Horb · Bildung

„Das Kind soll entscheiden“

Dietmar Urban und Dennis Pallentin wollen mit der Sozialpädagogin Johanna Haiss im kommenden Jahr eine Freie Alternativschule in Horb eröffnen. In der SÜDWEST PRESSE sprechen beide Gründer über eine Schule ohne Noten und Hausaufgaben.

03.08.2019

Von Mathias Huckert

Dennis Pallentin (links) und Dietmar Urban wollen eine neue Schulform in Horb etablieren. Bild: Karl-Heinz Kuball

Dennis Pallentin (links) und Dietmar Urban wollen eine neue Schulform in Horb etablieren. Bild: Karl-Heinz Kuball

SÜDWEST PRESSE: Warum braucht Horb eine alternative Schulform?

Dietmar Urban: Nicht nur Horb braucht eine solche Schulform, sondern die Gesellschaft im Ganzen. Horb ganz speziell, weil es hier kein alternatives Angebot wie etwa eine Waldorfschule gibt. Der Bedarf besteht aber. Das zeigt uns das große Interesse am Thema.

Dennis Pallentin: Viele spüren, dass wir eine Veränderung brauchen. Weil diese auf politischer Ebene nicht so schnell umgesetzt wird, muss der Impuls aus der Bevölkerung kommen. Diese Veränderung ist auch für die Zukunft notwendig: Die Schule in ihrer staatlichen Form reagiert zu langsam auf gesellschaftliche Entwicklungen der jüngsten Zeit. Ich habe mich lange mit Hirnforschung auseinandergesetzt und finde, dass Schule heutzutage nicht artgerecht ist. Haarklein entscheiden zu wollen, was wer wann zu lernen hat, ist nicht mehr zeitgemäß.

Sie möchten mit einer alternativen Schulform dazu beitragen, ein System zu drehen, das bundesweit viel Kritik einstecken muss. Wie sieht das konkret aus?

Urban: Es ist kein Mammutprojekt. Man kann klein anfangen. Über 100 Freie Alternativschulen in Deutschland bereichern bereits die traditionelle Schullandschaft. Die in Horb wird ein weiterer Baustein sein.

Pallentin: Der zentrale Begriff unseres Konzepts ist die Würde. Dieser Begriff wird oft in den Mund genommen. Im staatlichen Schulsystem ist es unheimlich schwierig, eine Beziehung zu den Schülern aufzubauen. Genau das ist aber essenziell für den Lernprozess.

Weshalb ist das so schwierig?

Pallentin: Weil ich als Lehrer die Schüler dauerhaft bewerten und benoten muss. Sie fühlen sich dadurch permanent unter Beobachtung. Genau das ist für mich nicht würdevoll. Die Schüler machen nur etwas für die Note, nicht, um etwas zu lernen. Man sieht das ja am Ende des Schuljahres: Sind die Noten gemacht, bricht alles zusammen, und der Unterricht ist kaum noch möglich.

Wie bringt man denn die Würde ins Klassenzimmer?

Urban: Wir wollen in der Freien Alternativen Schule einen würdevollen Umgang in verschiedenen Bereichen etablieren: in der Gesellschaft, mit der Technologie, mit der Natur und mit der Wirtschaft. Das ist unser besonderes pädagogisches Interesse.

Pallentin: Das hängt mit dem Gedanken der Gemeinwohlökonomie zusammen: Den Kindern wird vermittelt, dass es allen gut gehen soll.

Das klingt als Konzept schlüssig. Wie zeigt es sich im Schulalltag?

Urban: Durch Eigenverantwortung: Das Kind entscheidet, was es wie lernt. Dazu gehört natürlich Vertrauen. Wichtig ist, dass kein Schema F durchgepaukt wird. Wenn ein Kind etwa entscheidet, die Gewichtseinheiten beim Kochen zu lernen, dann fällt ihm das viel leichter, weil es eigenmotiviert lernt. Bei uns wird es auch Feedback für die Schüler geben, aber keine Noten. Lehrer und Lernbegleiter sollen die Kinder anleiten, ihnen erklären, was richtig ist, und sie entsprechend korrigieren.

Wie sieht diese Betreuung durch Lehrer und Lernbegleiter genau aus?

