Spannender Fund bei Tübinger Rathaus-Sanierung

Das Geheimnis der alten Münzen

Mit der Instandsetzung des historischen Dachreiters ist die Generalüberholung von Tübingens Schmuckstück am Marktplatz vollendet. Historiker förderten dabei Spannendes zu Tage.

13.12.2016

Von Volker Rekittke

Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus

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Höher hinaus geht es nicht: Viele Handwerker waren 2016 an der Sanierung des Dac...
Höher hinaus geht es nicht: Viele Handwerker waren 2016 an der Sanierung des Dachreiters auf dem Tübinger Rathausdach beteiligt: Ein Architekturbüro koordinierte gemeinsam mit dem städtischen Hochbauamt während der 16-wöchigen Bauzeit 16 handwerkliche und bautechnische Leistungen. Bild: Metz

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Die Sanierung des Dachreiters war 2016 letzter Akt der jahrelangen Arbeiten am h...
Die Sanierung des Dachreiters war 2016 letzter Akt der jahrelangen Arbeiten am historischen Tübinger Rathaus. Im Zuge der Fassaden-Sanierung hatte eine Untersuchung den äußerst kritischen Zustand des Türmchens offenbart. Da der Dachreiter normalerweise nicht vom Innern des Rathauses zugänglich ist, war diese Untersuchung nur über das Gerüst möglich. Bild: Stadt Tübingen

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Die Wetterfahne bildet den Abschluss der Konstruktion auf dem Rathausdach. Bild:...
Die Wetterfahne bildet den Abschluss der Konstruktion auf dem Rathausdach. Bild: Metz

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Nicht nur frisch gestrichen: Auf vier Pfosten ruht das mit Holz verkleidete Türm...
Nicht nur frisch gestrichen: Auf vier Pfosten ruht das mit Holz verkleidete Türmchen auf dem Rathaus. Der Dachreiter hat eine Grundfläche von zwei mal zwei Metern und ist gekrönt von einem spitzen, achteckigen Helm aus Kupferblech. Bild: Metz

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2016 dominierte das Gerüst für die Dachreiter-Sanierung das Rathausdach. Ein sch...
2016 dominierte das Gerüst für die Dachreiter-Sanierung das Rathausdach. Ein schwerer Lastenaufzug war nötig, um die verrotteten Holzteile abzutransportieren und rund acht Kubikmeter Eichenholz für die Sanierung nach oben zu schaffen. Gearbeitet wurde zeitweise auf dem Dachboden des Rathauses, wofür ein Teil des Daches geöffnet wurde. Bild: Metz

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Ein Blick ins Innere des restaurierten Dachreiters : Seine ältesten Teile stamme...
Ein Blick ins Innere des restaurierten Dachreiters : Seine ältesten Teile stammen vermutlich aus dem Jahr 1511, die Hälfte seiner historischen
Holzkonstruktion wurde ersetzt. Bild: Metz

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Hinter den Holzläden des Dachreiter-Türmchens in 35 Metern Höhe über der Haaggas...
Hinter den Holzläden des Dachreiter-Türmchens in 35 Metern Höhe über der Haaggasse befinden sich fünf Glocken. Die Konstruktion ragt acht Meter über das Rathaus-Dach hinaus. Bild: Metz

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Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus vor der Sanierung im Jahr 2012, die insg...
Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus vor der Sanierung im Jahr 2012, die insgesamt etwa 200.000 Euro kostete. Bild: Stadt Tübingen / Werner Radtke

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Die Kugel aus Kupferblech oben auf dem Dachreiter nennt man auch Rathausknopf. S...
Die Kugel aus Kupferblech oben auf dem Dachreiter nennt man auch Rathausknopf. Sie hat einen Durchmesser von 40 Zentimetern. In ihr befindet sich ein zylinderförmiger Behälter mit zeitgeschichtlichen Dokumenten. Diese sogenannte Zeitkapsel wurde zuletzt 1877 von Oberbürgermeister Julius Gös befüllt. Bild: Stadt Tübingen / Christoph Schultze

