Bitte nicht der kranken Oma den Film zeigen. Sie könnte ihn in den falschen Hals kriegen ...

Das Meer in mir

Bitte nicht der kranken Oma den Film zeigen. Sie könnte ihn in den falschen Hals kriegen ...

24.11.2015

Von che

Das Meer in mir

Die fast einhellige Begeisterung inklusive Oscar, die dem Film des Spaniers Alejandro Amenábar entgegenschlägt, überrascht. Da wird argumentiert, er greife ein „wichtiges Thema?, gar ein „Tabuthema? auf. Ganz so, als werde über aktive Sterbehilfe nicht schon seit Jahren die Medien rauf und runter debattiert, als sei sie in Holland nicht bereits legal. Selbst ein Peter Singer, der für die Tötung Behinderter eintritt, wird mit scheinheiliger Abscheu in manche Talkshow gebeten. 80 Prozent aller Deutschen, hat eine Umfrage ergeben, befürworten aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen. So viel zum Tabuthema.

Nun kann man über das Recht auf den eigenen Tod eine durchaus redliche philosophische und auch lebenspraktische Diskussion führen. Doch darum geht es Amenábar nicht. Er will nicht argumentieren, sondern überwältigen. Er will nicht abwägen, sondern ein Massenpublikum unter Aufbietung aller filmischer Finessen in einen melodramatischen Strudel ziehen. Zu diesem Zweck schildert er einen extremen, mit Authentizität geadelten Einzelfall. Der Spanier Ramón Sampedro (gespielt von Javier Bardem), der seit einem Badeunfall vom Hals an abwärts gelähmt ist, kämpft 27 Jahre lang vor Gerichten vergeblich für sein Recht auf Selbsttötung, ehe ihm von einer Vertrauten (die im übrigen nicht bestraft wurde) ein tödliches Gift gereicht wird.

Wie es sich für einen cleveren Propagandafilm gehört, lässt der Regisseur auch die Gegner der Euthanasie zu Wort kommen, allerdings in recht unsympathischer Gestalt einfältiger Familienangehöriger, eines selbstherrlichen Pfaffen und Paragraphen-reitender Richter. Auch in Ramón selbst tobt zuweilen der Überlebenswille, ohne den Todeswunsch letztlich zu überstrahlen. Die Autorität seines Leidens und das schier übermenschliche Charisma des Bettlägrigen dulden sowieso keinen ernstlichen Widerspruch. So dürfte es kaum einen Zuschauer geben, der nicht voller Sympathie für aktive Sterbehilfe aus dem Kino kommt ? zumindest so lange, bis sein Gehirn wieder durchlüftet ist, das dieser Film so gründlich vernebelt. Dann könnte einem der böse Gedanke kommen, dass der Nazifilm „Ich klage an? (1941), der die Vergasung geistig Behinderter propagandistisch begleitet hat, nach ganz ähnlichem Muster gestrickt ist.

Dabei traut sich Amenábar noch nicht einmal, die Situation seines Gewährsmanns in ihrer ganzen Härte zu zeigen. Was es wirklich bedeutet, Stunde um Stunde bewegungslos zu verharren, sich aus der Scheiße holen lassen zu müssen, spart der Film gnädig aus ? wohl in der richtigen Einschätzung, dass das Publikum es so genau eh nicht wissen will. Auch das nährt den Verdacht, dass es dem Regisseur weniger um den Menschen als ums Prinzip geht. Warum Sampedro sein autobiografisches Buch „Briefe aus der Hölle? betitelt hat, bleibt im Film seltsam vage. Stattdessen sehen wir symbolschwere Bilder, in denen er im Traum aus dem Fenster fliegt, zum Meer hin oder in die Arme einer schönen Frau. Jedem Hollywoodfilm würde man das als Grobkitsch um die Ohren hauen, hier hört man was von lyrisch und poetisch raunen.

Es soll hier nicht gefordert sein, dass Menschen wie Sampedro gegen ihren Willen bis zu Gottes Ratschluss siechen müssen. Sein ersehnter Tod, zu dem er auch gegen das Gesetz einen Weg gefunden hat, sei ihm von Herzen gegönnt. Etwas anderes ist ein Film, der seinen Freitod wie Christi Himmelfahrt melodramatisch verherrlicht. Und beiläufig den Druck auf Millionen Kranke und Alte erhöht, „den Löffel abzugeben?, wie jüngst eine FDP-Nachwuchskraft so schön kalauerte.