Urban: Wir sind der Meinung, dass es nicht eine Heerschar an Lehrern braucht, sondern nur eine Lehrperson, welche die Kinder pädagogisch betreut. Die weitere Begleitung geschieht durch wenige Lehrer, Lernbegleiter und ehrenamtliche Helfer.

Wenn aber die Eigenmotivation eine große Rolle spielt, muss auf jeden Schüler individuell eingegangen werden. Ist das überhaupt möglich?

Pallentin: Ein Lernbegleiter sollte sich um acht, maximal zehn Schüler kümmern. Wie genau diese Verteilung am Ende aussieht, entscheidet sich in der Schule: Es ist ein dynamischer Prozess. Die Freie Alternative Schule wird ein Sozialraum, in dem viele Leute zusammenkommen und gemeinsam entscheiden, wie gelernt wird.

Urban: Lehrer, Lernbegleiter, Eltern und ehrenamtlich motivierte Personen sollen gemeinsam mit den Kindern die Lernbedürfnisse erfüllen, die aufkommen. Das geschieht altersübergreifend: Die Kinder sitzen nicht getrennt in Klassenstufen, sondern können gemeinsam – auch voneinander – lernen. Die Jüngeren orientieren sich an den Älteren. Und die wiederum können sich dann selbst reflektieren.

Woran können Sie festmachen, dass ehrenamtlich motivierte Personen dem pädagogischen Anspruch gerecht werden?

Urban: Das Lernen findet ja nicht nur im geschlossenen Raum statt, sondern auch draußen in der Natur, auf einem Biobauernhof oder etwa im Altersheim. Die Leute, die sich bereit erklären, das zu unterstützen, bringen eine wichtige Qualifikation mit: ihre Begeisterung.

Pallentin: Man kann grob sagen: Ein rüstiger Rentner, der für eine Sache brennt und genau das mit den Kindern teilt, ist der beste Lehrer.

Ein Schultag auf dem Biobauernhof – wie sehen im Anschluss die Hausaufgaben für die Schüler aus?

Urban: Es wird keine Hausaufgaben geben. Das Ziel ist nicht, die Kinder im Unterricht auf die Hausaufgaben am Nachmittag vorzubereiten. Sie sollen ihre Aufgaben und eigene Ideen mitbringen und sie gemeinsam angehen.

Pallentin: Es gibt genügend Studien, die beweisen, dass Hausaufgaben nichts bringen. Oft führen sie zu Unmut in den Familien.

Eine Schule ohne Hausaufgaben und Noten bricht mit den gängigen Konventionen. Trotzdem müssen die Schüler aber am Ende eine staatliche Prüfung ablegen?

Urban: Die Kinder dürfen neun Jahre lang lernen, wie sie wollen. Im letzten Jahr werden sie auf die Prüfung für den mittleren Bildungsabschluss vorbereitet. Das ist, wenn man so will, das letzte große, gemeinsame Abschlussproekt.

Sie peilen einen monatlichen Schulbeitrag von 150 Euro an. Damit sind Sie auf Unterstützung angewiesen. Läuft alles wie geplant?

Urban: Wir liegen damit etwa beim gängigen Betrag für einen Kita-Platz. Wir hoffen auf die Unterstützung der Stadtverwaltung bei der Standortfindung und Sponsoren aus der Wirtschaft. Im Oktober werden wir unser Konzept in den Gremien vorstellen.

Zu Personen und Projekt

Dietmar Urban (52) ist IT-Experte aus Rexingen und Mitglied des Steuerkreises des Horber Digital Hubs. Eine alternative Schulform nach Horb zu holen, ist für ihn auch ein persönliches Anliegen: Sein Sohn steht vor der Einschulung.

Dennis Pallentin (38) ist Berufsschullehrer in Horb. Vor zwei Jahren wurde er auf die Sozialpädagogin Johanna Haiss aus Sulz aufmerksam, als diese mit dem Film „Schools of Trust“ unterwegs war, um für eine alternative Schulform zu werben.

Die Freie Alternative Schule Horb (FASH) sucht momentan noch nach Unterstützern. Wer helfen möchte, kann sich unter info@fab-horb.de per Mail mit den Initiatoren der Schule in Verbindung setzen.

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Erstellt:
03.08.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 03.08.2019, 01:00 Uhr

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