Kommentar · Wahlpodium

Das Thema Flucht treibt viele um

03.03.2016

Von RENATE ANGSTMANN-KOCH

Es ist schon erstaunlich: Seit Aschermittwoch läuft der Landtagswahlkampf heiß. Es gibt eine Fülle von Wahlveranstaltungen – oft mehrere am selben Tag, manchmal zur selben Zeit, und doch ist der Saal meistens voll. In vielen Fällen reicht das Publikum weit über die jeweilige Anhängerschaft der Parteien hinaus. Und häufiger als in früheren Jahren finden sich in den Zuhörerreihen auch besonders viele junge Leute.

Gregor Gysi (Linke) im Carré, Sahra Wagenknecht und FDP-Chef Christian Lindner in der Hepper-Halle, SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles in Pfrondorf, CSU-Entwicklungshilfeminister Gerd Müller in der Tropenklinik: Im Wahlkampfendspurt gab und gibt sich die politische Bundes- und Landesprominenz die Klinke in die Hand. Die Partei des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann wartet dieser Tage mit einer Art grüner Festspiele auf (siehe unten). Sein Herausforderer Guido Wolf (CDU) kommt nach Hechingen zum Starkbierfest.

Woher rührt das ungewöhnliche Interesse an einer Landtagswahl? Im Wahlkreis Tübingen gab es schon viele Kandidatenpodien. Alle zusammengerechnet etwa ein Dutzend: zur Bildungspolitik, zu gewerkschaftlichen Themen, zu sozialen Fragen. Über 500 Menschen verfolgten am Mittwoch das traditionell größte Podium, das des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs. Viele Zuhörer waren noch nicht festgelegt, wen sie wählen. Sie kamen einfach aus politischem Interesse, das offenbar mit der Diskussion über den Flüchtlingszuzug wieder gewachsenen ist. Vor fünf Jahren beherrschten das Projekt Stuttgart 21 und die Reaktorkatastrophe von Fukushima den Wahlkampf. Die entschied letztlich die Wahl.

Am 13. März steht erneut viel auf dem Spiel. Nicht nur, wer künftig den Ministerpräsidenten stellt. Noch wichtiger ist, wie sich das politische Klima entwickelt, wie offen diese Gesellschaft bleibt. Das hängt auch davon ab, ob und in welcher Stärke mit der AfD eine Partei in den Landtag einzieht, die ihren Wahlkampf fast ausschließlich mit der Flüchtlingspolitik bestreitet. Ihre gegen Arbeitnehmer, Homosexuelle oder Frauengleichstellung gerichteten Forderungen gehen dabei unter.

Die AfD hat ihre Anhänger allen Ernstes aufgefordert, als Beobachter zur Auszählung in die Wahllokale zu gehen, um Manipulationen zu verhindern. Das zeigt, wie stark sie zur Verschwörungstheorie neigt und wie fern sie der Demokratie und dem Vertrauen auf den Rechtsstaat steht.

Wie das Land schutzsuchende Menschen aufnimmt, ist ein wichtiges, aber nicht das einzige Thema der Wahl: Es geht auch um Wohnungsbau, Verkehr, um Bildung oder die Ausstattung der Polizei – die eigentlichen Landesthemen. Auch auf sie sollte man sein Augenmerk richten.