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Weil in die Zeitkapsel in der langen Zeit seit  1877 Wasser eingedrungen ist, wa...
Weil in die Zeitkapsel in der langen Zeit seit 1877 Wasser eingedrungen ist, war deren Inhalt ziemlich ramponiert: Geborgen wurde eine Liste der Gemeinderäte, die Schilderung einer Serie von Bränden in Tübingen 1876 und 1877, Fotos vom Rathaus vor und nach der Sanierung sowie von der Neckarfront um 1877, der Haushaltsplan 1876/77 der Stadt Tübingen sowie eine Botschaft des Kupferschmieds Ferdinand Friedrich Haug, der die Kugel angefertigt hat. Bild: Stadt Tübingen / Matthias Raum

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Auch Fragmente eines Tübinger Stadtplans von 1876 kam in der Zeitkapsel vom Rath...
Auch Fragmente eines Tübinger Stadtplans von 1876 kam in der Zeitkapsel vom Rathausdach
zum Vorschein. Bild: Stadt Tübingen / Matthias Raum
20 Münzen aus verschiedenen deutschen und anderen europäischen Ländern, die vor ...
20 Münzen aus verschiedenen deutschen und anderen europäischen Ländern, die vor der Einführung der Mark 1876 gültig waren, steckten ebenfalls in der Zeitkapsel. Bild: Stadt Tübingen / Christoph Jäckle

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Und noch ein weiteres Fundstück holten die Restauratoren aus der Zeitkapsel: Ein...
Und noch ein weiteres Fundstück holten die Restauratoren aus der Zeitkapsel: Eine Rede Ludwig Uhlands, abgedruckt in einer Zeitung aus dem 19. Jahrhundert. Vermutlich handelt es sich um eine Ausgabe des "Beobachters" zur Enthüllung des Uhlanddenkmals am 14. Juli 1873. Bild: Stadt Tübingen / Matthias Raum

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Für die von der Waiblinger Firma Müller und Schweitzer gefertigte neue Zeitkapse...
Für die von der Waiblinger Firma Müller und Schweitzer gefertigte neue Zeitkapsel suchte 139 Jahre später OB Boris Palmer neben seiner Autogrammkarte folgende Gegenstände aus: Eine DVD zur Stadtgeschichte (2012), einen USB-Stick mit dem Verwaltungsbericht 2007 bis 2014, einen Bericht zur Rathaus-Sanierung 2012 bis 2016, Fotos des Rathauses vor und nach der Sanierung, eine Liste der Handwerker, die am Umbau beteiligt waren, ein Faltblatt "Stadtverwaltung auf einen Blick, eine Liste der amtierenden Stadträte, einen Stadtplan von 2014, ein Foto vom Ausflug zum Eisbärbaby Wilbär, eine Schirmmütze und Faltblätter zur Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“, ein Satz Euro-Münzen, darunter welche aus Aix-en-Provence und Perugia sowie ein Lokalteil des Schwäbischen Tagblatts vom 29. Oktober 2016.. Bild: Stadt Tübingen

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Schon etwas angegammelt sah der Dachreiter vor der Sanierung aus. Auch wenn vom ...
Schon etwas angegammelt sah der Dachreiter vor der Sanierung aus. Auch wenn vom Marktplatz her die prächtige astronomische Uhr von Johannes Stöffler aus dem Jahr 1511 im Vordergrund steht. Bild: Stadt Tübingen

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Die strahlende Dezembersonne bringt ihr Werk zum Glänzen: Bevor am Donnerstag das letzte Gerüst am Rathaus abgebaut wird, trägt Restauratorin Ariane Brückel Blattgold mit 23¾ Karat auf den „Rathausknopf“ unter der Wetterfahne auf. Brückels Arbeitsplatz ist der höchste Punkt des nun vollständig restaurierten Tübinger Rathauses – 35 Meter über dem Marktplatz.

Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus

Höher hinaus geht es nicht: Viele Handwerker waren 2016 an der Sanierung des Dac...
Die Sanierung des Dachreiters war 2016 letzter Akt der jahrelangen Arbeiten am h...
Die Wetterfahne bildet den Abschluss der Konstruktion auf dem Rathausdach. Bild:...
Nicht nur frisch gestrichen: Auf vier Pfosten ruht das mit Holz verkleidete Türm...
2016 dominierte das Gerüst für die Dachreiter-Sanierung das Rathausdach. Ein sch...
Ein Blick ins Innere des restaurierten Dachreiters : Seine ältesten Teile stamme...
Hinter den Holzläden des Dachreiter-Türmchens in 35 Metern Höhe über der Haaggas...
Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus vor der Sanierung im Jahr 2012, die insg...
Die Kugel aus Kupferblech oben auf dem Dachreiter nennt man auch Rathausknopf. S...
Weil in die Zeitkapsel in der langen Zeit seit  1877 Wasser eingedrungen ist, wa...
Auch Fragmente eines Tübinger Stadtplans von 1876 kam in der Zeitkapsel vom Rath...
20 Münzen aus verschiedenen deutschen und anderen europäischen Ländern, die vor ...
Und noch ein weiteres Fundstück holten die Restauratoren aus der Zeitkapsel: Ein...
Für die von der Waiblinger Firma Müller und Schweitzer gefertigte neue Zeitkapse...
Schon etwas angegammelt sah der Dachreiter vor der Sanierung aus. Auch wenn vom ...
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Höher hinaus geht es nicht: Viele Handwerker waren 2016 an der Sanierung des Dac...
Höher hinaus geht es nicht: Viele Handwerker waren 2016 an der Sanierung des Dachreiters auf dem Tübinger Rathausdach beteiligt: Ein Architekturbüro koordinierte gemeinsam mit dem städtischen Hochbauamt während der 16-wöchigen Bauzeit 16 handwerkliche und bautechnische Leistungen. Bild: Metz

© ST

Die Sanierung des Dachreiters war 2016 letzter Akt der jahrelangen Arbeiten am h...
Die Sanierung des Dachreiters war 2016 letzter Akt der jahrelangen Arbeiten am historischen Tübinger Rathaus. Im Zuge der Fassaden-Sanierung hatte eine Untersuchung den äußerst kritischen Zustand des Türmchens offenbart. Da der Dachreiter normalerweise nicht vom Innern des Rathauses zugänglich ist, war diese Untersuchung nur über das Gerüst möglich. Bild: Stadt Tübingen

© ST

Die Wetterfahne bildet den Abschluss der Konstruktion auf dem Rathausdach. Bild:...
Die Wetterfahne bildet den Abschluss der Konstruktion auf dem Rathausdach. Bild: Metz

© ST

Nicht nur frisch gestrichen: Auf vier Pfosten ruht das mit Holz verkleidete Türm...
Nicht nur frisch gestrichen: Auf vier Pfosten ruht das mit Holz verkleidete Türmchen auf dem Rathaus. Der Dachreiter hat eine Grundfläche von zwei mal zwei Metern und ist gekrönt von einem spitzen, achteckigen Helm aus Kupferblech. Bild: Metz

© ST

2016 dominierte das Gerüst für die Dachreiter-Sanierung das Rathausdach. Ein sch...
2016 dominierte das Gerüst für die Dachreiter-Sanierung das Rathausdach. Ein schwerer Lastenaufzug war nötig, um die verrotteten Holzteile abzutransportieren und rund acht Kubikmeter Eichenholz für die Sanierung nach oben zu schaffen. Gearbeitet wurde zeitweise auf dem Dachboden des Rathauses, wofür ein Teil des Daches geöffnet wurde. Bild: Metz

