Reisen

Das Handicap ist kein Hindernis

Die Nordstetterin Sibylle Bossert ist gehbehindert, Sven Fiedler aus Rottweil taubblind. Doch beide halten ihre Handicaps nicht davon ab, die Welt zu erkunden. Bossert bietet sogar Reisen an.

13.04.2017

Von Gabriele Weber und Fabian Schäfer

Sibylle Bossert im Krater Solfatara bei Pozzuoli, einem Vorort von Neapel. Seit 2014 bietet sie mit ihrem Mann Günter Reisen auch für Menschen mit Handicap an.Privatbild

Sibylle Bossert im Krater Solfatara bei Pozzuoli, einem Vorort von Neapel. Seit 2014 bietet sie mit ihrem Mann Günter Reisen auch für Menschen mit Handicap an.Privatbild

Reisemobiltouren sind auch für Menschen mit „kleinem Handicap“ kein Hindernis, sagen die Veranstalter von „Siwa Tours“ und die Nordstetter Reiseleiter Günter und Sibylle Bossert, selbst eine Frau mit Handicap. In Horb startet demnächst im dritten Jahr ihre Jakobswegtour. Die Bosserts bieten sie für das auf Wohnmobil- und Caravan-Reisen spezialisierte Reisebüro an.

Sibylle Bossert erzählt von ihrer angeborenen Muskelerkrankung, bei der die Gehfähigkeit immer weiter eingeschränkt werde. Ihre Hilfsmittel sind Gehstock, aber auch Rollator, Fahrrad, Scooter (Hilfsmotor) und Rollstuhl. „Mir war klar, dass ich den Jakobsweg nie laufen kann“, erzählt die 58-Jährige. Aber das Geheimnis, die unterschiedlich motivierte Spiritualität, habe sie schon immer interessiert. Auch mit Blick auf die Strapazen, das Leben abseits des Konsums, dem verheißenen Entschleunigen und Auftanken.

Heute führt Sibylle Bossert die Jakobswegtouren – und auch andere Trips wie in die südliche Toskana, Apulien und Basilikata – auf den Rad-Etappen sogar an, derweil Gatte Günter (65) die Pilger im Begleitfahrzeug flankiert. Die bis zu 30 Tour-Teilnehmer aus ganz Deutschland seien dann durchaus auch von den Menschen fasziniert, die sich aus den verschiedensten Gründen auf den Weg machen.

Sibylle Bossert auf dem Rad mit Jakobusmuschel und Behindertenausweiszeichen erfährt emotional-spontane Respektbekundungen – und sei es nur durch einen Daumen nach oben. Die Eindrücke und Erlebnisse sind dann bester Gesprächsstoff beim allabendlichen Zusammensitzen. Von den eigenen Tour-Teilnehmern hört Bossert – sie selbst ist ein erbaulich-schönes Beispiel dafür –, dass ein Handicap nicht automatisch ein Handicap für Lebensfreude und Aktivsein bedeutet.

Eindrücke für die Seele

Die Bosserts erweisen sich als beste Werbeträger für das Reisen: Der ganze Trip mit Ruhe-, Wander- und Besichtigungstagen zeigt sich mittels der kundigen Nordstetter als ein inniges „landschaftlich-kulturell-zwischenmenschlich-kulinarisches“ Angebot, als ein temporäres Aussteigen und Eintauchen mit der Gewissheit. „Von jeder Reise kommt man anders zurück, als man aufgebrochen ist“, erzählt Sybille Bossert. Man werde reifer, erfahrener, toleranter und weiser. Jede Reise bringe einen weiter: „Es können Erlebnisse sein, die in der Seele Eindrücke hinterlassen.“ Regelmäßig spüren sie, „dass wir etwas angeregt haben“. Man gehe als gewachsene Gemeinschaft auseinander. Und es tue „selber gut“, sagt die 58-Jährige.

Ein Blinder auf dem Jakobsweg

Die große Reise noch vor sich hat Sven Fiedler aus Rottweil. Der 49-Jährige ist seit 2010 blind und verliert nun auch zusehends seinen Gehörsinn. Dennoch will er sich nun seinen langjährigen Traum vom Jakobsweg erfüllen. Am 19. April startet Fiedler von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich aus gen Santiago de Compostela. 40 Tage lang wird er unterwegs sein und dabei über 800 Kilometer zurücklegen. Darauf hat sich der 49-Jährige in den vergangenen Monaten akribisch vorbereitet: Zwei Wochen lang ist er um den Bodensee gewandert, sieben Tage lang im Schwarzwald und noch eine Woche durch Frankreich. „Zuletzt war ich viel spazieren und habe im Fitnessstudio trainiert“, erzählt Fiedler, der sich nun bereit fühlt für das „Abenteuer Jakobsweg“.

Natürlich ist der Rottweiler auf seiner Reise nicht komplett auf sich alleine gestellt: Er wird stets von drei Assistenten begleitet, die sich im Laufe der Wanderung abwechseln. Diese sollen nicht nur auf die Sicherheit von Fiedler achten, sondern ihm auch die Umgebung beschreiben. „Dann kann ich mir in meinem Kopf ein Bild machen und wandere nicht völlig blind“, erklärt der am Usher-Syndrom erkrankte Zeichner.

Er begebe sich nicht aus religiösen Gründen auf die Reise, sondern viel mehr um eine Herausforderung zu haben und „auf die etwa 8000 Taubblinden in Deutschland aufmerksam zu machen“. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass es diese Erkrankung gibt. Der Rottweiler sieht seine Reise auch als „stille Demonstration, dass Taubblinde auch Träume haben“. Unterstützt wird Fiedler unter anderem von der Nordstetter Firma Help Tech, die neben einem Fahrzeug für die Reise auch das Benzingeld beisteuerte. „Wir wünschen Ihnen ganz fantastische Erlebnisse und Begegnungen“, sagte Help Tech-Geschäftsführer Siegfried Kipke bei der Übergabe des Autos in dieser Woche.

Freut sich auf sein großes Abenteuer: Sven Fiedler (Mitte) mit seiner Assistentin Almuth Kolb und Help Tech-Chef Siegfried Kipke.Bild: Schäfer

Freut sich auf sein großes Abenteuer: Sven Fiedler (Mitte) mit seiner Assistentin Almuth Kolb und Help Tech-Chef Siegfried Kipke.Bild: Schäfer

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Erstellt:
13.04.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 13.04.2017, 01:00 Uhr

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