Ministerpräsident Kretschmann über Mundart im Ländle

Das Schwäbische liegt ihm eben auf der Zunge

Auf Einladung des Vereins Schwäbischer Dialekt referiert Winfried Kretschmann launig und humorvoll über Mundart im Ländle.

22.10.2016

Von Maik Wilke

Das Schwäbische liegt ihm eben auf der Zunge

Politik sei oft geprägt durch kleine Schritte. Manchmal müsse man sich mit wenig zufrieden geben, weiß Winfried Kretschmann. Zu dieser Kenntnis sei der Grünen-Politiker aber nicht erst im Stuttgarter Landtag gelangt – diese sei längst in einer schwäbischen Weisheit festgehalten: „Lieber a Laus im Kraut als gar kei Fleisch.“

Nicht platt moralisch, sondern ironisch und lebhaft spiegelt der schwäbische Dialekt den Charakter seiner Sprecher, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident am Donnerstagabend. 450 Frauen und Männer, viele davon des Schwäbischen mächtig, lauschten dem launigen und kurzweiligen Vortrag Kretschmanns in der Kreissparkasse am Marktplatz. Eingeladen hatte neben dem Kreditinstitut der Förderverein Schwäbischer Dialekt mit Hauptsitz in Rottenburg (siehe Info-Kasten).

Weil ihm der Dialekt persönlich am Herzen – und selbstverständlich auf der Zunge – liege, holte sich der Ministerpräsident für seine erste öffentliche Rede über Mundart Hilfe, unter anderem von Sohn Johannes. Er selbst redete ausdrücklich als Liebhaber und Sprecher des Dialekts, nicht als Sprachwissenschaftler. Denn im Elternhaus Kretschmanns wurde gar kein schwäbisch gschwätzt, verriet er: Als Flüchtlinge aus Ostpreußen fiel der Familie, vor allem der Großmutter Kretschmanns, der Umzug nach Spaichingen im Kreis Tuttlingen schwer: „Meine Oma hat zeitlebens gehadert, dass sie in Deutschland lebt, und die Leute hier gar kein Deutsch reden.“ Statt selbst zu schwäbeln, habe sich Oma Kretschmann der Mundart verschlossen. „Sie war integrationsunwillig.“

Dabei sei gerade Dialekt bestens geeignet, Verbundenheit mit der Heimat und regionale Identität zu schaffen. Schwäbisch sei keineswegs eine Schwundstufe des Hochdeutschen, sondern ein schützens- und erhaltenswertes Kulturgut, betonte der Ministerpräsident. Dass das Schwäbische wie auch der bayrische Dialekt von der Unesco als zwei von etwa 2100 vom Aussterben bedrohten Sprachen eingestuft werde, sei Appell genug, sich der Mundart anzunehmen. Zumal: Zweisprachigkeit, also Dialekt und Hochdeutsch, trainiere das Gehirn, erklärte Kretschmann. „Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass so viele Patente im Ländle beantragt werden.“

Weil die Standardsprache oft blutleer sei, wirke es umso erfrischender, wie manch bayrischer Politiker kritisch wettere oder eine Olympiasiegerin (Barbara Engleder) ihre Freude auf Mundart mitteile. Die gute Laune an diesem Abend lies sich der 68-Jährige auch nicht von einem kurzen, aber hartnäckigen Reizhusten nehmen. Gleich hatte Kretschmann eine Erklärung fürs Kratzen im Hals parat: „War z’lang in Brüssel.“

Trotz vieler unterhaltsamer Sprüche betrachtete Kretschmann auch die Kehrseite der Mundart. Häufig würde das Schwäbische nur als billiges Mittel der Bespaßung in Comedy und Kabarett eingesetzt. Das sorge für eine reflexhafte, parodistische Wahrnehmung „der Spätzlesesser“, die Herablassung symbolisiere.

Zum Abschluss hörten die Besucher den Ministerpräsidenten sogar noch fluchen. Denn die Überlegenheit des Dialekts zeige sich auch in der Vielfalt der Schimpfwörter und Beleidigungen: „Elende Siach, Lombaseggl, Waidag – für letzteres gibts gar keine Übersetzung im Hochdeutschen.“ Aber alle, die häufig als Seggl beschimpft werden, Kopf hoch! „Denn elend gläbt isch alleweil no ned gstorbe“.

Förderverein mit vielen Großkopfeten

Der Verein Schwäbischer Dialekt setzt sich für den Erhalt und die Förderung der schwäbischen Mundart ein. Dazu gehören nicht nur Veranstaltungen mit Vorträgen, sondern auch das Anlegen einer digitalen Datenbank, Digitalisierung von Tonbändern, Aufbau eines Archivs sowie Forschung über Mundart. Vorsitzender ist der Rottenburger OB Stephan Neher, Ehrenvorsitzender ist Landtagsdirektor Hubert Wicker. Zudem ist Martin Rosemann, Tübinger Bundestagsabgeordneter, stellvertretender Vorsitzender. Der bekannte Professor Hermann Bausinger sitzt im Beirat des Fördervereins. Auch der Tübinger Landrat Joachim Walter gehört dem Vorstand an.

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Erstellt:
22.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 45sec
zuletzt aktualisiert: 22.10.2016, 01:00 Uhr

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