© ST

Ein Blick ins Innere des restaurierten Dachreiters : Seine ältesten Teile stamme...
Ein Blick ins Innere des restaurierten Dachreiters : Seine ältesten Teile stammen vermutlich aus dem Jahr 1511, die Hälfte seiner historischen
Holzkonstruktion wurde ersetzt. Bild: Metz

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Hinter den Holzläden des Dachreiter-Türmchens in 35 Metern Höhe über der Haaggas...
Hinter den Holzläden des Dachreiter-Türmchens in 35 Metern Höhe über der Haaggasse befinden sich fünf Glocken. Die Konstruktion ragt acht Meter über das Rathaus-Dach hinaus. Bild: Metz

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Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus vor der Sanierung im Jahr 2012, die insg...
Der Dachreiter auf dem Tübinger Rathaus vor der Sanierung im Jahr 2012, die insgesamt etwa 200.000 Euro kostete. Bild: Stadt Tübingen / Werner Radtke

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Die Kugel aus Kupferblech oben auf dem Dachreiter nennt man auch Rathausknopf. S...
Die Kugel aus Kupferblech oben auf dem Dachreiter nennt man auch Rathausknopf. Sie hat einen Durchmesser von 40 Zentimetern. In ihr befindet sich ein zylinderförmiger Behälter mit zeitgeschichtlichen Dokumenten. Diese sogenannte Zeitkapsel wurde zuletzt 1877 von Oberbürgermeister Julius Gös befüllt. Bild: Stadt Tübingen / Christoph Schultze

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Weil in die Zeitkapsel in der langen Zeit seit  1877 Wasser eingedrungen ist, wa...
Weil in die Zeitkapsel in der langen Zeit seit 1877 Wasser eingedrungen ist, war deren Inhalt ziemlich ramponiert: Geborgen wurde eine Liste der Gemeinderäte, die Schilderung einer Serie von Bränden in Tübingen 1876 und 1877, Fotos vom Rathaus vor und nach der Sanierung sowie von der Neckarfront um 1877, der Haushaltsplan 1876/77 der Stadt Tübingen sowie eine Botschaft des Kupferschmieds Ferdinand Friedrich Haug, der die Kugel angefertigt hat. Bild: Stadt Tübingen / Matthias Raum

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Auch Fragmente eines Tübinger Stadtplans von 1876 kam in der Zeitkapsel vom Rath...
Auch Fragmente eines Tübinger Stadtplans von 1876 kam in der Zeitkapsel vom Rathausdach
zum Vorschein. Bild: Stadt Tübingen / Matthias Raum
20 Münzen aus verschiedenen deutschen und anderen europäischen Ländern, die vor ...
20 Münzen aus verschiedenen deutschen und anderen europäischen Ländern, die vor der Einführung der Mark 1876 gültig waren, steckten ebenfalls in der Zeitkapsel. Bild: Stadt Tübingen / Christoph Jäckle

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Und noch ein weiteres Fundstück holten die Restauratoren aus der Zeitkapsel: Ein...
Und noch ein weiteres Fundstück holten die Restauratoren aus der Zeitkapsel: Eine Rede Ludwig Uhlands, abgedruckt in einer Zeitung aus dem 19. Jahrhundert. Vermutlich handelt es sich um eine Ausgabe des "Beobachters" zur Enthüllung des Uhlanddenkmals am 14. Juli 1873. Bild: Stadt Tübingen / Matthias Raum

