Das Schaufenster in der Jackentasche

Die Digitalisierung als Chance für die zukünftige Entwicklung nutzen, das möchte die Stadt Reutlingen mit der Beteiligung am Forschungsprojekt Smart Urban Services. Und legt dabei einen besonderen Augenmerk auf den lokalen Einzelhandel.

16.03.2018

Von TEXT und FOTO: Birgit Pflock-Rutten

Sie unterstützen den lokalen Einzelhandel auf dem Weg in die digitale Zukunft:Markus Flammer (links) mit einem der Beacons und Snorri P. Sigurdsson.

Sie unterstützen den lokalen Einzelhandel auf dem Weg in die digitale Zukunft:
Markus Flammer (links) mit einem der Beacons und Snorri P. Sigurdsson.

Beim Bummel durch die Reutlinger Innenstadt vibriert das Smartphone in der Jackentasche. Ein Blick auf das Display: Über die „smaRT city-App“ bietet ein paar Schritte entfernt ein Ladengeschäft ein besonderes Angebot an. Die App, die Stadtbummlern wie auch den Einzelhändlern und Gastronomen ganz neue Wege eröffnet, ist nur eine von vielen Funktionen eines Forschungsprojektes.

Wie können intelligent vernetzte Daten helfen, Stadtsysteme zukunftsfähig zu gestalten? Mit dieser Fragestellung ist vor knapp drei Jahren in den Städten Reutlingen und Chemnitz das Pilotprojekt “Smart Urban Services“ an den Start gegangen. Beide Städte haben unabhängig voneinander überlegt, in welchen Bereichen neue Technologien die Stadt zukunftsfähig machen können. „Für Reutlingen haben sich drei Handlungsfelder ergeben“, berichtet Markus Flammer, Leiter der Wirtschaftsförderung Reutlingen und zuständig für die Digitalisierungsmaßnahmen der Stadt, „die Harmonisierung des Stadtbildes, die Aspekte Umwelt und Verkehr sowie Einzelhandel und Tourismus.“

Shoppingcenter Innenstadt

Immer mehr Kunden bestellen über das Internet – selbst Dinge für den täglichen Bedarf. Manche Städte versuchen, diesem Trend entgegenzusteuern, indem sie Online-Marktplätze einrichten. Von deren Erfolg ist Markus Flammer wenig überzeugt: „Damit hat der Einzelhandel keine Chance gegen die großen Player wie Amazon“. Außerdem: „Es geht nicht nur um das Überleben der lokalen Einzelhändler, sondern darum, die Innenstädte belebt zu halten.“

Ein Leuchtturm des Forschungsprojekts in Reutlingen ist daher die smaRT city-App. „Die Idee dahinter ist, mit einem ganz persönlichen Medium, dem Smartphone, den Kunden direkt abzuholen. Und zwar in der Fußgängerzone“, betont Flammer.

Im Frühjahr 2017 gab es eine Infoveranstaltung für den Einzelhandel. „Ende Juni hatten sich 50 Händler angemeldet, wir haben dann die App freigeschaltet“, so Flammer. Inzwischen beteiligen sich 160 Händler. Rund 300 so genannte Beacons sind installiert, kleine Bluetooth-Sender mit geringer Sendeleistung, die bei bestimmten Waren positioniert werden und mit dem Smartphone des Kunden kommunizieren, sobald er sich in der Nähe befindet.

Snorri P. Sigurdsson ist mit seiner Firma Ditgital M für die Programmierung und Pflege der App zuständig und steht in direktem Kontakt mit den Einzelhändlern. „Dass sich die Welt verändert, ist bei vielen noch nicht angekommen,“ sagt er. Das Thema Digitalisierung schöben viele Händler noch vor sich her. Dabei eröffne die Technologie ungeahnte Möglichkeiten. „Die App lebt von Aktionen, Angeboten, Fotos oder Erklärvideos“, so Sigurdsson, „damit verlängert sie das Schaufenster bis in die Jackentasche.“

Einzelhandel müsse auch kein „Einzel“-Handel sein. Einige der Teilnehmer nutzen die Möglichkeiten für Verbundangebote: Mit dem Kassenbon des Händlers A gibt’s Rabatt bei Händler B. Auch die Markensuche in der App kommt kleineren Händlern entgegen: „In Reutlingen findet man viele Marken, wegen denen die Kunden sonst nach Stuttgart fahren“, ist Flammer überzeugt. „Alle Abfragen – auch die personalisierte Suchfunktion – sind anonym, die App ist vom Landesdatenschutzbeauftragten ohne Beanstandung abgesegnet“, bestätigt Flammer.

Das Forschungsprojekt läuft bis Ende 2018. Flammer sieht es als Aufgabe aller Beteiligten, ein nachhaltiges Geschäftsmodell zu entwickeln. „Ich bin überzeugt von der Technik und ihren Möglichkeiten.“ Derzeit werden noch situative Funktionen für die App entwickelt, und um den Händlern neue Impulse für ihr standortbasiertes Marketing zu geben, sind für das Frühjahr Workshops geplant.

Smart Urban Services

Die smaRT city-App ist Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Pilotprojektes „Smart Urban Services“. Projektpartner sind das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, das Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement der Universität Stuttgart, die Input Consulting GmbH sowie die Städte Reutlingen und Chemnitz. Technologiepartner für die Reutlinger Projekte sind die Unternehmen SWARCO und BOSCH sowie Digital M. Die smaRT city-App kann kostenlos über die Apple- und Android-Stores heruntergeladen werden.