Gewaltopfer finden nur schwer eine eigene Wohnung

Das Reutlinger Frauenhaus ist dauerhaft belegt / Weitere Räume sollen Entlastung bringen

Seit 1978 gibt es das Reutlinger Frauenhaus, über 2400 Frauen und 2500 Kinder haben dort seither Schutz vor häuslicher Gewalt gefunden. D

24.11.2016

Von Michael Frammelsberger

Irene Köpf Sie arbeitet seit der Gründung im Frauenhaus.  Privatbild

Irene Köpf Sie arbeitet seit der Gründung im Frauenhaus. Privatbild

Die Arbeit wird für die sechs Mitarbeiterinnen des Trägervereins nicht weniger, auch 2016 war das Haus dauerhaft voll besetzt. „Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit dafür sensibilisiert wird, wie viele Formen von Gewalt gegen Frauen es gibt“, sagt Geschäftsführerin Irene Köpf beim Pressegespräch anlässlich des morgigen Internationalen Tags „Nein zu Gewalt an Frauen“.

Die Schutzsuchenden kommen aus allen Alters- und sozialen Gruppen. Sie bleiben unterschiedlich lange in der Unterkunft. „30 Prozent der Frauen kehren trotz häuslicher Gewalt wieder zu ihren Männern zurück, sie haben eigentlich gar keine Trennungsabsicht, sondern suchen nur kurzfristig Schutz“, weiß Köpf. Dafür gebe es viele Gründe, etwa weil die Frauen finanziell abhängig von ihren Partnern seien oder ihnen das soziale Netz für einen Neustart fehlt. Durchschnittlich unternehmen Frauen sieben Anläufe bis zur Trennung kommt, so Köpf. Dazu gehören die Flucht aus der Wohnung oder ein Wohnungsverweis der Polizei für den Partner. „Danach gibt es oft einige Versöhnungsversuche“, erklärt die Geschäftsführerin. Schnelle Trennungen seien relativ selten.

Wenn sich die Frauen dann zur Trennung entschlossen haben, bleiben sie teilweise bis zu zehn Monate im Frauenhaus. „Es ist für sie oft problematisch, eine eigene Wohnung zu finden“, sagt Irene Köpf. Dieses Problem verschärft sich durch die angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt, was sich direkt auf die Kapazität des Frauenhaus auswirkt: Dieses Jahr könne man wohl nur etwa 40 Frauen Schutz bieten, da viele von ihnen keine neue Wohnung finden und deshalb länger bleiben, so Köpf. Im letzten Jahr waren es noch 60 Frauen und 61 Kinder. Falls für Hilfesuchende kein Platz sein sollte, werden sie an andere Frauenhäuser verwiesen oder erhalten Unterstützung in der Beratungsstelle.

Neben Frauen sind oft auch Kinder Opfer der Auswirkungen häuslicher Gewalt. Für sie gibt es im Frauenhaus spezielle Angebote. „Das ist ein transgenerationales Problem“, sagt Köpf. Kinder, die in Beziehungen mit häuslicher Gewalt aufwachsen, üben diese später eher selbst aus oder werden selbst Opfer, so die Erfahrung der Sozialpädagogin. Eine Präventivmaßnahme ist die Kinderpsychodrama-Gruppe von Sabine Lommel. Hier verarbeiten drei bis fünf Kinder pro Gruppe in einem einjährigen Programm ihre Erfahrungen spielerisch. „Sie machen damit andere Beziehungserfahrungen“, erklärt Lommel. Die Kinder hätten sonst kaum Vorbilder, die ihnen ein gewaltfreies Zusammenleben zeigen.

Über all die Jahre hat sich das Frauenhaus in Reutlingen etabliert. Seit Mitte der 1990er Jahre habe auch kein Mann mehr versucht, mit Gewalt in das Gebäude einzudringen, erzählt Köpf. Zuvor sei das durchaus vorgekommen.

Baulich ist das Frauenhaus in keinem guten Zustand. „Es hat den Charme einer 80er-Jahre WG“, berichtet Köpf. Es gibt nur eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftsbad, teilweise leben die Frauen in Mehrbettzimmern. Ältere und behinderte Frauen haben Probleme mit den zahlreichen Treppen. Nun soll eine zusätzliche barrierearme Wohnung für Abhilfe schaffen: „Die neue Wohnung dient auch als Rückzugsraum für besonders belastete Frauen, die Platz für sich brauchen.“ Außerdem kann das Frauenhaus nun auch Mütter mit älteren Söhnen aufnehmen.

Wie wird das Frauenhaus eigentlich finanziert?

Seit 2006 wird die Unterbringung im Frauenhaus durch Leistungen des Arbeitslosengelds II finanziert. 46,51 Euro erhält der Verein, der das Haus betreibt, pro Tag und Person. Die Unterbringung von Berufstätigen, Studentinnen und Auszubildenden musste das Frauenhaus bis letztes Jahr durch Spenden finanzieren, da diese keinen Anspruch auf Leistungen durch das Sozialgesetzbuch hatten. Nun übernimmt das der Kreis. Die Fachberatungsstelle des Frauenhauses wird von den Städten Reutlingen, Bad Urach, Metzingen und Münsingen, dem Landkreis und dem Land bezuschusst. Den Kinderfachdienst finanzieren die Stadt Reutlingen und der Landkreis. Geflüchtete Frauen können derzeit nicht im Frauenhaus untergebracht werden, weil hier die Finanzierungsfrage nicht geklärt ist.