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Für die von der Waiblinger Firma Müller und Schweitzer gefertigte neue Zeitkapse...
Für die von der Waiblinger Firma Müller und Schweitzer gefertigte neue Zeitkapsel suchte 139 Jahre später OB Boris Palmer neben seiner Autogrammkarte folgende Gegenstände aus: Eine DVD zur Stadtgeschichte (2012), einen USB-Stick mit dem Verwaltungsbericht 2007 bis 2014, einen Bericht zur Rathaus-Sanierung 2012 bis 2016, Fotos des Rathauses vor und nach der Sanierung, eine Liste der Handwerker, die am Umbau beteiligt waren, ein Faltblatt "Stadtverwaltung auf einen Blick, eine Liste der amtierenden Stadträte, einen Stadtplan von 2014, ein Foto vom Ausflug zum Eisbärbaby Wilbär, eine Schirmmütze und Faltblätter zur Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“, ein Satz Euro-Münzen, darunter welche aus Aix-en-Provence und Perugia sowie ein Lokalteil des Schwäbischen Tagblatts vom 29. Oktober 2016.. Bild: Stadt Tübingen

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Schon etwas angegammelt sah der Dachreiter vor der Sanierung aus. Auch wenn vom ...
Schon etwas angegammelt sah der Dachreiter vor der Sanierung aus. Auch wenn vom Marktplatz her die prächtige astronomische Uhr von Johannes Stöffler aus dem Jahr 1511 im Vordergrund steht. Bild: Stadt Tübingen

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Die ältesten Teile des Dachreiters stammen vermutlich aus dem Jahr 1511, die Hälfte der historischen Holzkonstruktion wurde jüngst ersetzt. Auch wenn seine Wiederherstellung die 11-Millionen-Generalüberholung des Rathauses um 200 000 Euro teurer werden ließ und den Zeitrahmen um ein halbes Jahr dehnte: „Es war höchste Zeit“, so Oberbürgermeister Boris Palmer. „Gut, dass wir nochmal genau hingeschaut haben.“ Denn einige der uralten Holzbalken waren so lädiert, dass der Aufbau wohl nicht mehr allzu lang durchgehalten hätte. Zuständig für die Zimmerei- und hölzernen Restaurationsarbeiten war die Tübinger Firma Holzwerk. „Das war der schwierigste Teil“, sagt Tobias Kienzle vom städtischen Hochbauamt. „Die haben einen tollen Job gemacht.“

Rathausknopf wird jene Kugel aus Kupferblech oben auf dem Dachreiter genannt. In ihr befindet sich ein zylinderförmiger Behälter mit zeitgeschichtlichen Dokumenten. Das Blechschild im Innern der Kapsel (Bild unten) trägt die Aufschrift: „Mornhinweg – Flaschner – 1877“. Diese „Zeitkapsel“ wurde zuletzt 1877, ein Jahr nach der damaligen großen Rathaussanierung, von Oberbürgermeister Julius Gös befüllt. Weil im Lauf der Jahre Wasser in die Zeitkapsel eingedrungen war, mussten Stadtarchivar Udo Rauch und sein Team den reichlich ramponierten Inhalt restaurieren – darunter eine Liste der damaligen Gemeinderäte, die Schilderung einer Serie von Bränden in Tübingen 1876/77, Rathausfotos vor und nach der Sanierung, die Sonderausgabe einer Zeitung zur Enthüllung des Uhland-Denkmals 1873 sowie Münzen aus verschiedenen deutschen Ländern, die vor der Einführung der Mark 1876 gültig waren.

Münzen, mit denen 1877 die Zeitkapsel auf dem Rathausdachreiter gefüllt wurde und die 2016 geborgen wurden.Foto: Christoph Jäckle / Stadtarchiv Tübingen

Münzen, mit denen 1877 die Zeitkapsel auf dem Rathausdachreiter gefüllt wurde und die 2016 geborgen wurden. Foto: Christoph Jäckle / Stadtarchiv Tübingen

Besonders die Münzen haben das Interesse von Archivar Rauch geweckt: „Warum nur hat man 1877 – im Jahr nach der Einführung der Mark und sechs Jahre nach Gründung des Deutschen Reiches – 20 alte, damals wertlos gewordene Münzen auf dem Rathausdach ‚entsorgt‘? Hätte man nicht das neue Geld als Botschaft einer neuen Zeit dort oben einlagern müssen?“

