Ausstellung

Das Kapital auf Lochkarte

Leander Schwazer hat aus dem Kapital von Karl Marx ein besonderes Klangerlebnis gemacht

04.04.2017

Von Nina Kwiatkowski

Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart kurbeln an kleinen Lochkarten – und zwar in der Ausstellungsabteilung „Steuerparadies“ der aktuellen Schau „Kapitalismusströmungen.Bild: Faden

Studierende der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart kurbeln an kleinen Lochkarten – und zwar in der Ausstellungsabteilung „Steuerparadies“ der aktuellen Schau „Kapitalismusströmungen.Bild: Faden

Die Lochkarte ist die Mutter aller Datenträger, sozusagen die Uroma des USB-Sticks. Buchstaben wurden in Form eines Binärcodes in stabile Kartonstreifen gestanzt, die Karte wurde in die Maschine geschoben und so mit Infos gefüttert. Die Eingabefunktion der ersten Computer hat so funktioniert.

Die Lochkarte ist also so was wie der Grundbaustein der Mensch-Maschine-Kommunikation. Und was aus dieser ersten Kommunikation wurde, bekommen wir heute jeden Tag zu sehen – im Bus, im Büro, im Auto, zuhause. An manchen Tagen fragt man sich in der Tat, ob mehr Mensch-Maschine-Kommunikation stattgefunden hat als Mensch-Mensch-Gespräch. Alltag im Kapitalismus.

Der Esslinger Performancekünstler Leander Schwazer hat vor diesem Hintergrund eine wunderschön klingende und sehr kluge Klangperformance gemacht: Er hat Textpassagen aus Marxens „Das Kapital“ auf Lochkarte gestanzt. Diese werden durch Spieluhren gekurbelt, die aus dem Gestanzten Klänge erzeugen. Das Geschriebene wird in Töne transkribiert. Mithilfe der Lochkarten hat Schwazer Kapitalismuskritik vertont.

Angela Luz, Professorin für neue Musik an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, komponierte dazu einen menschlichen Klangteppich drumrum. „Angela Luz sieht in der Anordnung der Stanzungen auf der Lochkarte eine Partitur“, erklärt Schwazer. Für ihn die perfekte Ergänzung zu seiner maschinellen Text-Klang-Übersetzung.

So erheben sich an diesem Sonntag die Stimmen von Mensch und Maschine gemeinsam zu einer beeindruckenden Klangskulptur. Es klingt, singt, quietscht, knarrt und krächzt durch die Kunsthalle. Selten hat Kapitalismuskritik schöner geklungen.nik