch das Kamino in Reutlingen gekommen. Infos zum Programm und Kartenreservierungen für Tübingen unter der Festival-Nummer 0 70 71 / 56 96 56, andernorts bei den Kinos selber.