Rauch vermutet, dass Kupferschmied Ferdinand Friedrich Haug, der die Münzen in die Kapsel eingelegt hat, nicht sehr begeistert vom neuen Deutschen Reich war – so wie viele Tübinger. „Der Riss ging durch die Stadtgesellschaft“, so Rauch. Nicht alle wollten den neuen Staat unter preußischer Führung mit einem hohenzollerischen Erbkaiser begründen. Schon Ludwig Uhland hatte 1849 in der Frankfurter Paulskirche seine Rede gegen das Erbkaisertum gehalten. Diese Rede druckte die Zeitung 1873 anlässlich der Enthüllung des Uhland-Denkmals nach. Und genau diese Rede legte der Kupferschmied den Münzen bei. Rauch: „Eine Art stiller Protest, eine Botschaft an die Zukunft?“

Kupfertafel des Flaschners. Bild: Metz

Kupfertafel des Flaschners. Bild: Metz

Der damalige Oberbürgermeister Gös jedenfalls ließ diesen „stillen Protest“ geschehen. Denn noch Jahre nach der Reichsgründung war man sich in der Bürgerschaft nicht einig über die Frage, wie das neue Deutsche Reich aussehen sollte – ob zum Beispiel Österreich hätte dazu gehören sollen. Um Streit zu vermeiden, so Rauch, enthielt sich die Stadtverwaltung aller politischen Äußerungen. „Dies ist auch der Grund dafür, warum man in der Rathausfassade, die fünf Jahre nach der Reichsgründung entworfen wurde, keinen einzigen Reichsadler findet.“ Denn das hätte wohl einen Teil der Bürgerschaft provoziert. Stattdessen habe man lieber auf die alte württembergische Geschichte Bezug genommen: „Dahinter konnten sich alle versammeln.“

Nun ist die Zeitkapsel unter der Wetterfahne wieder wasserdicht, der Rathausknopf erstrahlt in altem Kupfer- und neuem Gold-Glanz. 139 Jahre nach der ersten Befüllung wurde die Kapsel von Gös-Nachfolger Palmer neu bestückt. Zu den Dingen, die der Nachwelt überliefert werden, gehören eine DVD mit einem Film zur Stadtgeschichte, ein USB-Stick mit dem Verwaltungsbericht 2007 bis 2014, Materialien zur Klimaschutzkampagne „Tübingen macht blau“ samt Foto vom Ausflug zum Eisbärbaby Wilbär 2008, Schirmmütze und Faltblättern, ein Satz Euro-Münzen, darunter welche aus den Partnerstädten Aix-en-Provence und Perugia, eine Autogrammkarte von OB Boris Palmer – und die TAGBLATT-Ausgabe vom 29. Oktober 2016 – mit einem Bericht über die Besetzung der „Wielandshöhe“ in der Stauffenbergstraße.

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Erstellt:
13.12.2016, 01:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 07sec
zuletzt aktualisiert: 13.12.2016, 01:30 Uhr

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Stefan Fink 13.12.201613:15 Uhr

Ob die Nachwelt von dieser Überlieferung soviel haben wird? Mal davon abgesehen das Rathausknopf mit seinen wahrscheinlich hohen Klimaschwankungen für eine Zeitkapsel eher ungeeignet ist. Bei der DVD platzen nach wenigen Jahrzehnten die informationstragenden Schichten ab. Da spielt es auch keine Rolle mehr, ob in 100 Jahren noch DVD-Player und Abspielprogramme zum Auslesen des Films aufzutreiben sind. Mit dem USB-Stick ist es ein ähnliches Kreuz wie mit Disketten: Ob künftige Rechner noch einen USB-Port haben werden, wo selbst heutige kein Diskettenlaufwerk mehr besitzen? Und hoffentlich hat man beim Papier nicht 0815 Recyclingpapier genommen sondern alterungsbeständige Sorten gemäß DIN ISO 9706, sonst werden unsere Nachfragen ihr blaues Wunder mit Zeitung und Flyer erleben.

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